Kritiker arbeiten sich an Seehofer ab
Berlin. Auch wenn der bayerische Ministerpräsident seine umstrittenen Äußerungen am Montag relativierte, überzeugten Seehofers Rettungsversuche seine Kritiker nicht. Von "bemerkenswerter Unkenntnis" spricht die FDP. Der integrationspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Serkan Toren, sagte: "Wir brauchen keine Abschottung, sondern eine pragmatische Integrationspolitik und gesteuerte Zuwanderung." Seit 2006, so Toren, seien zudem weniger Türken nach Deutschland gekommen als Türken das Land verlassen haben. Ein selektiver Zuwanderungsstopp sei ohnehin nicht durchsetzbar sei, weil ein Assoziationsabkommen zwischen beiden Ländern gelte, der den Nachzug von Familienangehörigen regele.
Der SPD- Vorsitzende Sigmar Gabriel warf Seehofer vor, "pharisäerhaft" zu sein, weil er den Fachkräftemangel bedauere und die heimischen Potenziale heben wolle, die schwarz-gelbe Koalition zugleich aber zwei Milliarden Euro einspare, die zur Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen gedacht waren. Lale Akgün, Autorin und frühere SPD-Bundestagsabgeordnete, sagte: "Ich glaube, Horst Seehofer agiert wie ein Trüffelschwein. Er riecht für seine CSU die Kanzlerschaft." Merkel sei angeschlagen und verwundbar. "Seehofer weiß: Das Thema Zuwanderung weckt Emotionen und bindet Wähler rechts und zunehmend auch rechts der Mitte. Die nächste Bundestagswahl wirft erste Schatten", sagte Akgün dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Die Grünen kritisierten Seehofers Verhalten als "unanständig und brandgefährlich". Die integrationspolitische Sprecherin der Linken, Sevim Dagdelen, sagte, es sei "ein wahrer rechtspolitischer Wettbewerb um Einwanderungsbegrenzungen, Nützlichkeitsmigration und Sanktionsforderungen ausgebrochen".
Die deutsche Wirtschaft sprach sich für leichtere Bedingungen bei der Zuwanderung aus. "Wer Deutschland abschotten will, verkennt die Probleme unseres Landes", sagte der Präsident des Deutschen Industrieund Handelskammertages, Hans Heinrich Driftmann. Zuwanderung sei kein Allheilmittel, aber sie sei nötig als "Teil einer Gesamtstrategie gegen Fachkräftemangel". Bereits jetzt fehlten 400 000 Fachkräfte. (eff, ben)
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