„Nazis hetzen wieder gegen Migranten und Flüchtlinge! Warum, wozu, für wen?"

Nach wie vor stellt der Rassismus, die Hetze gegen Migrantinnen und Migranten, den Kern des Neofaschismus in Deutschland dar. Vor allem Menschen mit Migrationshintergrund sind es, die zu Opfern neofaschistischer Gewalt in Deutschland werden. Täglich finden solche Gewalttaten in Deutschland statt. Nach der Statistik, die die LINKE monatlich von der Bundesregierung abfragt, sind es drei rechtsextreme Gewalttaten, die Tag für Tag in diesem Land zu verzeichnen sind. 1.047 rechtsextremistische Gewalttaten gab es 2006 (die in der letzten Woche vom Innenministerium veröffentlichten Zahlen für 2007 liegen auf fast dem gleichen Niveau, sind aber noch nicht aufgeschlüsselt) und fast die Hälfte dieser Gewalt richtete sich gegen Menschen mit Migrationshintergrund (die andere Hälfte gegen Linke, Obdachlose, Juden etc.).

Rassistische Übergriffe und Propaganda gehören also zum Alltag dieser Republik.

Die Meldungen zu diesem alltäglichen und gewalttätigen Rassismus der extremen Rechten finden sich zumeist nur noch in Kurzmeldungen der regionalen Presse. Während einzelne Ereignisse, wie etwa die rassistische Hetzjagd im sächsischen Müggeln (8 Inder die nach einem Dorffest durch den Ort gehetzt wurden), breite Empörung hervorrufen, bleibt diese alltägliche rassistische Gewalt fast ohne öffentliche Reaktion. Seit 1990 hat es in Deutschland mehr als 130 Todesopfer neofaschistischer Gewalt gegeben, eine unvorstellbare Zahl

(der Verein Opferperspektive in Brandenburg verleiht eine Ausstellung mit dem Titel „Opfer rechter Gewalt" in der es gerade darum geht, den Opfern Name und Gesicht zu geben).

Dennoch herrscht eine Gleichgültigkeit und Ignoranz gegenüber diesen Opfern des Neofaschismus vor, die für die betroffenen Menschen eine zweite Demütigung ist. Häufig werden die Täter, wenn sie denn überhaupt angeklagt werden, zu skandalös geringen Strafen verurteilt.

Rassistische Gewalt von rechts hat die klare Funktion, Menschen mit Migrationshintergrund zu zeigen: Ihr gehört nicht hierher, ihr seid hier nicht willkommen, verschwindet! Die Nazis fühlen sich hier oftmals, dass haben Aussagen bei Gerichtsprozessen bestätigt, als diejenigen, die den Willen der schweigenden Mehrheit in reale Handlungen umsetzen. Und hier liegt, wie ich glaube, der Kern des Problems: Rassismus ist eben nicht auf die extreme Rechte begrenzt, Rassismus ist eine verbreitete Einstellung in der Mitte der Gesellschaft. Die Nazis stehen – mindestens mit ihrer rassistischen Ideologie – nicht am Rande der Gesellschaft, sondern sie drücken Stimmungen aus, die wir auch bei einer (relativen) Mehrheit finden.

Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen haben in den letzten Jahren gezeigt, dass die klassischen Themen der extremen Rechten – Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Autoritarismus und Nationalismus – bis weit in die Mitte der Gesellschaft auf Zustimmung stoßen.

Die unter dem Titel „Deutsche Zustände" von einer Forschergruppe um Wilhelm Heitmeyer seit fünf Jahren regelmäßig vorgelegten Ergebnisse zeigen konstant hohe Zustimmung zu verschiedenen Formen von Ausgrenzung, wobei die fremdenfeindlichen Einstellungen die höchsten Zustimmungswerte verzeichnen. Knapp 60 Prozent stimmen der Aussage zu, dass zu viele Ausländer in Deutschland leben und 35 Prozent sind der Ansicht, bei knapper werdenden Arbeitsplätzen sollten die Ausländer in ihre Heimatländerzurückgeschickt werden. Auch Obdachlose und Muslime sind aggressiven Formen der Ablehnung von 30-40 Prozent der Befragten ausgesetzt, gleichzeitig fordern mehr als 40 Prozent der Befragten mehr Rechte für diejenigen, die in Deutschland etabliert sind (Heitmeyer 2007, S. 23 ff.). Für Heitmeyer u.a. ist besonders die Tatsache beunruhigend, dass die hier festgestellten Ausgrenzungsideologien nicht auf den Rand der Gesellschaft beschränkt sind, sondern auch in der gesellschaftlichen Mitte zu finden sind. Damit werden diese Einstellungen normalitätsbildend und können immer weniger problematisiert werden. Von dieser Form der Normalisierung von Ausgrenzung und Rassismus kann auch die extreme Rechte mit ihren Politikangeboten profitieren. Für Heitmeyer u.a. ist der Zusammenhang dieser Einstellungsentwicklung mit zunehmenden sozialen Desintegrationsprozessen offensichtlich.

Die mit der Verschärfung der sozialen Lage einhergehenden Unsicherheitserfahrungen führen zu verstärkter Orientierungslosigkeit und der Suche nach Sicherheiten, die sich in Werten wie Nation, Heimat aber auch „Rasse" und ethnischer Zugehörigkeit finden lassen.

Die Untersuchungen von Heitmeyer u.a. zeigen hier einen deutlichen Zusammenhang mit dem Thema Fremdenfeindlichkeit.

Im neuesten Band der Heitmeyer Studie „Deutsche Zustände" zeigen die AutorInnen, dass vermehrt auch soziale Schwache von Ausgrenzungen und Abwertungen betroffen sind. Heitmeyer schreibt von einer „Ökonomisierung des Sozialen", d.h. immer mehr werden Nützlichkeitskriterien zum Maßstab der Bewertung von Menschen. Arbeitslose, Hart IV Empfänger und andere werden verstärkt abgewertet, sie gelten als unnütz, die Gemeinschaft belastend und als selbst Schuld an ihrer Situation. Die neoliberale Ideologie zeigt hier ihre Früchte und führt zu einer autoritären Abgrenzung von den sozial Schwachen, die eben nicht nur MigrantInnen sind.

Die von Heitmeyer u.a. vorgelegten Ergebnisse finden ihre Bestätigung in der weithin beachteten empirischen Studie von Oliver Decker und Elmar Brähler mit dem Titel „Vom Rand zur Mitte. Rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland". Die von ihnen zutage geförderten Ergebnisse verdeutlichen die starke Verbreitung von rassistischen, ausländerfeindlichen und autoritären Einstellungen in größeren Teilen der Bevölkerung.

So stimmen 37 Prozent (43,8 Prozent in Ostdeutschland) der Aussage zu „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen"; 15 Prozent sind der Ansicht, das Land sollte „einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert" und 26 Prozent stimmen der Aussage zu „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert."

Ich will mit diesen Zahlen darauf hinweisen, dass das Problem über das wir reden leider weitaus größer ist, als die rechte Szene oder die NPD. Es handelt sich um ein Problem in der Mitte der Gesellschaft und es wird auch von hier aus verschärft. Ich erinnere nur an den letzten Wahlkampf von Roland Koch in Hessen, der geradezu ein Paradebeispiel rassistischer Hetze aus der bürgerlichen Mitte war. Koch ging es darum, mit dem Thema „Ausländer" an vorhandene Emotionen und Abwehrreflexe anzuknüpfen. Bedenklich ist, dass Koch die Wahlen als Ministerpräsident zwar nicht gewann, aber immerhin die meisten Stimmen in Hessen bekam.

Die Diskussion zum Thema „Ausländer" ist seit vielen Jahren in Deutschland verbunden mit den Themen Bedrohung, Kriminalität, kulturelle Überfremdung, Ausnutzung des Sozialstaates. Diese einseitige negative Thematisierung ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Nazis. Von Seiten der Politik wird dieser Diskurs immer wieder verschärft und für Wahlkampfzwecke und Stimmungsmache genutzt. (Bsp. Landtagswahlen Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg 2006)

Eine wichtige Funktion solcher Debatten ist meiner Ansicht nach sehr klar: Es sollen verantwortliche und Sündenböcke für reale soziale Probleme angeboten werden und es soll ein Angebot an die Mehrheitsbevölkerung gemacht werden. Wenn die soziale Einbindung über die fortlaufenden sozialen Härten nicht mehr funktioniert, dann bietet man den Menschen Zugehörigkeit über ihre Abstammung, die Nation, die „Rasse" an.

Weil man Deutscher/Deutsche ist, hat man Anspruch auf Teilhabe. Wer dieses Kriterium nicht erfüllt, hat auch keine Rechte in diesem Land. Das ist zugespitzt die Logik, die hinter dieser Debatte steht. Klarer und zugespitzter finden wir die Logik des Rassismus und der Ausgrenzung bei den Nazis.

II. Besetzung der sozialen Frage durch Rechte: Neu?

Seit einigen Jahren sehen wir, dass die Nazis verstärkt versuchen, mit linken Themen zu punkten. Die soziale Frage, als zentrales Element linker Politik, wird auch von den Nazis immer mehr besetzt. „Antikapitalismus" als Propagandafeld der extremen Rechten in der Bundesrepublik erscheint vielen als Neuerung des Neofaschismus. Verblüfft stellen manche Beobachter der rechten Szene fest, dass in der Propaganda und in den Aktionen der Nazis die soziale Frage, die Kritik an Globalisierung und „One World" zu einem immer wichtigeren Thema wird. Es wäre jedoch falsch, diese thematische Bezugnahme auf die soziale Frage und die Folgen als „Modeerscheinung" zu betrachten. Die Besetzung dieser Frage durch die extreme Rechte ist so alt wie der Faschismus selbst. Nur für die Propaganda der NPD ist die offene Thematisierung dieser sozialen Frage und die teilweise vehemente Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem und der Globalisierung, wie sie sich in den letzten Jahren beobachten lässt, tatsächlich eine neue Ausrichtung. Die NPD reagiert damit auf die zunehmenden sozialen Verwerfungen, die durch den ungebremsten Kapitalismus hervorgerufen werden und antwortet darauf mit einer Kapitalismuskritik, wie wir sie aus der Geschichte des Faschismus in Deutschland und Europa kennen.

Es handelt sich dabei nicht nur um eine vorgeschobene Kapitalismuskritik, sondern um eine völkisch grundierte Kritik, die für einen Teil der faschistischen Bewegung kennzeichnend ist. Dass die extreme Rechte und die NPD mit einer solchen Form des „Antikapitalismus" in einem ersten Anlauf Wähler ansprechen können, belegen die Wahlergebnisse der NPD in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, sowie die eben angeführten zahlreichen Untersuchungen zu rechtsextremen Einstellungsmustern in größeren Teilen der Bevölkerung.

Inhalte der sozialen Frage von rechts:

Wenn NPD und Kameradschaften gegen Sozialabbau, gegen die steigende Macht der internationalen Konzerne, gegen einen Raubtierkapitalismus protestieren, dann treffen sie damit die Gefühlslage von Teilen der Bevölkerung, gerade auch in vielen abgehängten Regionen Ostdeutschlands. Die von der extremen Rechten im Zusammenhang mit der sozialen Frage angeprangerten Zustände sind real und die Kritik daran ist berechtigt:

Jürgen Gansel, Abgeordneter der NPD im Sächsischen Landtag und einer der wichtigsten Vordenker der Partei schreibt:

Viele dortige Regionen drohen zu einem sozialen Niemandsland zu werden, in dem äußere und innere Not, d.h. materielles und immaterielles Elend, eine tragische Einheit bilden. Es sind Landstriche entstanden, in denen wegen chronischer Massenarbeitslosigkeit selbst die Arbeitsfähigen und Arbeitswilligen dem sozialen Siechtum verfallen. Es gibt ganze Familien, die in die Armut hineinwachsen, ohne jede Aussicht auf ein Leben in sozialer Sicherheit, in menschlicher Würde und in Zukunftsgewißheit. (…)Der Verlust des Lebenswillens kann die Endkonsequenz dieses Höllentrips durch die neokapitalistische Wolfsgesellschaft sein, die den Menschen im Zeitalter globaler, volkswirtschaftlich entkoppelter Finanzströme selbst als ausbeutbare Profitquelle immer seltener braucht.

(Gansel (Juli 2006) „Mitteldeutschland als Testfeld der Globalisierer")

Entscheidend für den Kern des „Antikapitalismus" von rechts ist also die Frage, worin die extreme Rechte die Gründe für die soziale Misere sieht und wie ihre Lösungsvorschläge aussehen. Hier sind die Antworten recht eindeutig und altbekannt. Antikapitalismus und Kritik an den sozialen Zuständen erfolgen bei den Nazis immer aus einer völkischen, einer rassistischen Perspektive. Nicht der Kapitalismus als universales Ausbeutungsverhältnis wird kritisiert. Nicht die universelle Profitlogik, die die sozialen Bedürfnisse der Menschen hinter die Fragen nach Gewinn, Rendite und Wachstum zurückdrängt wird in Frage gestellt. Kritisiert wird vor allem ein Kapitalismus, der sich von seinen nationalen Wurzeln entfernt hat, der ein globaler Kapitalismus ist und dessen negative Seiten auch die abhängig beschäftigten Deutschen treffen. Die dem kapitalistischen System immanente Konkurrenzlogik trifft sich dagegen genau mit dem Menschenbild der Nazis, für die es einen ständigen Kampf ums Dasein gibt, für die die Einteilung in Höher- und Minderwertige die Norm ist, die das alleinige Überleben des Stärkeren propagieren. Verändert werden soll der Kapitalismus nur da, wo er auch auf die vermeintlich höherwertigen arischen Deutschen negative Auswirkungen hat.

So gilt den Nazis das Konkurrenzverhältnis da als schlecht, wo es über die Konkurrenz mit billigen Arbeitskräften aus dem Osten auf deutsche Arbeiter und Arbeiterinnen zurückschlägt. Wenn dagegen das deutsche Kapital, geschützt vor ausländischer Konkurrenz, andere Länder durchdringt und den Menschen dort die Bedingungen diktiert, dann haben die Nazis nichts dagegen einzuwenden. Die von den Nazis, ganz in der Tradition des Faschismus propagierte „raumorientierte Volkswirtschaft", ist das Modell für einen solchen nationalen Kapitalismus.

Auch in ihrer Globalisierungskritik adaptieren die heutigen Nazis in aller Offenheit ihr historisches Vorbild. Sie beziehen sich dabei auf die im NSDAP-Programm von 1920 gebrauchte Unterscheidung in „raffendes" und „schaffendes Kapital". Das nationale Kapital, die deutschen Kapitalisten, gelten in dieser Logik als „schaffende" Kapitalisten, während internationale Kapitalverbünde, Großbanken und Hedgefonds als „raffendes Kapital" definiert werden, die wiederum mit einer geographischen Herkunft („Ostküsten-Kapital") charakterisiert werden. In einem aktuellen Schulungsmaterial der NPD für Wahlkämpfe heißt es dazu wörtlich:

„Der Kapitalismus ist aufgrund seines nomadischen Händlergeistes, seiner vagabundieren, grenzenlosen Profit- und Spekulationssucht, seiner Verachtung von Volk und Heimat sowie seiner Missachtung des Volkswohls ein vaterlandsloser Geselle und damit das antinationale Prinzip schlechthin."

In beiden Stichworten findet man bereits die Verbindungslinien zu einem Grundelement faschistischer Ideologie, den rassistischen Antisemitismus.

Der „nomadische Händlergeist", der „vagabundiert", gilt in der faschistischen Ideologie als Synonym für Judentum. Auch der Begriff „Ostküste" – gemeint sind US-Banken in New York und anderen Metropolen des Ostens der USA – gilt als Sprachcode nicht nur für amerikanisches bzw. internationales Kapital, sondern für jüdische Kontrolle über die Finanzmärkte. Statt über Profitlogik und Kapitalinteressen zu sprechen, wird das Handeln von Investmentfonds als „von jüdischen Dunkelmännern bestimmt" charakterisiert, die ein Interesse am Aussaugen nationaler Ökonomien haben.

Vor diesem Hintergrund ist auch die politische Antwort der extremen Rechten auf die Globalisierung in sich schlüssig. Sie fordern keine gerechte Weltwirtschaft, sondern propagieren: „National statt global!"

Und da der „nomadisierende Kapitalismus" angeblich ein Interesse an der ungehemmten Zuwanderung von billigen Arbeitskräften in unser Land hat, verbindet sich Kapitalismus- und Globalisierungskritik ganz ungebrochen mit der rassistischen Propaganda von NPD und anderen Rechten.

Das rassistische Gegeneinander von Deutschen und Nichtdeutschen ist der Kern bei der Thematisierung der sozialen Frage.

Jürgen Gansel macht das in zahlreichen Beiträgen immer wieder deutlich:

Die Nationalisierung der sozialen Frage und die Vision eines solidarischen Volksstaates, in dem die soziale Teilhaberschaft eines jeden Deutschen garantiert ist, wird dem Nationalismus soviel Zulauf bescheren, daß die morschen Knochen der Volks- und Vaterlandsabwickler noch gehörig zittern werden. Die Ethnisierung des Sozialen (wir Deutschen oder die Fremden) ist eine Aktualisierung und sozialpolitische Durchformung von Carl Schmitts Freund-Feind-Unterscheidung als Essenz des Politischen; und eben auch als Essenz des Sozialstaatsprinzips. In diesem Sinne lauten die Gegensatzpaare: Sozialstaat oder Einwanderungsstaat, solidarische Wir-Gemeinschaft oder materialistische Ich-Gesellschaft, staatszentrierter Nationalverband oder marktzentrierte Weltzivilisation. Es dürfte klar sein, wofür sich die meisten Deutschen als Abwehrreaktion gegen die Wohlstands-, Wert- und Gemeinschaftserosion in naher Zukunft entscheiden werden. (Gansel: Der Abschied der Linken von der sozialen Frage)

Warum ist die extreme Rechte mit der sozialen Frage erfolgreich?

Die soziale Frage ist keine Propaganda der extremen Rechten, keine Erfindung der NPD – sie ist ein täglich drängendes Problem für Millionen Menschen hier und heute.

Vereinfacht gesagt kann die extreme Rechte mit diesem Thema deshalb erfolgreich sein, weil eine größer werdende Zahl der etablierten Politik und dem politisches System keine Lösung dieser Frage mehr zutraut. Die NPD findet ihre Anhänger sowohl bei den realen Verlierern der Entwicklung aber auch bei solchen, die Sorge haben, demnächst zu diesen Verlierern gehören zu können. Dieses Phänomen konnte in den 80er Jahren auch in der alten BRD beobachtet werden, als die Partei „Die Republikaner" und die DVU mit vergleichbaren Parolen auf soziale Ängste und politische Verunsicherungen reagierten.

Die extreme Rechte kann aber auch deshalb mit der sozialen Frage und mit ihrer Form des Antikapitalismus erfolgreich sein, weil ihr diese Frage von größeren Teilen der Linken überlassen wurde. Insbesondere die Sozialdemokratie hat die soziale Frage als zentrales Element ihrer Politik aufgegeben und sich der neoliberalen „Modernisierung" zugewandt. (Dies ist im übrigen kein rein deutsches Phänomen, sondern in zahlreichen europäischen Ländern seit dem Ende der neunziger Jahre zu beobachten. Überall hat es auch zu einem Aufschwung von Parteien der extremen Rechten geführt.)

In einem Artikel für die Deutsche Stimme schreibt der hier schon mehrfach zitierte Jürgen Gansel unter der Überschrift „Der Abschied der Linken von der sozialen Frage":

„Die sozialen Interessen der Deutschen kommen in der Gedankenwelt von SPD und Grünen, WASG und PDS nicht mehr vor. Die soziale Frage, an der sich die Linke historisch abarbeitete und die für sie einmal identitätsstiftend war, wird heute zugunsten eines inhaltsleeren Machtopportunismus und eines manischen Minderheitenkultes fallengelassen.

Damit räumt die Linke das Themenfeld, auf dem die politischen Schlachten der Zukunft geschlagen werden."

Muss man der extremen Rechten die soziale Frage von links streitig machen?

Es ist heute unstrittig, dass der Kapitalismuskritik von rechts eine antifaschistische Antwort entgegengesetzt werden muss.

In verschiedenen Analysen von Gewerkschaften und antifaschistischen Strukturen wird diese Frage behandelt, wobei die Antworten naturgemäß unterschiedlich sind.

Zu Recht wird deutlich gemacht, dass der Anti-Kapitalismus von rechts keine wirkliche Systemopposition ist, da diese Kritik die kapitalistische Wirtschaftsordnung nicht aufheben will, sondern nur unter nationalistischen Vorzeichen zu gestalten plant. Daher wird in manchen Veröffentlichungen der Anti-Kapitalismus als reine Propaganda bezeichnet.

Daraus würde sich als antifaschistische Strategie ableiten, die Widersprüche in der Propaganda zu entlarven und den potenziellen Anhängern und Wählern deutlich zu machen, dass ihre antikapitalistischen Wünsche und Sehnsüchte von der extremen Rechten prinzipiell nicht umgesetzt werden können.

In einigen – verkürzten – Argumentationen heißt es daher: Eine gute Sozialpolitik sei die beste antifaschistische Strategie. Bundes- und Landesregierungen haben daher schon einige Male verkündet, ihre Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit seien ein Beitrag gegen die extreme Rechte. Das „Ergebnis" sieht man in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern.

Offenkundig reicht es nicht, kurzfristige Beschäftigungsformen zu organisieren, um die – tatsächliche oder empfundene – prekäre gesellschaftliche Lage aufzuheben. Zudem ist bekannt, dass sich viele Anhänger der extremen Rechten in Ausbildung oder in gesicherten Beschäftigungsverhältnissen befinden. Offenkundig bedarf es anderer Antworten im Rahmen antifaschistischer Strategien in der sozialen Frage.

Wenn die rassistische Durchdringung der Kapitalismuskritik und der sozialen Frage der ideologische Kern der extremen Rechten ist, dann muss eine linke Antwort darauf das rassistische Prinzip durchbrechen. Internationale Investmentfonds als „Heuschrecken" zu bezeichnen, die wie eine Plage über Betriebe in unserem Land herfallen, sie aussaugen und „verbrannte Erde" hinterlassen, mag zwar in populistischer Verkürzung hilfreich sein, die Globalisierungskritik darauf zu reduzieren, liefert jedoch Stichworte für rassistische Denkschemata. Auch wenn linke Kritik damit zu „kopflastig" erscheint, ohne Erkenntnis der Profitlogik des Kapitalsystems wird hieraus keine tatsächliche Systemalternative.

Und ein zweites Element antifaschistischer Kapitalismuskritik grenzt extrem rechtes Denken aus: Es muss in sozialen Auseinandersetzungen immer wieder deutlich gemacht werden, dass es um Arbeit, soziale Sicherheit, Gesundheit und Versorgung aller hier lebender Menschen geht, nicht nur derjenigen, die durch einen deutschen Pass privilegiert sind.

Was tun?

Eben hatte ich gesagt, dass allein der Verweis auf eine gute linke Sozialpolitik als antifaschistische Strategie zu kurz greift. Aber natürlich ist die Thematisierung der sozialen Frage durch die Linke ein zentraler Punkt. Die aktuellen Erfolge der LINKEN sind sicherlich ein Grund für die aktuellen Misserfolge der extremen Rechten. Wichtig für die Linke ist es aber, die soziale Frage in einer Form zu thematisieren, die sich von den Nazis deutlich und klar unterscheidet. Dass es hier manchmal Probleme gibt, haben die Montagsdemos gegen Hartz IV deutlich gemacht, wo nicht nur im Osten Nazis versucht (und manchmal auch geschafft) haben, die Proteste für sich zu vereinnahmen. In der Vergangenheit waren oftmals Kampagnen, Demonstrationen etc. die von der Linken und Gewerkschaften ausgingen, deswegen von Neonazis so leicht zu besetzten, weil nicht genau genug darauf geachtet wurde, dass völkische und rassistische Interpretationen unmöglich sind. Es ist ein Unterschied ob gefordert wird „Soziale Rechte für alle" oder nur „Verteidigt den Sozialstaat"/"Weg mit Hartz IV". Die Verbindung eines universellen humanistischen Menschenbildes mit sozialer Teilhabe an den gesellschaftlichen Reichtümern für „Alle" macht die Soziale Frage anschlussunfähig für die, die nur Verbündete für ihren Rassismus suchen. Wenn die Kampagne dann auch noch einen internationalistischen Ansatz hat, im Sinne von: „Die Grenzen verlaufen zwischen oben und unten, und nicht zwischen den Völkern" gruseln sich Neonazis und die Gefahr einer Übernahme ist gering.

Aber neben dieser Thematisierung der sozialen Frage als Möglichkeit, den Nazis das Wasser abzugraben, gibt es eine ganze Reihe von Feldern, auf denen auch DIE LINKE konkret gegen rechts vorgeht. Ich will exemplarisch nur drei Bereiche nennen, die man vielleicht mit „Analyse, Prävention, Repression" überschreiben könnte.

Analyse: Um die Alltagsgefahr des Neofaschismus überhaupt deutlich zu machen, ist es wichtig zu wissen, was auf Seiten der Nazis passiert. DIE LINKE fragt regelmäßig nach rechten Straf- und Gewalttaten, nach Konzerten und Musikveranstaltungen der Nazis die, wie viele sicher wissen, eine Art Einstiegsdroge für viele Jugendliche in die Szene sind und wir fragen nach rechten Aufmärschen und Demonstrationen – kurz, wir versuchen, öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen.

Prävention: DIE LINKE hat sich nachdrücklich für den Erhalt und den Ausbau der vom Bund finanzierten Projekte gegen Rechtextremismus eingesetzt. Diese Projekte standen vor etwas mehr als einem Jahr auf der Kippe, weil die Union sie eigentlich nicht mehr wollte. Nur dem Druck von Opposition, Medien und der engagierten Öffentlichkeit ist es gelungen, die Projekte zu erhalten und die Finanzierung zu sichern. An der konkreten Ausgestaltung haben wir nach wie vor Kritik, dennoch ist ihr Erhalt ein wichtiger Erfolg.

Ein Thema, zu dem ich selbst intensiv arbeite: Die Bundesrepublik hat einen Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus vorgelegt, der m.E. am eigentlichen Problem vorbei geht. Rassismus und Ausgrenzung von MigrantInnen werden hier nur als ein Problem des rechten Randes beschrieben und nur hier sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, aktiv zu werden. Den strukturellen Rassismus in der Mitte der Gesellschaft, auf staatlicher Ebene, in den Behörden, nimmt dieser Plan noch nicht einmal in den Blick. Zusammen mit zahlreichen NGOs kämpfen wir für eine grundlegende Überarbeitung dieses Plans.

Repression: Hier steht aktuell mal wieder die Frage des NPD-Verbots auf der Tagesordnung. Diese Debatte ist leider nur eine Scheindebatte, weil weder SPD noch CDU bereit sind, die vom Verfassungsgericht genannten Voraussetzungen für ein solches Verbot umzusetzen: Die Abschaltung aller V-Leute in der NPD. DIE LINKE hatte und hat jetzt erneut hierzu einen Antrag zur Abschaltung der V-Leute in den Bundestag eingebracht. Beim ersten Versuch haben alle anderen Parteien diesen Antrag abgelehnt, womit es für mich fraglich ist, ob man hier wirklich ein Verbot erreichen will.

Aber natürlich ist der Bundestag nicht die zentrale Ebene der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten. Die alltägliche Auseinandersetzung findet vor Ort statt. Als breites und aktives Bündnis werdet ihr am besten wissen, wie man der Gefahr von rechts vor Ort begegnen muss. Aus meiner Sicht ist dabei, gerade bezogen auf mein Thema, wichtig, dass die Thematisierung des gesellschaftlichen Alltagsrassismus nicht aus dem Blick gerät. Residenzpflicht, Abschiebungen, Diskriminierung von MigrantInnen bei Arbeit, Behörden, Polizei etc. gehören für mich auch zum Kampf gegen Rechts dazu. Denn schließlich ist es dieser Alltagsrassismus, auf den die Nazis ihr Weltbild und ihre Ideologie aufbauen.