Merkel darf Erdogan nicht länger stärken

Jeden Tag hagelt es neue Provokationen des türkischen Präsidenten Erdogan. Jeder neue Tag bringt neue Beschwichtigungen der Bundesregierung in Richtung Ankara mit sich. Dies hat eine lange Geschichte.

Um die Auftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland im Vorfeld des Referendums am 16. April in der Türkei, mit dem der jetzige Ausnahmezustand zum rechtförmigen Normalzustand werden soll, zu rechtfertigen, wird gerne das Argument bemüht, dass Auftrittsverbote Erdogan nützten, weil diese ihn in eine Opferrolle bringen würden. Zugleich wird darauf verwiesen, dass man mit einem Auftrittsverbot dieselben undemokratischen Methoden wie der türkische Staatspräsident anwende und dies dem eigenen Anliegen schade. Beide Argumente sind unhaltbar.

Angenommen es wäre richtig, dass wir durch einen stärkeren Dialog Erdogan schwächen könnten, dann hätte der Despot in den letzten Jahren immer schwächer werden müssen. In Durchsetzung dieser Denkfigur wurden nach jeder neuen Eskalation, wie etwa der blutigen Niederschlagung der Gezi-Proteste 2013 oder der Aufkündigung des Friedensprozesses in der Kurdenfrage 2015 neue EU-Beitrittskapitel eröffnet. Mit immer neuen Konzessionen als Antwort auf Erdogans Provokationen erreichte man allerdings das Gegenteil. Erdogan zieht seine Stärke nicht aus einer vermeintlichen Opfer-, sondern aus seiner Täterrolle. Er ist der „Reis“, der Führer, der sich durchsetzt und vor dem Europa in Angst und Schrecken zittert. Aus dieser Position heraus ruft er auch ganz direkt über seine Facebook-Seite türkische Faschisten und Islamisten zum Aufstand gegen die Demokratie in Europa auf. Einige Kommentatoren hierzulande wollen sich, wie die Bundesregierung, in die Büsche schlagen und einfach nicht wahrhaben, dass Erdogan dabei ist, seine Kampfzone für die Diktatur auszuweiten. Erst war es die Türkei, dann der Nahe Osten und der Balkan, jetzt ist es Westeuropa.

Das Argument der gleichen Methoden ist angesichts der Situation in der Türkei, angesichts der Massenverhaftungen und der vielen Gefolterten geradezu zynisch. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner jüngsten Entscheidung zu einem Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Yildirim unmissverständlich klargestellt, dass sich Hoheitsträger ausländischer Staaten nicht auf Grundrechte, die als Abwehrrechte gegen staatliches Handeln konzipiert sind, berufen können und es allein eine außenpolitische Entscheidung der Bundesregierung sei, ob sie die Auftritte türkischer Regierungsmitglieder zulässt oder nicht.

Dass die nationalistische und islamistische Anrufung von türkeistämmigen Migranten in Europa für Erdogan so einfach ist, hat weniger den Grund in deren Diskriminierung. Der Boden dafür wurde schon seit Jahren durch Erdogan und seine AKP bereitet. Seit Jahren wird der Einfluss in Deutschland und Europa ausgebaut. Bei der Gründung des Amtes für Auslandstürken und verwandte Gemeinschaften im Jahr 2010 sowie AKP-treuer Parteien, bei der Einflussnahme in den Moscheevereinen über den Dachverband DITIB und der schon 2005 eigens gegründeten Lobbyorganisation UETD ging es allen offiziellen Erklärungen zum Trotz nicht um die Integration der türkeistämmigen Migranten hierzulande. Es ging und geht allein darum, diese stärker an die AKP und die neo-osmanische Außen- und Kulturpolitik zu binden. Die Loyalität mit Erdogan zu fördern war und ist das Ziel. Und deutsche Behörden fördern dieses Ziel auch noch durch die Gewährung der Gemeinnützigkeit.

Wer Befürworter der Diktatur in der Türkei als normale Gesprächspartner akzeptiert oder sie gar zu seinen Konferenzen ins Kanzleramt oder Bundesinnenministerium einlädt, der macht sich mitschuldig am Erstarken der Erdogan-Anhänger. Es ist höchste Zeit für eine Initiative gegen Erdogans rechtes Netzwerk in Deutschland. Wenn es hier keine entschiedene Antwort gibt, wird dies als Freibrief verstanden, Andersdenkende auch in Deutschland zu bedrohen und zu verfolgen. Der notwendige Kampf gegen Diskriminierung darf nicht mit dem notwendigen Kampf gegen den türkischen Faschismus und Islamismus in Europa aufgerechnet werden.

Mit den Drohungen des Erdogan-Regimes gegen die Niederlande hat die Auseinandersetzung eine neue Stufe der Eskalation erreicht. Es geht nunmehr auch um die Frage der Demokratie. Oder anders formuliert, es geht darum, wer in Europa entscheidet: die demokratisch gewählten Regierungen in der EU oder der Despot vom Bosporus. Der Wahlsieg von Ministerpräsident Mark Rutte ist auch Ausdruck dessen, dass die Bürger klare Kante gegen Ankara erwarten, nicht Appeasement. Das zeigen auch alle aktuellen Umfragen in Deutschland.

Die Bundesregierung darf nicht weiter im Alleingang in Europa handeln und bei Erdogans Gewaltpolitik wegschauen. Die Drohungen aus Ankara im Vorfeld der Debatte um die Wahlkampfauftritte türkischer Minister zielten auf eine offene Verletzung der demokratischen Souveränität. Die Bundesregierung muss sich entscheiden, auf wessen Seite sie steht – auf der Seite des demokratischen Rechtsstaats oder der Seite der Diktatur.

Es ist zudem unerträglich, dass die Bundesregierung Deutschland zur Aktionsplattform für Erdogan und seine Minister macht, von der aus sie versuchen, andere Staaten in Europa zu destabilisieren. Wer meint, den Freunden der Diktatur bei wachsenden Provokationen mit immer mehr Toleranz begegnen zu müssen, geht Erdogan auf den Leim. Diese Art der Toleranz hat Erdogan in den vergangenen Jahren erst stark gemacht. Wer weiter wegschaut, gefährdet zudem den gesellschaftlichen Frieden und überlässt Teile der Gesellschaft einer Allianz türkischer Faschisten und Islamisten, die aus ihrer Gesinnung keinen Hehl machen.

Österreich und die Niederlande haben entschieden, dass sie Erdogans Werbefeldzug für Diktatur und Todesstrafe auf ihrem Territorium nicht zulassen. Die Bundesregierung muss nun eine europäische Initiative für ein Auftrittsverbot in der EU voranbringen. Es braucht klare Kante gegen die immer neuen Provokationen Erdogans. Mordaufrufe gegen Andersdenkende, faschistische Grußformeln wie der Wolfsgruß gepaart mit dem Vier-Finger-Gruß der islamistischen Muslimbruderschaft und Werbefeldzüge für eine Diktatur dürfen in Deutschland keinen Platz haben. Deshalb sollten wir gemeinsam ein Zeichen setzen, dass wir ein Auftrittsverbot wollen und die Kommunen mit dieser Entscheidung nicht allein gelassen werden. Das aber kann nur der Auftakt für eine radikale Wende in der deutschen Türkeipolitik sein. Die Bundesregierung muss ihre hässliche Geopolitik auf dem Rücken von Demokratie und Menschenrechten beenden. Dazu gehören drei deutliche Signale an Erdogan: Die Einstellung der Beitrittsverhandlungen, denn nur so können die EU-Vorbeitrittshilfen von jährlich 630 Millionen Euro komplett gestrichen werden, der Stopp der deutschen Rüstungsexporte und der Abzug deutscher Soldaten aus Incirlik und Konya. Keine Waffen, keinen Cent und keine Soldaten für eine Diktatur.

Quelle: Tagesspiegel Causa

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