Linke Kritik am UN-Migrationspakt
Von Sevim Dagdelen und Heike Hänsel
Am 10. Und 11. Dezember 2018 will die Bundesregierung den UN-Migrationspakt in Marrakesch/Marokko unterzeichnen. Sowohl Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), als auch Außenminister Heiko Maas (SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) werben für eine Unterzeichnung des Pakts. Auch die Fraktionsspitzen der Großen Koalition drängen die Bundesregierung den UN-Migrationspakt zu unterzeichnen. So erklärte der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Ralph Brinkhaus: „Der Pakt ist aus meiner Sicht ein erster Schritt in dem Bemühen, weltweit mehr Ordnung in die Migration zu bringen“ und helfe illegale Migration zu bekämpfen.
Im Vorfeld der Unterzeichnung hat es die Bundesregierung versäumt, die Öffentlichkeit über die Verhandlungen zum UN-Migrationspakt zu informieren. An den Verhandlungen bei der UNO hat sich mit Sevim Dagdelen von der Fraktion DIE LINKE leider nur eine einzige Abgeordnete des Deutschen Bundestages beteiligt. Auch im federführenden Auswärtigen Ausschuss blieb das Interesse sehr begrenzt.
Auch wenn das Thema Flucht im Migrationspakt mit behandelt wird, soll es auf UN-Ebene in einem gesonderten Flüchtlingspakt geregelt werden. Viele Ziele des Migrationspakts sind darauf ausgerichtet, die rechtliche Stellung von Migrantinnen und Migranten sowohl im Hinblick auf ihre individuellen bürgerlichen Rechte als auch im Hinblick auf Arbeitnehmerschutz, den Schutz vor Diskriminierung und den Zugang zu sozialen Diensten zu verbessern. Auch wenn dies für Deutschland keine Auswirkungen hat, unterstützt die Fraktion DIE LINKE ausdrücklich dieses Ansinnen.
Die mangelnde Information der Bundesregierung lieferte die Vorlage für eine Angstkampagne der AfD zum UN-Migrationspakt. So konnte die rechtsextreme Partei mit falschen Behauptungen, wie etwa, der Pakt sei rechtsverbindlich und öffne die Türen für eine Masseneinwanderung, Stimmung machen. Die Fraktion DIE LINKE tritt entschieden der völkischen Kritik der AfD entgegen, die im Pakt ein Komplott zur Vernichtung des deutschen Volkes sieht (vgl. ihr Antrag 19/5530).
Die Fraktion DIE LINKE hat begrüßt, dass mit den Verhandlungen zum UN-Migrationspakt zum ersten Mal der Versuch unternommen wurde, das Thema Migration global zu behandeln. Allerdings wurden bei der Abfassung des Paktes alle Forderungen der Linken ignoriert. So ist weder die konkrete Bekämpfung von Flucht- und Migrationsursachen festgeschrieben worden, noch ein Recht, nicht migrieren zu müssen, wie es auch die afrikanischen Ländern mit ihren Forderungen nach Finanzhilfen für die Herkunftsländer von Migration und Flucht unterstützt hatten.
Der Migrationspakt ist eine politisch verbindliche Vereinbarung, die die Rechte von Migranten global fixiert, aber konkret keine Verbesserung für Migranten in Deutschland bedeutet. Zudem ist er geprägt vom Geist der Abschottung gegenüber Menschen in Not, während er Zugangswege für eine Nützlichkeitseinwanderung im Interesse des Kapitals in den Ländern des Nordens öffnen will.
In den Verhandlungen zum UN-Migrationspakt konnten sich Länder wie Deutschland durchsetzen, die einerseits auf ein Weiter-So ihrer verheerenden Flüchtlings- und Migrationspolitik setzen und zum anderen auf eine erleichterte Enteignung von Ländern des Südens durch die Abwerbung von Fachkräften aus den Entwicklungsländern. Während so genannte irreguläre Migration, unter die auch Flüchtlinge gefasst werden, bekämpft werden soll, geht es um erleichtere Abschiebung, die Akzeptanz von Rückführungsabkommen in Durchsetzung des Konzepts der so genannten sicheren Herkunftsstaaten und neoliberale Migrationspartnerschaften – eine neue Gastarbeiterpolitik des 21. Jahrhunderts. Auch die Verschärfung der Abschottung – im UN-Migrationspakt verharmlosend „Grenzmanagement“ genannt – wird fixiert.
Die Bekämpfung der unerwünschten Migration ist ein zentrales Thema des Paktes. Ihr soll durch die gemeinsame Bekämpfung von Schleusung und durch ein koordiniertes Grenzmanagement und Überwachung begegnet werden (siehe die Ziele 9 bis 11). Deutschland ist in diesem Bereich bereits ganz weit vorne und arbeitet im Rahmen des sogenannten Rabat- und Khartum-Prozesses mit den Staaten an den Hauptmigrationsrouten zusammen. Dabei stützt die Bundesregierung auch autoritäre Regime wie das des Sudan oder „Failed States“ wie den Südsudan. Militäreinsätze wie im Rahmen der EU-Mission Sophia zur Abwehr von Menschen aus Libyen, der UN-Mission MINUSMA oder der EU-Mission EUTM Mali (beide in Mali) werden zunehmend mit der Erfordernis begründet, die Migration, die durch diese Region hindurchführt, zu regulieren. Insofern kann der Migrationspakt auch als Legitimierung des Rabat- und Khartum-Prozesses betrachtet werden. Kanzlerin Angela Merkel hatte sich dementsprechend in ihrer Haushaltsrede zum Migrationspakt ausdrücklich positiv auf eine vorverlagerte militärische Migrationsabwehr, die Politik im Niger und das Flüchtlingsabkommen mit dem türkischen Präsidenten Erdogan bezogen.
Die Bundesregierung leitete zuletzt knapp zwei Jahre lang das Global Forum on Migration and Development und legte dort den Schwerpunkt auf die Arbeit am Migrationspakt. Auch andere globale Akteure haben am Migrationspakt mitgestrickt, darunter das Weltwirtschaftsforum, das jährlich in Davos mächtige PolitikerInnen mit noch mächtigeren WirtschaftslenkerInnen zusammenführt. Der Migrationspakt ist entsprechend auf die Bedürfnisse der Industrieverbände des Nordens zugeschnitten und will die als grundsätzlich positiv dargestellte Migration aktiv befördern, während die negativen Aspekte für die Länder des Südens ausgeblendet bleiben. Arbeitskräftemobilität soll in Einklang mit den Bedürfnissen der Zielmärkte, mit der dortigen Arbeitsmarktnachfrage und dem Qualifikationsangebot gebracht werden. So steht es ausdrücklich unter Ziel 5 formuliert. Die Privatwirtschaft soll stark in die Implementierung eingebunden werden („business mechanism“). An den Verhandlungen zum Migrationspakt wurde denn auch bezeichnenderweise das umstrittene US-Dienstleistungsunternehmen Uber (Fahrdienst) beteiligt.
In Deutschland trommeln die Arbeitgeberverbände und die ihnen nahestehenden Wirtschaftsinstitute (zuletzt DIHK, IW), die über fehlende Fachkräfte klagen, für mehr Zuwanderung, auch aus Drittstaaten und zunehmend auch in Arbeitsmarktsegmente mit niedrigeren Qualifikationsanforderungen. Die Gewerkschaften und gewerkschaftsnahe Wirtschaftsinstitute (Hans-Böckler-Institut) haben wiederholt nachgewiesen, dass die Berechnungen der Arbeitgeberverbände völlig aus der Luft gegriffen und offensichtlich interessengeleitet sind.
Allein in Berlin haben in diesem Jahr bis zum Herbst fast 3500 BewerberInnen keinen Ausbildungsplatz gefunden. Fast 50 Prozent mehr als im letzten Jahr. Die Industrie beklagt zynisch, die mangelnde Ausbildungsfähigkeit der SchulabgängerInnen. Jungen Menschen wird erst Bildung und dann die Ausbildung vorenthalten. Davon sind vor allem junge Menschen mit Migrationshintergrund betroffen. Unter den in Deutschland lebenden MigrantInnen ist jede_r Vierte ohne Berufsausbildung, jede_r Zehnte ohne Schulabschluss. Und gleichzeitig wird von den Arbeitgebern der Ruf nach Fachkräftezuwanderung aus Drittstaaten erhoben. Die OECD und die Bundesbank haben in Studien darauf hingewiesen, dass Zuwanderung vor allem in niedrigqualifizierte Arbeit in den unteren Gehaltsgruppen als Lohnbremse wirkt. Und auch davon sind vor allem Menschen mit Migrationshintergrund betroffen.
Der Brain-Drain (Abwanderung von ausgebildeten Menschen) lähmt – neben zerstörerischen Freihandelsabkommen und Rüstungsexporte, die ständig neue Konflikte schaffen in den Ländern des Südens – die wirtschaftliche Entwicklung. Vom Migrationspakt versprechen sich die Arbeitgeber in den Industriestaaten eine globale Ausweitung dieser an Lohnminimierung orientierten weltweiten Allokation von Arbeitskräften.
Linke Entwicklungssoziologen aus den Ländern des Südens beklagen, dass mit der Abwanderung von ausgebildeten jungen Menschen ein Milliarden-Transfer von Süd nach Nord stattfindet. Bis zu 50 Prozent der akademisch Ausgebildeten wandern aus Ländern des Südens ab. Tausende Ärzte und KrankenpflegerInnen aus Ländern des Südens arbeiten in Europa, während in den Herkunftsländern Menschen oftmals medizinisch unterversorgt sind und mangels Behandlung an einfachen Erkrankungen sterben und selbst rudimentäre Versorgung nur im Rahmen von Entwicklungshilfe aufrechterhalten werden kann.
VertreterInnen des Südens fordern zumindest eine Kompensation des Nordens an den Süden für die geleisteten Ausbildungskosten. Diese Zusammenhänge finden im Migrationspakt leider keinen Platz. Stattdessen wird auf die von liberalen EntwicklungstheoretikerInnen in diesem Zusammenhang gerne angeführten Rücküberweisungen von MigrantInnen an ihre Familien hingewiesen, die erleichtert werden sollen. Das ist zwar im Sinne der betroffenen Familien zu begrüßen, jedoch haben die Rücküberweisungen keine nachweisbaren nachhaltigen Entwicklungseffekte. Sie stärken zwar den individuellen Konsum, aber das geht meist einher mit zusätzlichen Importen, Inflation, einem Anstieg informeller schlecht bezahlter Jobs und dem Wegfall von gut bezahlten Jobs im Bereich der Produktion handelbarer Güter und damit dem Sinken der Produktivität und der Verschlechterung der Zahlungsbilanz. Der positive Effekt durch Erhöhung von Kaufkraft kann die negativen Effekte nicht aufwiegen. Bislang fehlt jede Evidenz aus Ländern mit hohen Rückflüssen, dass diese eine nachhaltige Entwicklung angestoßen hätten. Die Kritik an internationalen „Sorgeketten“, die vor allem zu Lasten der Frauen in den Ländern des Südens gehen, wird auch in keiner Weise thematisiert.
Regierungen und WissenschaftlerInnen aus den Ländern des Südens kritisieren außerdem, dass die Bekämpfung der Ursachen von Migration im Migrationspakt keinen Platz hat. Migration ist Ausdruck von Ungleichheit. Ihre strukturellen Ursachen in der kapitalistisch globalisierten Welt werden im Pakt nicht analysiert. So werden im Migrationspakt statt einer echten Flucht- und Migrationsursachenbekämpfung lediglich entwicklungspolitische Maßnahmen vorgeschlagen, darunter die Verbesserung von Bildung und Ausbildung, die jedoch, wenn keine wirtschaftliche Entwicklung vor Ort stattfindet, eher zu mehr Migration führen wird. Entscheidend dafür, dass eine eigenständige Entwicklung stattfinden kann, die Arbeitskräfte lokal bindet, wäre u.a. eine andere Handelspolitik. Auch davon ist im Migrationspakt natürlich keine Rede.
Die Fraktion DIE LINKE streitet für eine verbindliche Verbesserung der individuellen und kollektiven Rechte von ArbeitsmigrantInnen, aber gegen eine weitere Zementierung der Ungleichheit und Ausbau weltweiter neokolonialer Abhängigkeitsverhältnisse. Linke Politik muss das in Mittelamerika (das besonders von Abwanderung aufgrund von Gewalt und Armut betroffen ist) entwickelte Leitprinzip eines „Rechts, nicht migrieren zu müssen“ mitdenken. Wir kritisieren deshalb die offenkundige Absicht, „nützliche“ ArbeitsmigrantInnen weltweit für die Kapitalseite „optimal“ einzusetzen und dafür einen globalen Arbeitsmarkt zu schaffen, ohne Lohndumping auf den Ziel-Arbeitsmärkten oder Brain-Drain auf den Ausgangsarbeitsmärkten einzuhegen.
Der UN-Migrationspakt ist abzulehnen, solange die Bundesregierung bei der Annahme in Marrakesch nicht eine politische Erklärung zur Öffnung legaler Fluchtwege, zur Bekämpfung von Fluchtursachen und zur Beendigung der Enteignung der Länder des Südens abgibt, die u.a. folgende acht Punkte umfasst:
„Die Bundesregierung verpflichtet sich,
- legale Fluchtwege für Menschen in Not zu öffnen und Flüchtlinge nicht weiter durch das Konzept sicherer Herkunftsstaaten wie eine Grenzvorverlagerung durch Pakte mit Autokraten wie dem türkischen Präsidenten Erdogan zu bekämpfen.
- das Recht, nicht migrieren zu müssen zu garantieren und die Ursachen von Flucht und Migration konkret zu bekämpfen. Dazu gehört ein umgehender Stopp deutscher Rüstungsexporte, der Agrarsubventionen wie auch der Freihandelsabkommen mit den Ländern des Südens, die zur Zerstörung ganzer Länder führen.
- im Rahmen einer Initiative für globale Gerechtigkeit die ODA-Quote auf 0,7% des BIP zu erhöhen und insbesondere den Forderungen afrikanischer Staaten nachzukommen, die Herkunftsstaaten von Migrantinnen und Migranten finanziell zu unterstützen.
- dem Bundestag die UN-Wanderarbeiterkonvention zur Ratifizierung vorzulegen.
- auf eine neokoloniale Politik der Abwerbung von Fachkräften aus den Ländern des Südens zu verzichten und die Enteignung von Entwicklungsländern zu stoppen.
- für Fachkräfte, die aus den Ländern des Südens angeworben werden, Kompensationsleistungen an die Herkunftsländern in doppelter Höhe der Ausbildungskosten zu leisten und hierzu eine entsprechende Besteuerung von Unternehmen vorzunehmen,
- in eine Ausbildungsoffensive in Deutschland zu investieren, eine Mindestausbildungsvergütung in Höhe von 80% der durchschnittlichen Ausbildungsvergütungen durchzusetzen und die Ausgaben auch für berufliche Bildung massiv zu steigern.
- durch die Einführung einer Ausbildungsplatzumlage die Unternehmen zu zwingen, sich an der Ausbildung von Fachkräften zu beteiligen und nicht weiter zu versuchen ihre Profitrate auf Kosten der Verweigerung von Ausbildung für Beschäftigte zu steigern.“