Parteitag der Linken: Unbeliebte Realpolitik

Die Linke streitet über den Kurs ihrer Partei und macht dabei deutlich, wie wenig sich die unterschiedlichen Parteiflügel zu sagen haben und wie wenig der Parteichef Oskar Lafontaine seine eigene Partei versteht.

Es ist noch nicht lange her, da wurde Angelika Gramkow von ihren Parteifreunden frenetisch gefeiert. Im September vergangenen Jahres gewann die Politikerin der Linkspartei die Oberbürgermeisterwahl in Schwerin. Seitdem regiert erstmals eine Sozialistin im Rathaus einer ostdeutschen Landeshauptstadt. Nun steht die 51-Jährige auf der Bühne des Parteitages der Linken und spricht über ihren Alltag im Schweriner Rathaus, über ihre Sorgen und Nöte sowie über ihre engen kommunalpolitischen Spielräume.

Doch irgendwie interessiert es die Delegierten auf dem Parteitag in der Berliner Max-Schmeling-Halle wenig, was Gramkow zu berichten hat. Selbst die Klage der Oberbürgermeisterin, dass in ihrer Partei bis in den Parteivorstand hinein „Pragmatismus manchmal mit Opportunismus gleichgesetzt wird", geht weitgehend unter. Der Beifall ihrer Genossen ist nur mäßig. Realpolitik, so scheint es, steht in der Linken derzeit nicht besonders hoch im Kurs.

Zwei Tage trifft sich die Linke an diesem Wochenende in Berlin zum Parteitag, um sich auf den Bundestagswahlkampf einzustimmen. Der erste Tag ist für die Grundsatzdebatte vorgesehen, der Sonntag für die Verabschiedung des Wahlprogramms. 1000 Änderungsanträge liegen den Delegierten vor. Schon im Vorfeld des Parteitages waren daher die Wogen der Auseinandersetzungen zwischen Ost und West, zwischen Realos und Fundis hochgeschlagen.

„Eine starke Linke für ein sozialeres Land" steht in großen Lettern hinter dem Podium auf dem Leit-Transparent des Parteitages. Doch die Frage, wie die Linke im Herbst stark wird und vor allem stärker als bei der so enttäuschend verlaufenden Europawahl, beantworten die Redner ganz unterschiedlich. Da gibt es diejenigen, die sich mehr „um die Menschen und ihre Sorgen" kümmern wollen und diejenigen, die die Linke zu einer „Stimme des Aufbegehrens" machen wollen. Die einen sind davon überzeugt, dass die radikalen Forderungen daran Schuld sind, die anderen verkünden genau das Gegenteil.

Auch der zukünftige Kurs der Partei ist unter den Delegierten heftig umstritten. In der Programmdebatte geht es einerseits um Grundsatzfragen wie die Überwindung des Kapitalismus. Andererseits streiten die Genossen leidenschaftlich darüber, ob sie nun einen Mindestlohn von acht oder zehn Euro fordern, genauso leidenschaftlich wie über Frage, ob die Nato nun aufgelöst gehört oder in ein System kollektiver Sicherheit überführt werden soll. Und immer wieder geht es um die Frage, ob die Linke sich auf Bündnisse mit der SPD einlassen oder lieber einen fundamentalistischen Kurs einschlagen soll.

Die Realpolitiker haben im Parteitagssaal einen schweren Stand. Da können sich die Kommunalpolitikerin Gramkow, der linke Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf oder die Brandenburger Fraktionschefin Kerstin Kaiser noch so engagiert von den Erfolgen der Realpolitik berichten, über Schnittmengen zwischen Linken und Sozialdemokraten sprechen und für rot-rote Bündnisse werben.

Gefeiert werden andere. Zum Beispiel die Bochumer Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen, die „stolz" darauf ist, dass die Partei Alternativen zum Kapitalismus formuliert und mit einem radikalen Programm in den Bundestagswahlkampf ziehen will. Etwa mit der Forderung nach einem Mindestlohn von 10 Euro, einer Millionärssteuer oder dem Versprechen, zwei Millionen Arbeitsplätze schaffen zu wollen.

Auch Sahra Wagenknecht trifft die Stimmung der Delegierten. Sie warnt vor Bündnissen mit der SPD, nennt Steinmeier und Müntefering „gebrochene Politiker-Karikaturen" und polemisiert munter polemisiert gegen die Realos in ihrer Partei, die zu „Stichwortgebern" der neoliberalen Kritiker der Linken geworden seien.

Oskar Lafontaine hat die Tonlage vorgegeben. 80 Minuten lang trägt er zu Beginn des Parteitages seine programmatische Grundsatzrede vor. Er warnt vor einem Durchmarsch der neoliberalen Parteien CDU, FDP, SPD und Grüne und verkündet nur eine starke Linke könne dem neoliberalen Block etwas entgegensetzen.

Lafontaine fordert beispielsweise Steuererhöhungen für Vermögende, die Einführung von Belegschaftseigentum an Unternehmen und die Wiederherstellung der alten Rentenformel. Zugleich erklärt er seine Partei zur demokratischen Erneuerungsbewegung. Allen Forderungen aus den eigenen Reihen hingegen, in den Bundestagswahlkampf mit realistischeren und bezahlbareren Forderungen zu ziehen, erteilt er hingegen eine eindeutige Absage.

Etwa beim Mindestlohn. Vor allem viele ostdeutsche Realpolitiker hatten im Vorfeld des Parteitages dafür plädiert, nur mit der Forderung nach einem Mindestlohn in Höhe von „zunächst acht Euro" in den Wahlkampf zu ziehen, weil es nur dafür eine gesellschaftliche Mehrheit gebe. Lafontaine wischt die Bedenken unter dem Beifall der Delegierten zum Tisch und verweist auf die Mindestlöhne in anderen europäischen Ländern. Weil beispielsweise in Luxemburg ein Mindestlohn von 9,49 Euro gezahlt werde, empfiehlt der Parteichef seinen innerparteilichen Kritikern, „sich mal eine Fahrkarte nach Luxemburg zu besorgen".

Einmal mehr zeigt Lafontaine damit, wie wenig er sich für seine Partei und vor allem die politischen und gesellschaftlichen Realitäten in Ostdeutschland interessiert. Vergeblich verweist die Brandenburger Fraktionschefin Kerstin Kaiser darauf, dass Brandenburg mit Luxemburg nur die zweite Silbe im Namen identisch sei, vor allem in ihrer ökonomischen Leistungskraft die beiden Länder nicht vergleichbar seien.

Das Argument prallt an den Delegierten ab, auch Kaiser, die ab dem Herbst in dem ostdeutschen Bundesland zusammen mit der SPD in einer rot-roten Landesregierung zusammenarbeiten will, hat auf dem Parteitag einen schweren Stand.

Anders als Lafontaine versucht Bodo Ramelow in der Parteitagsdebatte zwischen den Parteiflügeln Brücken zu schlagen. Aus gutem Grund. Ramelow will am 30. August Geschichte schreiben. Als aussichtsreicher Kandidat bewirbt er sich bei den Landtagswahlen um das Amt des Ministerpräsidenten. Da kommt er an einem realistischen Programm nicht vorbei.

Ramelow kennt die Befindlichkeit der Delegierten genauso wie die sozialen Realitäten in seinem Bundesland: „Schon acht Euro Mindestlohn sind für die Friseuse in Thüringen Utopie" und deshalb empfiehlt er seiner Partei eine Doppelstrategie. Zehn Euro fordern, weil die Partei Utopien brauche. Aber natürlich würde der Realpolitiker Ramelow die Hand heben, wenn es gelänge, einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro zusammen mit der SPD Einzuführen und dazu würde er erklären, das die ein „Einstieg" sei.