Patriot-Einsatz basiert auf Lüge

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kollege Mützenich. – Herr Kollege Mützenich, Sie haben gesagt, dass dieses Mandat ein verantwortbares Mandat ist und dass es dazu da ist, besonders Flüchtlinge an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien zu schützen.Ich möchte Sie aber auf einen Punkt hinweisen. In dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung dieses Einsatzes der Bundeswehr steht im zweiten Absatz unter „Völkerrechtliche Grundlagen", dass auf Antrag der Türkei im Nordatlantikrat am 26. Juni und am 3. Oktober 2012 Konsultationen stattgefunden haben aufgrund zweier Ereignisse. Aufgrund dieser zwei Konsultationen hat die NATO beschlossen, dass es diesen Einsatz geben soll. – Können Sie mir bis hierhin folgen?(Heiterkeit bei der CDU/CSU)Die Begründungen – –(Peter Beyer [CDU/CSU]: Es ist Karnevalszeit!)– Er hat so grimmig geguckt. Deshalb frage ich, ob er mir überhaupt folgen kann.Dies steht im Antrag der Bundesregierung, den Sie höchstwahrscheinlich gelesen haben. Die Begründungen der Entsendung von Patriots sind aber nicht haltbar. Auf Antrag der Türkei fanden zwei NATO-Konsultationen statt. Die erste befasste sich mit dem Abschuss eines türkischen Militärflugzeugs durch die Syrer, die zweite Konsultation mit dem Granatbeschuss der Syrer Richtung Türkei. Das steht in dem Antrag der Bundesregierung. Diese Begründungen sind schlicht nicht haltbar, Herr Kollege, weil sich herausgestellt hat, dass in einem geheimen NATO-Bericht – diesen Bericht legt die Bundesregierung bisher nicht vor – steht, dass diese türkische Version nicht stimmt. Deshalb frage ich Sie, Herr Kollege: Wie kommen Sie darauf, den Antrag zu unterstützen, obwohl in dem NATO-Bericht steht, dass die Konsultationen, auf deren Grundlage dieser Einsatz heute noch einmal beschlossen werden soll, uns Abgeordneten nicht wahrheitsgemäß vermittelt worden sind? Wir sind getäuscht worden. Die International Crises Group und die Stiftung „Wissenschaft und Politik" haben gesagt, dass die Darstellung der Türkei falsch war. Warum sagen Sie jetzt, dass dieser Antrag immer noch auf der gleichen Grundlage im Bundestag bewilligt werden muss? Ich frage Sie, wenn sich der Anlass, der in diesem Antrag zugrunde liegt, als unwahr erwiesen hat: Was ist der eigentliche Sinn und Zweck dieses Einsatzes? Teilen Sie dem Bundestag und auch der Öffentlichkeit mit, warum Sie dem AKP-Regime unter dem autoritären Führer Erdoğan mit dem Einsatz von Patriots zur Seite stehen.Dr. Rolf Mützenich (SPD):Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich halte es auch für angemessen; denn wir führen hier eine ernste Debatte über die Verlängerung von Mandaten, bei denen wir die Bundeswehr in Regionen schicken, in denen Krisensituationen herrschen.Deswegen vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie mir diese langen Zusammenhänge und Fragen zutrauen. Ich bin Ihren Ausführungen schon gefolgt.(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)Der entscheidende Punkt, den ich versucht habe Ihnen am Anfang deutlich zu machen, war, dass dieses Mandat, als es damals hier in den Deutschen Bundestag eingebracht worden ist, einen allein defensiven Charakter hatte, dass es keine provokativen Elemente gegenüber dem syrischen Regime hatte. In diesem Zeitraum mussten wir immer wieder erleben, dass in Syrien Mittelstreckenraketen von der dortigen Armee eingesetzt wurden. Ich glaube, dass die Bedrohung existenziell zu diesem Zeitpunkt gewesen ist, wie sie es auch heute ist. Wenn Sie berücksichtigen, dass es 600 bis 700 Mittelstreckenraketen in Syrien gibt und dort ein entfesselter Krieg – mit 130 000 Toten – stattfindet, angesichts dessen 9,3 Millionen Menschen in Syrien auf Hilfe angewiesen sind und es 6,5 Millionen Binnenflüchtlinge und 2,4 Millionen Flüchtlinge gibt, die unter anderem in die Türkei gehen, dann erkennen Sie, welche Krisen sich aus dieser Situation entwickeln können, die sich letztlich auch auf die Türkei auswirken. Deswegen mache ich es noch einmal sehr deutlich: Dies ist ein defensiver Auftrag. In dem Mandat der Bundesregierung steht nichts von der AKP-Regierung, die Sie hier eben benannt haben.Wenn Sie einen Geheimbericht haben, den Sie uns, den Kolleginnen und Kollegen, zukommen lassen wollen, haben wir, glaube ich, genügend Gelegenheit, im Auswärtigen Ausschuss darüber zu reden.(Sevim Dagdelen [DIE LINKE]: Er ist doch geheim!)Ich bin mir nicht sicher, warum wir ihn nicht mit Ihrer Hilfe bei den Beratungen im Auswärtigen Ausschuss einsehen konnten. Das wäre hilfreich gewesen.(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)Es macht keinen Sinn, wenn hier nur etwas von einem Bericht behauptet wird. Dann besteht letztlich keine Möglichkeit, ihn in die Beratung dieser Fragen einzubeziehen.Ich würde gerne noch sagen – wenn Sie, Frau Präsidentin, es erlauben –: Sie sollten sich auch die Frage stellen, ob es manchmal nicht besser ist, einen Partner durch eigene Beiträge im Bündnis zu halten und an der Politik zu beteiligen. Sie unterstellen der AKP-Regierung ja eine Menge.(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sie doch auch! – Weiterer Zuruf der Abg. Sevim Dagdelen [DIE LINKE])Stellen Sie sich nicht die Frage, ob es nicht möglicherweise hilfreich ist, einen Beitrag zu leisten, wenn ein Bündnispartner Hilfe erbittet, um ihn auf diese Weise eng an die Politik zu binden, die in den letzten Wochen und Monaten in Montreux und Genf verfolgt wurde? Wir versuchen nämlich, die falsche Politik in dieser Region, die auch die AKP-Regierung mit zu verantworten hat, zu korrigieren.(Zurufe von der LINKEN: Ah!)Darauf würde ich gerne im Laufe meiner Redezeit, die mir noch zur Verfügung steht, zu sprechen kommen.(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)