»Man kann auch von einem Lithiumputsch sprechen«

Peru: Regierung verweigert Linke-Politikerin Gefängnisbesuch bei abgesetztem Präsidenten. Ein Gespräch mit Sevim Dagdelen.

Interview: Ina Sembdner

Sie waren in dieser Woche im Rahmen einer parlamentarischen Dienstreise zu politischen Gesprächen in Peru. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission hat in einem gerade veröffentlichten Bericht die ausufernde Gewalt in der Folge des parlamentarischen Putschs gegen den Präsidenten Pedro Castillo im Dezember wie auch außergerichtliche Hinrichtungen angeprangert. Welchen Eindruck haben Sie vor Ort gewonnen?

Was hier wenig bekannt ist: In Peru haben ultrarechte Kräfte gemeinsam mit dem Militär geputscht. Meine Gesprächspartner von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und linken Parteien sprechen deshalb von einer zivil-militärischen Diktatur. Es ist ein Chile 2.0 mit zivilem Anstrich. Indigene Demonstranten werden einfach niedergemetzelt, während die Putschisten versuchen, Neuwahlen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Es ist eine bedrohliche Situation, aber der Widerstand insbesondere der indigenen Bevölkerung ist ungebrochen.

Ziel Ihrer Reise war auch ein Besuch beim abgesetzten Präsidenten Castillo im Gefängnis, dessen »Präventivhaft« im März auf 36 Monate verlängert wurde. Konnten Sie mit ihm reden?

Nein, obwohl sich die deutsche Botschaft direkt mit dem Justizministerium in Verbindung gesetzt hat, hat das Regime mir den Besuch verweigert. Es gibt keine Rechtsstaatlichkeit im Land. Man muss um die Gesundheit und das Leben von Pedro Castillo fürchten. Viele meiner Gesprächspartner haben Angst, dass ihn die Machthaber im Gefängnis umbringen werden. Die viel beschworene internationale Staatengemeinschaft und speziell auch die Bundesregierung sind gefordert, sich für das Leben von Pedro Castillo einzusetzen.

Der frühere Lehrer genießt vor allem bei der armen indigenen Bevölkerung Rückhalt. Welche Maßnahmen werden von dieser Seite ergriffen, um gegen die illegitime De-facto-Regierung vorzugehen?

Das Land steht vor einer neuen Welle der Massenmobilisierung. Mit ungeheurem Mut verteidigen die Menschen ihre Rechte. Es ist ein Aufstand für die demokratische Souveränität Perus. 90 Prozent wollen den Abtritt der sogenannten Übergangspräsidentin Dina Boluarte und ihrer Helfershelfer.

Castillo als linker Präsident wurde von Beginn seiner Amtszeit an von der rechten Kongressmehrheit und den rechten Oligarchenmedien bis aufs Messer bekämpft. Er hat sicher nicht alles richtig gemacht. Den Ausschlag für den Putsch aber hat wohl nicht seine Absichtserklärung gegeben, den Kongress temporär auflösen und Neuwahlen abhalten zu wollen, sondern seine Ankündigung, die US-Bergbaukonzerne besteuern und nicht einfach die Bodenschätze Perus durch das Herausreichen neuer Konzessionen weiter verschleudern zu wollen. Es geht insbesondere um Uran und ganz zentral um Lithium. Die neuen Machthaber setzen jetzt unter Hinweis auf die Verstaatlichungen in Chile und Mexiko auf die Vergabe neuer Minenkonzessionen für nordamerikanische Konzerne zur Lithiumausbeutung. Dabei fällt immer wieder der Name Macusani Yellowcake, eine Tochter von American Lithium. In diesem Sinne kann man bei Peru auch von einem Lithiumputsch sprechen. Um zum Spottpreis an die Ressourcen für die Elektromobilität zu kommen, geht man über Leichen und richtet Massaker an der indigenen Bevölkerung an. Letztlich handelt es sich hierbei um einen eliminatorischen Rassismus zur Profitsteigerung von US-Konzernen.

Staatsstreiche in Lateinamerika gegen linke Regierungen tragen meist die Handschrift der USA. Wie sieht das in diesem Fall aus?

Meine Gesprächspartner, darunter auch Kritiker von Castillo, haben auf die aktive Rolle der US-Botschaft in Lima bei der Vorbereitung des Putsches verwiesen. Noch von Trump ernannt, hat die ehemalige CIA-Mitarbeiterin und jetzige US-Botschafterin Lisa Kenna bei einem Treffen mit dem peruanischen Verteidigungsminister kurz vor dem Sturz Castillos offenbar das Terrain bereitet. Vieles deutet darauf hin, dass die US-Botschaft insbesondere um einen zivilen Anstrich des Putsches bemüht war, während – wie meine Gesprächspartner aus Informationen des Marinegeheimdienstes erfahren haben – es bereits am 3. Dezember 2022 ein Treffen führender Generäle gab, mit dem Ziel, Castillo abzusetzen und zu ermorden.

Auch gegen die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung in Peru gibt es immer wieder Vorwürfe, sie würde die Rechte stützen. So wurde etwa im Februar 2022 ein Treffen mit Vertretern rechter und ultrarechter Parteien in Lima finanziert und unterstützt.

Wer sich in Lima über die Zeit vor dem Putsch informiert, wird immer wieder den Namen der Friedrich-Naumann-Stiftung hören. Der deutschen Stiftung wird auch von linken Abgeordneten des Kongresses vorgeworfen, eine führende Rolle bei der Organisierung und Finanzierung ultrarechter Kongresstreffen gespielt zu haben, bei denen die Absetzung von Castillo als Präsident Thema war. Die Stiftung bestreitet dies, aber alles deutet darauf hin, dass sie eine ähnlich üble Rolle wie bei der Putschvorbereitung gegen Manuel Zelaya 2009 in Honduras gespielt hat.

Sevim Dagdelen ist Obfrau der Fraktion Die Linke im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages

Quelle: junge welt


Foto: „DESFILE MILITAR POR EL BICENTENARIO DEL PERU“ by Galería de fotografías del Ministerio de Defensa is licensed under CC BY 2.0. To view a copy of this license, visit https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/?ref=openverse. Unverändert.

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