Nicht die Fluchtursachen, sondern die Menschen werden bekämpft
Sehr geehrte Damen und Herren,
Männer und Frauen suchen sich nicht aus, wo sie geboren werden. Doch sie sollten das Recht haben zu wählen, wo sie leben wollen. Und das gilt gerade für Menschen, deren Existenz durch Hunger, Durst, Krankheiten und Krieg bedroht ist.
Statt aber die Ursachen für Flucht und erzwungene Migration zu bekämpfen, werden leider die Menschen bekämpft. Statt ihre Verantwortung für die auf dem Trikont bestehenden Situationen zu übernehmen, wälzt auch die EU im großen Maßstab die ökonomischen, sozialen und ökologischen Kosten ihres Entwicklungsmodells auf diese Länder ab. Vom Schengen-Abkommen bis zum Dublin-Abkommen, von der EU-Agentur für die Koordinierung der Kontrollen an den Außengrenzen (FRONTEX) bis zu den beiden umfassenden Datenbanken Schengener Informationssystem (SIS) und VISA-Informations-System (VIS), vom geschlossenen Aufnahmelager, den Abschiebungen und den Abwehrmethoden an den Grenzen bis zur Unterdrückung in den Metropolen, Europa beweist, dass es Flucht und Migration als ein Problem begreift, dem mit Grenzüberwachung und Repression begegnet werden muss. Die bisherigen Höhepunkte menschenverachtender EU-Migrationspolitik sind die so genannte Rückführungsrichtlinie – eine inhumane Abschiebungsrichtlinie und Direktive der Schande – und der „Pakt für Einwanderung und Asyl".
Gerade letzterer verdeutlicht den neokolonialistischen Stil seitens der EU gegenüber gerade afrikanischen Staaten. Im Zentrum des Paktes steht die Kombination einer verstärkten Aufrüstung an den Außengrenzen, die Einbindung von Transitstaaten in die Flüchtlingsabwehr, die Neuauflage des „Gastarbeitermodells" im Gewande der „zirkulären Migration" und der Abschluss so genannter Mobilitätspartnerschaften. Die Erfüllung der von der EU vorgegebenen Bedingungen, z. B. der Abschluss von Rückübernahmeabkommen und die Verhinderung der Flucht nach Europa durch schärfere Grenzkontrollen, wird mit der vagen Aussicht auf einen besseren Zugang seiner Bürgerinnen und Bürger zur EU gekauft. Auf diese Weise kann in Abhängigkeit vom jeweiligen Bedarf auf dem europäischen bzw. deutschen Arbeitsmarkt auf Arbeitskräfte aus Drittstaaten zurückgegriffen werden. Gleichzeitig weiß man sich aber auf der sicheren Seite, diese dann auch wieder „loszuwerden", wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Darüber hinaus wird die Aufgabe der Flüchtlingsabwehr aus der EU hinaus verlagert und mittels der in Gegenleistung dann auch noch „selbstlos" zur Verfügung gestellten Mittel zur Entwicklungszusammenarbeit die Märkte für deutsche bzw. EU-Produkte geöffnet werden. So sieht der – wie es Herr Grindel von der CDU/CSU-Fraktion in der ersten Lesung so nett formulierte – der „entwicklungshilfepolitische Ansatz" aus, der mit dem Instrument „zirkuläre Migration" verfolgt wird. Es geht um geo- und militärstrategische, energie- bzw. rohstoffpolitische oder ökonomische Eigeninteressen, um Flüchtlingsabwehr und Auslese von Fachkräften und Hochqualifizierten für den „globalen Standortwettbewerb".
Sehr geehrte Damen und Herren,
genau diesen Zusammenhang lässt der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weitgehend unberücksichtigt, wenn sie „zirkuläre Migration" und so genannte „Punktemigration" im Grundsatz mit trägt. Bei den Vorschlägen zur Arbeitsmigration bleibt unklar, wie die Forderung, es solle legale und dauerhafte Einwanderungsmöglichkeiten auch für nicht-hochqualifizierte Migrantinnen und Migranten geben, konkret umsetzen will. Der Vorschlag eines „Punktesystems" ist im Gegenteil ganz klar einseitig an den Interessen der Nationalstaaten ausgerichtet. Es führt zur Selektion nach Nützlichkeitskriterien. So wie die LINKE es ablehnt Kopfnoten zu verteilen, lehnen wir es ab, Menschen nach Punkten zu bewerten.
Zwar sollen Fluchtursachen bekämpft werden. Doch es gibt keine Kritik an der Militär-, Außen- und Freihandelspolitik der EU. Unklar bleibt auch, wie die Bekämpfung eigentlich konkret geschehen soll.
Auch die Aufgabe und Arbeit von FRONTEX, die eine möglichst lückenlose Abschottung vor unerwünschter Migration organisieren soll, wird weder klar benannt noch grundsätzlich in Frage gestellt. Die Forderung nach mehr parlamentarischer Kontrolle von FRONTEX und neuen Dokumentationspflichten greift viel zu kurz! Die LINKE. fordert die Abschaffung von FRONTEX und nicht die parlamentarische Kontrolle, wie es BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tun.
Hinsichtlich der Dublin II-Verordnung werden lediglich Forderungen gestellt, wie sie jetzt auch von der EU-Kommission vorgeschlagen wurden. Dies geht zwar in eine richtige Richtung, aber DIE LINKE. fordern, dass sich Asylsuchende ihr Zufluchtsland in der EU selbst aussuchen können müssen.
Die Forderung nach einer Korrektur der Rückführungsrichtlinie – insbesondere im Hinblick auf die Ingewahrsamnahme von Minderjährigen ist aus unserer Sicht viel zu zurückhaltend formuliert und spart wesentliche Kritikpunkte an der menschenrechtswidrigen Abschiebungsrichtlinie aus. Das betrifft unter anderem die Möglichkeit einer Inhaftierung zur Sicherung einer Abschiebung bis zu 18 Monaten.
Schließlich bleiben in dem Antrag auch mehrere Aspekte ausgespart, etwa Legalisierungsmöglichkeiten für Illegalisierte.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
DIE LINKE steht für eine grundlegend neu ausgerichtete europäische Migrations-, Flüchtlings- und Integrationspolitik. Eine, die sich nicht nach den Verwertungsinteressen des Kapitals richtet. Wir wollen eine Migrations- und Integrationspolitik deren Maßstab der Mensch ist; eine Migrations- und Integrationspolitik, die sich für die Verknüpfung von Menschen- und Arbeitnehmerrechten stark macht.
DIE LINKE will, dass „Entwicklungszusammenarbeit" nicht in ausbeuterischer Absicht instrumentalisiert wird bzw. vom „Wohlverhalten" der Länder bei Öffnung ihrer Ökonomien, bei Rückübernahmen und Grenzüberwachung.
Wir fordern, dass der Schutz von Flüchtlingen in den Mittelpunkt gestellt wird. Das bedeutet für uns LINKE, die Achtung des refoulement-Verbots, die Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge („resettlement"), der Verzicht auf Regelungen „sicherer Drittstaaten", das Flüchtlingen die Wahl ihres Zufluchtlandes überlassen wird und Illegalisierten Legalisierungsmöglichkeiten eingeräumt und deren Kämpfe gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen unterstützt werden.
Das sind für uns Schritte hin zu einer menschenfreundlich fundierten Europäischen Migrationspolitik. Der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beinhaltet weder solche Schritte, noch eine grundsätzliche Kritik an dem bestehenden Migrationsregime. Stattdessen wird auf eine etwas moderatere Verwertungspolitik abgehoben. Deshalb lehnen wir den Antrag ab.
Danke!