Optionspflicht endlich abschaffen
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (BT-Drs. 18/1312) sowie Erste Beratung des von den Abgeordneten Jan Korte, Sevim Dagdelen, Dr. André Hahn, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Aufhebung der Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsrecht (BT-Drs. 18/1092)
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich werde der SPD keinen Koalitionsvertrag vorlegen, in dem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht drin ist.
Dies erklärte der Vorsitzende der SPD und jetzige Vizekanzler Sigmar Gabriel auf dem SPD-Parteitag ‑ nach den Bundestagswahlen, vor dem Koalitionsvertrag ‑ am 2. November 2013.
Im Vorfeld, im Bundestagswahlkampf, ging es vor allen Dingen auch darum, Wählerinnen- und Wählerstimmen unter Migrantinnen und Migranten zu bekommen. So suchte man die Nähe zu Migrantenselbstorganisationen und warb um die Unterstützung bei der Wahl. Das konkrete Versprechen lautete: Man wird sich für die Rechte der Migrantinnen und Migranten, besonders die der Türkinnen und Türken, einsetzen. Was steht jetzt im Koalitionsvertrag? Darin steht nichts von doppelter Staatsangehörigkeit und nichts von der Abschaffung der Optionspflicht. Darin steht:
Wer in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, soll seinen deutschen Pass nicht verlieren und keiner Optionspflicht unterliegen.
Wie befürchtet ‑von unserer Seite, aber auch von vielen Migrantinnen und Migranten ‑, entpuppte sich der Kompromiss im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD als faul; denn was die Formulierung „in Deutschland geboren und aufgewachsen" bedeutet, machte im Februar dieses Jahres Bundesinnenminister Thomas de Maizière deutlich: Entfallen solle die Optionspflicht bei denjenigen, die bis zu ihrem 23. Lebensjahr zwölf Jahre hier gelebt haben, davon mindestens vier Jahre zwischen ihrem zehnten und 16. Lebensjahr. Nachgewiesen werden könne dies anhand von Meldebescheinigungen, alternativ reiche auch ein deutscher Schulabschluss.
Bereits seit Jahren wird der bürokratische Aufwand ‑ man nennt es auch Bürokratiemonster ‑ bei den Optionspflichtigen in den Einbürgerungsbehörden kritisiert. Gerade dieser enorme Bürokratieaufwand hat drei von der SPD mitregierte Länder eine Initiative in den Bundesrat einbringen lassen, mit der die generelle Abschaffung der Optionspflicht gefordert wird.
(Beifall der Abg. Ulla Jelpke (DIE LINKE))
Ich sage an dieser Stelle: Wir als Linke loben diese Bundesratsinitiative ausdrücklich.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber leider, leider wurde die mutige Tat dieser drei Bundesländer sofort von der SPD-Generalsekretärin, die den Unionsparteien Treue schwor, einkassiert. Noch im April, also vor zwei Monaten, hatten viele Organisationen und Verbände den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel in einem offenen Brief aufgefordert, gegenüber den Unionsparteien an der vollständigen Abschaffung der Optionspflicht im Staatsangehörigkeitsrecht festzuhalten und Wort zu halten. Doch auch dieser Appell blieb leider ohne Erfolg. So ist der vorliegende Gesetzentwurf kümmerlich geblieben; denn herausgekommen ist ein kleingeistiger, engstirniger, ja ein fauler Kompromiss zwischen den Koalitionsfraktionen.
(Swen Schulz (Spandau) (SPD): Aber ein Fortschritt!)
In Deutschland aufgewachsen und von der Optionspflicht befreit ist nach dem vorliegenden Gesetzentwurf, wer bei Vollendung seines 21. Lebensjahres mindestens acht Jahre in Deutschland lebt, sechs Jahre lang eine Schule in Deutschland besucht hat, einen deutschen Schulabschluss oder eine abgeschlossene Berufsausbildung hat. Falls kein Antrag der betroffenen Person vorliegt, prüft die Behörde nach dem 21. Geburtstag die Voraussetzungen von Amts wegen.
Die Mehrheit wird in Zukunft überhaupt nicht mehr in Kontakt zu den Behörden treten müssen,
so heißt es im vorliegenden Gesetzentwurf. Über 90 Prozent der Betroffenen werden die Nachweise über das Aufwachsen in Deutschland erbringen können. Einen Wohnsitz im Ausland haben derzeit laut Melderegister lediglich 3 Prozent, so das Bundesinnenministerium. Angesichts der wirklich kleinen Zahl von überwiegend im Ausland aufgewachsenen Kindern ist es unserer Meinung nach nicht zu rechtfertigen, diesen Riesenaufwand mit Zehntausenden Optionsverfahren pro Jahrgang weiter zu betreiben.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Es ist wirklich absurd und nur mit ideologischer Borniertheit zu erklären, dass an diesen Zehntausenden Optionsverfahren pro Jahr festgehalten werden soll ‑ ab 2018 etwa 40 000 im Jahr ‑, nur damit am Ende einigen wenigen Menschen der Doppelpass vorenthalten werden kann.
(Beifall bei der LINKEN)
So bleibt es bei diesem Wahnsinn der Optionspflicht in Deutschland, einer weltweit wirklich einmaligen Regelung. Die völlig gleichberechtigte Zugehörigkeit, also die deutsche Staatsbürgerschaft, hier geborener Kinder wird in einer oft ohnehin schwierigen Lebensphase ‑ das müsste hier eigentlich jeder wissen ‑ infrage gestellt. Künftig wird es ‑ so das Gesetz ‑ Deutsche nach Absatz 1 des § 29 Staatsangehörigkeitsgesetz geben, das bedeutet nichts anders als Deutsche zweiter Klasse.
Meine Damen und Herren, insbesondere türkische Migrantinnen und Migranten fühlen sich erneut vor den Kopf gestoßen; denn Kinder mit einer deutsch-EU- oder deutsch-schweizerischen Doppelstaatsangehörigkeit sollen künftig generell nicht mehr optieren müssen. Man sieht: Was für sehr viele gilt, gilt nicht für türkische Migrantinnen und Migranten. Sie müssen nachweisen, dass sie wirkliche, tatsächliche Deutsche sind, wenn sie ihren Doppelpass behalten wollen. Dieser diskriminierende Effekt ist etwas, was wir abschaffen wollen.
(Beifall bei der LINKEN)
Diese Diskriminierungen müssen aus Sicht der Linken ein Ende haben. Deshalb fordern wir Sie auf: Öffnen Sie die Fenster, schaffen Sie endlich die Optionspflicht bedingungslos ab, und akzeptieren Sie auch endlich etwas, was mittlerweile zum Normalzustand in der Europäischen Union gehört, nämlich die doppelte Staatsbürgerschaft!
(Beifall bei der LINKEN)
Wir als Linke wollen es Ihnen wirklich leichtmachen. Wir haben Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der im Wortlaut eins zu eins der von mir angesprochenen Bundesratsinitiative der drei SPD-mitregierten Bundesländer entspricht. Glauben Sie mir wirklich: Es geht nicht darum, Sie in irgendeiner Art und Weise im Bundestag vorzuführen. Es geht lediglich darum, dass diese Initiative endlich diese Diskriminierungen beseitigt. Es gibt eine Mehrheit im Deutschen Bundestag und auch im Bundesrat für die bedingungslose Abschaffung dieser wirklich unsäglichen Optionspflicht. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Schritt gehen, und lassen Sie uns sagen: Diese wahnsinnige, weltweit einmalige Regelung gibt es in Deutschland nicht mehr, wir sind für ein fortschrittliches Staatsbürgerschaftsrecht, wir sind für die Abschaffung der Optionspflicht. Lassen Sie uns gemeinsam dieses Zeichen setzen für Integration,
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
gegen Diskriminierungen und gegen neue Bürokratiemonster, die hiermit heute auch geschaffen werden!
(Beifall bei der LINKEN)