Kritik an Militäreinsätzen nicht nur von der LINKEN
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Dr. Rainer Stinner das Wort.
Dr. Rainer Stinner (FDP):
Sehr geehrte Frau Kollegin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist ja entlarvend, wenn man mehrere solcher Debatten nacheinander hat. Es ist entlarvend,
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Was meinen Sie, wie es uns ergeht jedes Mal?)
wenn man die Einlassungen von Ihnen und Ihren Kollegen hört. Ich bin mittlerweile zu der Überzeugung gekommen, dass Sie eine fraktionsinterne Wette laufen haben, bei der es darum geht, dass jeder Redner von Ihnen – ganz egal, zu welchem Thema Sie sprechen – einige Vokabeln verwenden muss. Dazu gehört natürlich auch „neoliberal".
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist doch nicht unser Problem! Das ist das Problem der Politik!)
Frau Kollegin Dagdelen, Sie werden bedauerlicherweise – das meine ich jetzt sehr ernst – mit Ihrer Rede, mit Ihrem Vokabular und mit Ihrer Argumentation dem Ernst der Lage in Bosnien-Herzegowina in keinster Weise gerecht.
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben eine furchtbare Situation gehabt. Es gibt diesen, wie wir alle heute wissen, schlechten, problematischen Vertrag von Dayton, unter dem wir alle leiden, unter dem auch das Land leidet. Wir versuchen, aus dieser Situation herauszukommen, Frau Dagdelen, indem wir versuchen, das Land zu entwickeln.
Wenn Sie diese Rede in Sarajevo halten würden, würden die Leute Sie auslachen – wenn nicht Schlimmeres. Zu glauben, dass wir gegen den Willen von Bosnien-Herzegowina dabei sind, das Land imperial-kapitalistisch-neoliberal auszubeuten, um es dazu zu knechten, endlich zu uns zu kommen, damit wir es aussaugen können, ist ein solch blödsinniges Bild, dass Sie damit eigentlich nur Verachtung erreichen können.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Ich kann Ihnen nur sagen: Mit solch einer Politik sind Sie weit davon entfernt, ernsthafte Gesprächspartner im Deutschen Bundestag zu werden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Dagdelen zur Erwiderung.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Lieber Herr Stinner, erstens sind Sie nicht befugt im Namen der ganzen Bevölkerung in Deutschland zu sagen, wer in den Debatten um Außen- und Sicherheitspolitik ernst genommen werden kann und wer nicht.
Das Zweite ist: Sie nehmen einfach nicht zur Kenntnis, dass nicht nur die Linksfraktion im Deutschen Bundestag Kritik an den Militäreinsätzen auf dem Balkan zum Ausdruck bringt, sondern zum Beispiel eben auch die International Crisis Group.
(Michael Brand (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht! Belegen Sie das mal!)
Sie werden mir zustimmen, dass das keine linke Institution ist. Auch die Stiftung Wissenschaft und Politik sagt, dass die Situation in Bosnien-Herzegowina
(Michael Brand (CDU/CSU): Neues Deutschland! Sie haben die falsche!)
noch nie so verfahren, noch nie so schlecht war
(Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE))
wie im letzten Jahr und in diesem Jahr.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch schon mal falsch!)
Das äußert die Stiftung Wissenschaft und Politik, nicht die Linksfraktion im Deutschen Bundestag. Die SWP sagt, dass diese Konflikte weder durch politischen noch durch wirtschaftlichen oder durch militärischen Druck,
(Zuruf von der CDU/CSU: Die SWP hat das niemals gesagt! – Michael Brand (CDU/CSU): Wer denn bei SWP?)
wie sie ihn die Bundesregierung und die Europäische Union im Moment ausüben, gelöst werden können.
Sie glauben, am Reißbrett auf dem Balkan Staaten aufbauen zu können
(Michael Brand (CDU/CSU): Ach du liebe Güte!)
in Ihrem Interesse und nach Ihrer Logik, und dann wundern Sie sich, dass die Bevölkerungen vor Ort mit einer Kolonialvertretung, wie es sie im Moment mit dem Hohen Repräsentanten gibt, nicht einverstanden sind. Sie als Vertreter einer Fraktion, die sich eine liberale Fraktion nennt, können doch nicht im Ernst davon sprechen, dass dieser Hohe Repräsentant irgendetwas mit deutscher Rechtsstaatlichkeit oder unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit zu tun hat. Was daran ist in Ihren Augen noch Liberalismus?
(Beifall bei der LINKEN)