Konsequenzen aus dem EuGH-Urteil vom 19. Juli 2012 in der Rechtssache C-451/11 zur Ausgestaltung des Familiennachzugs im Rahmen des Assoziierungsabkommens EWG-Türkei
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19. Juli 2012 in der Rechtssache C-451/11 („Dülger"), da ihr Argument, das Assoziierungsabkommen EWGTürkei (Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 – ARB. 1/80) diene in erster Linie wirtschaftlichen Zwecken, vom EuGH zurückgewiesen wurde (vgl. Rn. 43 ff.), weil die Artikel unter der Überschrift „Soziale Bestimmungen" im Beschluss Nr. 1/80 auf die Vorteile der Familienzusammenführung für die türkischen Arbeitnehmer abzielten und das Abkommen damit „eindeutig über rein wirtschaftliche Erwägungen" hinausgehe, und was folgt hieraus insbesondere für die bisherige Behauptung der Bundesregierung, Beschränkungen des Familiennachzugs würden nicht in den sachlichen Schutzbereich des Verschlechterungsverbots des ARB 1/80 fallen, obwohl auch das Verschlechterungsverbot nach Artikel 13 unter der Überschrift „Soziale Bestimmungen" steht (bitte ausführlich darlegen)?
Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Ole Schröder vom 30. August 2012
Das von Ihnen zitierte Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Juli 2012 (Rechtssache „Dülger"; C-451/11) beschäftigt sich mit der Auslegungsfrage, ob sich ein nichttürkischer Familienangehöriger eines türkischen Arbeitnehmers auf die Rechte aus Artikel 7 Absatz 1 ARB 1/80 berufen kann. In diesem Zusammenhang äußert der Europäische Gerichtshof, dass die Vertragsparteien den Artikel 7 Absatz 1 ARB 1/80 „auf Gründe gestützt haben, die eindeutig über rein wirtschaftliche Erwägungen hinausgehen" (Rn. 45). In seinem Urteil vom 8. Dezember 2011 (Rechtssache „Ziebell"; C-371-08) äußert der Europäische Gerichtshof im Zusammenhang mit der Auslegung von Artikel 14 Absatz 1 ARB 1/80 und ebenfalls Artikel 7 Absatz 1 ARB 1/80, dass „die Assoziation EWG–Türkei ein ausschließlich wirtschaftlichen Zweck" verfolgt (Rn. 64), dass „der Assoziation ein ausschließlich wirtschaftlicher Zweck zugrunde liegt" (Rn. 68) und dass die Assoziation „nur ein rein wirtschaftliches Ziel verfolgt" (Rn. 72). Die Artikel 7 und 14 ARB 1/80 standen auch zum Zeitpunkt dieser Entscheidung bereits im Kapitel II „Soziale Bestimmungen", ohne dass dies Auswirkungen auf die grundsätzlich ausschließlich wirtschaftliche Ausrichtung des Assoziationsrechts gehabt hätte. Selbstverständlich hat die Arbeitnehmerfreizügigkeit auch eine soziale Dimension, die der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache „Dülger" in den Blick nimmt. Das ändert aber nichts daran, dass sich assoziationsrechtliche Auslegungsfragen auch weiterhin davon leiten lassen müssen, dass es Ziel des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei (Assoziationsabkommen) ist, „eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien" zu fördern (Artikel 2 Absatz 1 des Assoziationsabkommens).