Kundgebung „Für ein globales Recht auf Migration" am 5.7.2008 in Berlin
Rede von Sevim Dagdelen,
gehalten am 5. Juli 2008 im Rahem der Kundgebung Für ein globales Recht auf Migration – for freedom of movement and de*fencing the nations auf dem Berliner Schlossplatz :
Liebe Freundinnen und Freunde!
Am 26. Mai 1993 beschloss der Bundestag die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. Damit haben sich die Mitglieder des damaligen Bundestages zu Erfüllungsgehilfen des rechten Mobs gemacht. Auf der Grundlage einer pogromartigen Stimmung, die sie mit verbreitet haben, haben sie die Mauern ihrer Festung erhöht. Flüchtlinge sollen draußen bleiben, hieß es von da an. Verschwiegen wurde und wird auch heute, dass sie flüchten müssen;
- weil dieses kapitalistische System ihre Lebensgrundlagen zerstört,
- weil im Interesse der Imperialisten Kriege angezettelt werden.
Die Jahrhunderte lange Ausbeutung und Unterdrückung haben mit dem Kapitalismus neue Ausmaße erreicht. Kriege, Armut und Naturkatastrophen führen heute dazu, dass weltweit 200 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Das ist die Wahrheit, die wir unermüdlich den Lügen der Türstehern vor den Toren der EU-Festung entgegen stellen müssen.
In diesem Zusammenhang ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die lateinamerikanischen Staaten, die Mercosur-Staaten wie Venezuela, Bolivien, Brasilien, Argentinien, Paraguay und andere sich gegen die EU-Abschieberichtlinie gewandt haben und diese in einer gemeinsamen Erklärung als eine Schande verurteilt haben. Diese Staaten erklären sich mit den Flüchtlingen und unseren Bemühungen für Bewegungsfreiheit solidarisch, liebe Freundinnen und Freunde. Wir sind nicht allein!
Liebe Freundinnen und Freunde!
14 Jahre nach der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl wurde mit der Novellierung des Zuwanderungsgesetzes im letzten Jahr ein weiterer Angriff auf die Rechte von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten durchgesetzt. Rufen wir uns kurz in Erinnerung, was dabei beschlossen wurde:
- Der Ehegattennachzug wurde eingeschränkt und an den Nachweis von Sprachkenntnissen geknüpft.
- Einbürgerungen wurden erschwert.
- Flüchtlinge fallen nicht mehr 3, sondern 4 Jahre unter das Asylbewerberleistungsgesetz.
Damit hat man den Migrantinnen und Migranten gesagt: „Wenn ihr der Wirtschaft nicht nützt, dann wollen wir euch nicht!", „wir entscheiden, wer zu uns kommt", „wir entscheiden, wer eingebürgert wird". Ja sie sind selbst davor nicht zurückgeschreckt zu sagen: „Wie entscheiden, wen ihr heiratet!"
Und wir antworten ihnen mit dieser Demonstration: „Nicht mit uns!"
Liebe Freundinnen und Freunde!
Damals wie heute folgten die Gesetzesänderungen der rassistischen Einteilung und der damit verbundenen Abwertung von Menschen nach ihrer ökonomischen „Nützlichkeit".
So geht es der Bundesregierung in der Migrationspolitik um die Flüchtlingsabwehr. Und auch aktuelle Debatte um Fachkräfte und Hochqualifizierte wird im Interesse ihres „globalen Standortwettbewerbs" geführt. Die Integrationspolitik ist dagegen durch einschneidende Sanktionen im Rahmen einer sozialpolitischen „Selektionspolitik" gekennzeichnet.
Ihre Maxime ist: Die Flucht in die Bundesrepublik soll auch weiterhin so gut wie unmöglich bleiben. Andererseits sollen – getreu dem Motto „Wir brauchen Ausländer, die uns nützen" – hochqualifizierten Fachkräften etwas weniger hohe Hürden auf dem Weg in die BRD aufgestellt werden. Für die weitere Flexibilisierung, Deregulierung und Prekarisierung des Arbeitsmarktes braucht es rechtlose Arbeitskräfte. Sie sollen gewerkschaftlich organisierte Lohnabhängige ersetzen. Und sie sollen mit den Einheimischen konkurrieren, um die Löhne zu drücken und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.
Deshalb war die Novellierung des Zuwanderungsgesetzes vom letzten Jahr geprägt von Flüchtlingsabwehr und sozialer Selektion. Wer keinen Nutzen für den Standort Deutschland hat, wird wieder dahin geschickt, wo er (vermutlich) hergekommen ist. Deshalb fand sich keine Bleiberechtsregelung für jene Flüchtlinge, die bereits seit Jahren in der Bundesrepublik leben und deren Kinder in der BRD geboren wurden. Und deshalb leben ca. 1 Mio Menschen ohne Papiere nach wie vor ohne Zugang zu gesundheitlicher Versorgung und zu Bildung sowie das Recht auf eine faire Entlohnung!
Dieser Politik liegt ein Gedanke zugrunde, den man in einem Wort zusammenfassen kann: Verwertbarkeit! In zwei Worten kann ich zusammenfassen, was ich davon halte: Zum Kotzen! Nicht eure Profitlogik, sondern der Mensch muss das Maß aller Dinge sein! Und damit auch Maßstab für die Politik!
Liebe Freundinnen und Freunde!
Diese Verwertungslogik, diese Menschensortiererei nach ökonomischer Nützlichkeit und völkischen Vorstellungen müssen wir gemeinsam bekämpfen. Dabei dürfen wir eines nicht außer Acht lassen: die Auswüchse der restriktiven Migrations- und Flüchtlingspolitik wurden und werden stets auf die Gesamtgesellschaft übertragen. Residenzpflicht, Fingerabdrücke in Pässen, gekürzte Sozialleistungen usw. sind nicht nur Flüchtlingen bekannt, sondern auch längst Hartz IV-Empfängerinnen und –Empfängern.
An Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten erfolgreich Erprobtes wird anschließend Bestandteil der Politik des Sozial- und Demokratieabbaus. Um diese Politik ohne Widerstand durchzusetzen, werden soziale Probleme ethnisiert. Beschäftigte werden gegen Erwerbslose, Migrantinnen und Migranten gegen Deutsche ausgespielt.
Darauf – liebe Freundinnen und Freunde – kann es nur eine Antwort geben: Wir lassen uns nicht spalten! Der Kampf gegen Sozial- und Demokratieabbau, gegen den Ausbau des Überwachungsstaats und für gleiche Rechte gehören zusammen und ergänzen einander wie die Teile eines Puzzles. Und analog den Versen des großen Dichters Nazim Hikmets möchte ich euch zurufen: Das schönste der Bilder ist das noch nicht Gemalte! Lasst uns also an diesem Puzzle zusammen bauen. Lasst uns gemeinsam für eine Gesellschaft eintreten, in der alle ein gutes Leben haben!
-Danke!