Opfer von Zwangsverheiratungen nicht instrumentalisieren, sondern schützen
In der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthaltsund asylrechtlicher Vorschriften gerierte sich die Regierungskoalition als Vertreter der Frauenrechte. So würden sie Zwangsverheiratungen, Scheinehen und generell Gewalt gegen Frauen – seien sie nun physischer oder psychischer Natur- energisch bekämpfen. Doch wie Frauen aus leidvoller Erfahrung aus den letzten Jahrzehnten wissen, stehen CDU/CSU und FDP nicht als frauenpolitische Avantgarde für die Rechte der Frauen ein. Schon gar nicht, wenn es um Migrantinnen geht. Deshalb überrascht es auch nicht, dass gerade Frauenorganisationen und Beratungsstellen kein gutes Haar am Gesetzentwurf der Bundesregierung hinsichtlich der Bekämpfung von Zwangsverheiratungen lassen. Denn es ist unglaubwürdig, wenn die Bundesregierung vorgibt, vor allem im Interesse der Opfer von Zwangsverheiratungen zu handeln.
Ginge es der Bundesregierung tatsächlich um die Opfer von Zwangsverheiratungen, hätte sie bereits vor Jahren Verbesserungen für die betroffenen Frauen und im geringeren Umfang auch betroffene Männer geschaffen. Zur Stärkung der Opfer von Zwangsheiraten hätte man in Bezug auf flächendeckende, niedrigschwellige Beratungsangebote und Notfall-Unterbringungen oder in Bezug auf verfahrensrechtliche Änderungen zur Gewährleistung der Sicherheit und Anonymität der Opfer im Gerichtsverfahren aktiv werden können und müssen. Die umfassenden Forderungen der Fraktion DIE LINKE. lassen sich in unseren damaligen Antrag mit der Bundestagsdrucksachennummer 16/1564 nachlesen. Entsprechende Vorschläge der Fraktion DIE LINKE. aus dem Jahr 2006 wurden in der 16. Wahlperiode des Bundestages jedoch von der Großen Koalition abgelehnt. Genau so wurde die Forderung, ein effektives Rückkehrrecht im Aufenthaltsgesetz zu schaffen, abgelehnt. Abgelehnt, obwohl sich im Rahmen einer Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend alle Sachverständigen mit einer Ausnahme hierfür ausgesprochen hatten. Auch dies lässt sich nachlesen. Und zwar im Ausschussprotokoll 16/13 und in der Ausschussdrucksache 16(13)91g.
DIE LINKE stand damals an der Seite der Frauenrechtsorganisationen und tut dies auch heute.
Im aktuellen Gesetzentwurf der Bundesregierung will sie nun die Mindestehebestandszeit von zwei auf drei Jahre unter dem Vorwand verlängern, Scheinehen zu bekämpfen. Diese Behauptung ist abwegig und dieser Behauptung widersprechen eklatant die vorliegenden Daten zur Zahl polizeilich erfasster Scheinehe-Verdachtsfälle, die im Jahr 2009 mit 1.698 nicht einmal ein Drittel des Werts aus dem Jahr 2000 erreichte. Und 2000 gab es noch eine Mindestehebestandszeit von vier Jahren.
Die Erhöhung der Ehebestandszeit ist ein Skandal. Und das weiß auch die Bundesregierung. Sie ist nicht zuletzt deshalb ein Skandal, weil sie auch gegen Europarecht verstößt. Wie die Bundesregierung einräumen musste, ist die geplante Verlängerung der Mindestbestandszeit einer Ehe für die Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts von nachgezogenen Ehegatten bei türkischen Staatsangehörigen aus europarechtlichen Gründen nur bedingt anwendbar. So hat der Europäische Gerichtshof mit dem „Toprak"-Urteil vom 9.12.2010 entschieden, dass die geplante Verlängerung der Mindestehebestandszeit von zwei auf drei Jahre auf die größte Gruppe der Migrantinnen und Migranten aus europarechtlichen Gründen nur sehr bedingt anwendbar ist. Denn das Assoziationsrecht sieht ein Verschlechterungsverbot für türkische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen vor: Einmal gewährte Erleichterungen im Aufenthalts- und Arbeitsrecht dürfen nicht wieder zurückgenommen werden.
Wider besseren Wissens versucht die Bundesregierung die Verschlechterungen beim Schutz der Opfer von Zwangsverheiratungen dadurch zu verschleiern, dass ein eigenständiger Straftatbestand geschaffen und das Rückkehrrecht erweitert wird. Ersteres ist lediglich Symbolpolitik und hat mit einer realen Verbesserung nichts zu tun. Diejenigen, die sich bisher nicht mit dem Strafgesetzbuch beschäftigt bzw. es ignoriert haben, werden es auch weiterhin tun. Da spielt es keine Rolle, ob Zwangsverheiratung nun in § 240 Strafgesetzbuch als besonders schwerer Fall der Nötigung oder in einem eigenen § 237 Abs. 4 Strafgesetzbuch geregelt wird. Und die einzige wirkliche Verbesserung – nämlich die Einführung eines Rückkehrrechts – ist entsprechend nur halbherzig angegangen worden.
Das vorgeschlagene Wiederkehrrecht für Opfer von Zwangsverheiratungen, die von einer Rückkehr nach Deutschland abgehalten werden, ist unzureichend. § 37 Abs. 2a des Aufenthaltsgesetzes ist im Entwurf zunächst nur als eine bloße Ermessens-Regelung ausgestaltet. Erschwerend kommt hinzu, dass dieses Ermessen eine mit dem Gedanken eines effektiven Opferschutzes unvereinbare Nützlichkeitsprüfung enthält. So ist Bedingung für eine Rückkehr, dass sich die Betroffenen aufgrund „der bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen" können. Ein Regelanspruch auf Rückkehr
ohne eine solche Prüfung der „Integrationsfähigkeit" ist nur nach achtjährigem rechtmäßigem Aufenthalt und sechsjährigem Schulbesuch in Deutschland vorgesehen. Die geplante Regelung wird wegen dieser Restriktionen nach Einschätzung des Deutschen Anwaltvereins nur „ein plakatives Signal gegen Zwangsehe" setzen und wegen seiner unzureichenden Ausgestaltung „wenig Praxisrelevanz haben", wie ihrer Stellungnahme zu entnehmen ist. Auch die nur dreimonatige Bedenkzeit „nach Wegfall der Zwangslage" zur Stellung eines Rückkehrantrags wird sich sicher angesichts der besonderen Ausnahmesituation und Belastungen der Betroffenen als viel zu kurz erweisen. Regelungen für verschleppte Personen ohne gefestigten Aufenthaltsstatus in Deutschland wie zum Beispiel Geduldete fehlen in dem Gesetzentwurf völlig.
DIE LINKE. fordert deshalb ein wirksames Rückkehrrecht für zwangsverheiratete und verschleppte Personen. Zwangsverheirateten oder von Zwangsverheiratungen bedrohten oder gegen ihren Willen ins Ausland verschleppte Personen, die rechtmäßig ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatten und an einer Rückkehr nach Deutschland gehindert werden, muss ein unbeschränktes Recht auf Wiederkehr eingeräumt werden. Grundsätzlich darf der Aufenthaltstitel nicht durch einen längeren Auslandsaufenthalt erlöschen. Die Frist des Erlöschens muss vorsorglich auf drei Jahre verlängert werden. Und DIE LINKE fordert auch, dass für zwangsverheiratete und ins Ausland verschleppte Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt, aber ohne rechtmäßigen Aufenthaltstitel in Deutschland ein Rückkehrrecht und Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen geschaffen wird.
Eine weitere zentrale Forderung der LINKEN bleibt, dass auf die geplante Verlängerung der Mindest-Ehebestandszeit verzichtet wird. Wir brauchen vielmehr eine Härtefallregelung für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht von Ehegatten. Das muss durch entsprechende Klarstellungen so ausgestaltet werden, dass sie insbesondere von Opfern von Gewalt und Zwangsheirat ohne Angst vor einer Abschiebung jederzeit effektiv in Anspruch genommen werden kann. Das wäre dann auch frauenfreundlich.