Positionspapier zum Thema Bürgerkrieg und State-Building in Libyen: Deutsche Rolle und Optionen für DIE LINKE

I. Aktuelle LageDer Krieg in Libyen ist –nicht nur aus der Sicht afrikanischer Beobachter- ein vom Ausland organisierter neokolonialer Krieg um Ressourcen und geostrategische Interessen. Gegenwärtig werden von den Rebellen mit Unterstützung der NATO die letzten Hochburgen der Gaddafi-Anhänger umzingelt und angegriffen. Wichtige Teile des alten Regimes und Sicherheitsapparates haben sich mittlerweile in die Nachbarstaaten, insbesondere nach Algerien und Niger abgesetzt. Der „Nationale Übergangsrat", ohne jegliche demokratische Legitimation inzwischen von vielen – an USA, EU und NATO orientierten – Staaten diplomatisch anerkannt, versucht, durch die bessere Repräsentation zusätzlicher Stämme und Regionen seine politische Basis zu erweitern. Die NATO hat angekündigt, ihr Einsatz werde „vermutlich bald" enden, wobei eine Ergreifung Gaddafis kein Kriterium sei. Auch die Rebellen wollten sich nicht klar äußern, ab wann das Land als „befreit" gelte. In frage käme hierfür „der Tag, an dem die Rebellen das gesamte Land kontrollierten, oder die Festnahme Gaddafis". Dann sollen binnen acht Monaten Wahlen stattfinden. Solange „sich Teile der regimeloyalen Brigaden in bestimmten Regionen des Landes halten können", sei die NATO nach Wolfram Lacher „sogar in der Pflicht" ihren Einsatz fortzusetzen. „Dagegen besitzt die NATO nicht die Mittel, mögliche Vergeltungstaten oder Konflikte zwischen kleineren bewaffneten Gruppen zu verhindern."II. Absehbare EntwicklungenNachdem die Erfolge der Aufständischen gegen Gaddafi und dessen Anhänger seit Beginn des Konfliktes in und gegenüber den Medien systematisch übertrieben wurden, muss davon ausge-gangen werden, dass sich auch die abschließende „Befreiung" im o.g. Sinne noch länger hinziehen kann, als erwartet. Selbst dann noch könnten „Teile des alten Sicherheitsapparates .. zum Keim einer Rebellion gegen die neue Ordnung werden". Beobachter gehen zudem davon aus, dass Gaddafi und seine Vertrauten weiter über große Geldsummen verfügen und damit den Widerstand, auch mithilfe bewaffneter Gruppen aus dem Ausland, weiter stützen könnten. Hierfür spricht u.a. die Flucht des inneren Führungszirkels in verschiedene Nachbarstaaten, u.a. Algerien und Niger. Unklar ist, ob Angehörige des Sicherheitsapparates auch nach Tschad und in den Sudan gereist sind, wo Kontakte zu bewaffneten Gruppen bestehen. Des Weiteren kursiert die Vermutung, dass auch der Nationale Übergangsrat selbst von Anhängern Gaddafis unterwandert sei. Unabhängig von deren Wahrheitsgehalt verweist dies auf den geringen politischen Zusammenhalt innerhalb des Übergangsrates, wovon bereits die Ermordung Abdel Fattah Junis‘ Zeugnis ablegte. Angesichts der zahllosen in Libyen in Umlauf befindlichen Waffen, der sehr losen Organisation der Rebellen und der enormen Reichtümer, um deren Verteilung Konflikte entstehen werden, ist davon auszugehen, dass diese Konflikte gewaltsam ausgetragen werden. Es ist also davon auszugehen, dass in Libyen ein fortgesetzter und multidimensionaler Bürgerkrieg (unter Beteiligung aus den Nachbarstaaten) stattfinden wird, an dem sich die NATO nicht in größerem Umfang mit Bodentruppen beteiligen – deren Verlauf und Ausgang sie aber sicherlich beeinflussen möchte. Auch nach Beendigung der unmittelbaren Kampfhandlungen in Libyen kann der Bürgerkrieg mit anderen Formen in Nachbarstaaten, insbesondere Niger, fortgeführt werden und sich somit destabilisierend auf die gesamte Sahel-Zone auswirken. Die NATO wird sich deshalb beim nun einsetzenden „State Building" um die Einbindung möglichst vieler internationaler Akteure bemühen, etwa UN- oder AU-Truppen zur „Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung", eines bereits in Planung befindlichen EU-Einsatzes zur Sicherung von Häfen und Flughäfen oder einzelner Städte sowie mehrerer europäischer und internationaler Initiativen zur „Reform des Sicherheitssektors". Für die NATO bietet sich eine modifizierte Fortsetzung des bestehenden Einsatzes zur Kontrolle des See- und Luftraumes an. Eine echte Stabilität wird hingegen erst hergestellt werden können, wenn alle Konfliktparteien in den politischen Prozess einbezogen werden. Dies bedeutet auch jene gesellschaftlichen Schichten, die bislang gegen die Aufständischen gekämpft haben.III. Zur Positionierung der Fraktion DIE LINKENachdem DIE LINKE den Krieg der NATO zu Recht von Anfang an abgelehnt hat, kann es nun nicht ihre Aufgabe sein, diesem falschen Krieg zu einem – ohnehin nicht absehbaren – erfolgreichen „Abschluß" oder Sieg zu verhelfen und nachträglich zu dessen Legitimation beizutragen. Nötig ist ein sofortiger Waffenstillstand und die Aufnahme von Verhandlungen zwischen allen Konfliktparteien. Ein weiterer UN-Beschluß für „Stabilisierungstruppen" und jegliche europäische Unterstützung für die Regierung der Rebellen würde die UN-Sicherheitsratsresolution 1973 und deren Umsetzung durch die NATO als „Regime Change" nachträglich legitimieren. Statt dessen muß DIE LINKE an ihrer Kritik sowohl des UN-Beschlusses, als auch des NATO-Einsatzes festhalten und den Schaden, den das Völkerrecht nahm, betonen. Einen möglichen Verbündeten kann sie hierbei in der Afrikanischen Union finden, die sich gegen die Flugverbotszone ausgesprochen hatte und daraufhin politisch marginalisiert wurde. Zugleich ist DIE LINKE jedoch auch dem Wohl der libyschen Bevölkerung verpflichtet und sollte auf ein Ende des Bürgerkrieges dringen. Hierzu muß sichergestellt werden, dass es nicht zu einem Ausverkauf der libyschen Bodenschätze (besonders Öl, Gas, Wasser und Uran) kommt. Bereits jetzt bemühen sich vor allem Unternehmen der kriegführenden NATO-Staaten sowie deren Verbündete darum, einen Anteil am libyschen Ressourcenreichtum zu reklamieren. Eine der wichtigsten Aufgaben, um weiteres Leid von der Bevölkerung Libyens und der Nachbarstaaten abzuwenden, sind Bemühungen gegen eine weitere Aufrüstung der Region. Der Widerstand gegen weitere Interventionen durch EU und NATO sowie Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe im Zuge sog. Sicherheitssektorreformen muß flankiert werden durch ein Verbot von Rüstungsexporten an alle in Libyen engagierten Parteien sowie die weitere Arbeit an einem effektiven Regime der Rüstungsexportkontrolle. Der Sahel-Strategie, in deren Rahmen bis zu 1 Mrd. Euro u.a. für die Terror-Bekämpfung in die Sicherheitssektoren Malis, Mauretaniens, Nigers und Algeriens fließen sollen, muß auch vor diesem Hintergrund eine entschiedene Absage erteilt werden. Eine nicht zu unterschätzende Wirkung wird auch der weitere Verlauf der Umbrüche in Nordafrika (insb. Ägypten) auf das Anhalten des Konfliktes in Libyen spielen. DIE LINKE setzt sich ein für eine umfassende Aufarbeitung der Verbrechen, die gegen die libysche Bevölkerung begangen wurden. Dabei müssen neben den durch Gaddafis Truppen zu verantwortenden Taten auch jene untersucht werden, für welche die NATO (durch Bombardements aus der Luft und durch Spezi-aleinheiten am Boden) und die Rebellen verantwortlich sind. Gerechtigkeit gegenüber allen Opfern des Krieges ist eine wichtige Voraussetzung für eine demokratische und friedliche Zukunft des Landes.IV. Die deutsche RolleDie Bundesregierung hatte in den vergangenen Jahren eine zunehmend engere Sicherheitspartnerschaft mit dem Gaddafi-Regime unterhalten, welche auch Rüstungsexporte und die Zustimmung zur Ausbildung libyscher Sicherheitskräfte durch Angehörige deutscher Spezialeinheiten (GSG9 und KSK) umfaßte. Bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über die UN-Sicherheitsratsresolution 1973 am 18. März hat die Bundesregierung durch den Außenminister Westerwelle sich enthalten. Die Enthaltung der Bundesregierung wurde besonders von SPD und Grünen angegriffen, von der LINKEN dagegen unterstützt. Allerdings jedoch hat die Bundesregierung sofort im Anschluss durch das Angebot, die NATO in Afghanistan zu entlasten, ihre indirekte Unterstützung für den NATO-Einsatz in Libyen signalisiert und sich mit insgesamt 103 Bundeswehrsoldaten in den eigens hierfür eingerichteten NATO-Stäben an der Auswahl von Zielen für Luftangriffe beteiligt. Später bot sie an, der NATO Marschflugkörper für diesen Einsatz bereitzustellen und ggf. sogar die Führung eines flankierenden EU-Einsatzes zur „Absicherung humanitärer Hilfe" zu übernehmen, der bis heute in Planung ist. Zudem hat sie bereits mehrfach angeboten, die Rebellen nach deren militärischem Sieg beim Aufbau neuer staatlicher „Sicherheitskräfte" zu unterstützen. Bereits vor der UN-Sicherheitsratsresolution 1973 hat sie ohne vorige (und auch nachholende) Zustimmung des Parlaments mit der Operation Pegasus einen bewaffneten Einsatz der Bundeswehr ohne Einverständnis der libyschen Regierung auf deren Territorium durchgeführt und damit der Entsouveränisierung Libyens und einem bewaffneten Eingreifen durch die NATO Vorschub geleistet.Diese konkrete Beteiligung an der Militarisierung Libyens bereits im Vorfeld und im Zuge des aktuellen Konfliktes muß von der Fraktion DIE LINKE konsequent herausgearbeitet und kritisiert werden. Eine Führung oder auch nur Beteiligung – insbesondere mit Kampftruppen – an der geplanten Mission EUFOR Libya sowie an EU-Missionen zur Ausrüstung und Ausbildung der zukünftigen libyschen „Sicherheitskräfte" muß eine klare Absage erteilt werden. Deutsche Rüstungsexporte in die gesamte Region sollten unterbunden und die Anerkennung des Nationalen Übergangsrates, der über keinerlei demokratische Legitimation verfügt, – nicht zuletzt wegen der pogromartigen Verfolgung von Menschen aus Afrika südlich der Sahara in deren Verantwortungsbereich – rückgängig gemacht werden. Dies schließt auch aus, mit dem Nationalen Übergangsrat irgendwelche Verträge über den Export von Rohstoffen oder den Wiederaufbau abzuschließen. Zudem sollte die Instrumentalisierung eines Mandates zum Schutz der Zivilbevölkerung für einen militärisch erzwungenen „Regime Change" als Anlaß genommen werden, die Instrumentalisierung der„Verantwortung zum Schutz" näher zu untersuchen.V. Parlamentarische Initiativen1.) DIE LINKE sollte weitere Kleine Anfragen zur Rolle Deutschlands vor und während der Eskalation in Libyen stellen und die Ergebnisse der bisherigen in einer Broschüre zusammenstellen. Darin sollte ersichtlich werden a) dass die Interessen der Zivilbevölkerung nie ausschlaggebend für die deutsche Politik gegenüber Libyen war; b) dass sich die Bundesregierung aktiv und passiv am NATO-Einsatz beteiligt hat; c) damit trotz der Enthaltung im UN-Sicherheitsrat keineswegs als neutral gelten und sich somit auch nicht an einem humanitär begründeten EU-Einsatz beteiligen darf und diesen im EU-Rat ablehnen sollte und d) inwiefern sich die Bundesregierung für die Gewährleistung der Wasser- und Nahrungsmittelversorgung der Zivilbevölkerung in den umkämpften Gebieten einsetzt, die nur durch eine sofortige Beendigung der NATO-Bombardements erreichbar ist.2.) Die Bundesregierung sollte in einem Antrag aufgefordert werden, jede Beteiligung an einer militärischen und/oder polizeilichen Mission in Libyen abzulehnen und ihre Beteiligung an den Planungen hierfür einzustellen. Als Begründung hierfür sollte u.a. auf die aktive und passive Beteiligung am NATO-Einsatz und die frühzeitige Anerkennung des Nationalen Übergangsrates am 13.6.2011 verwiesen werden.3.) Die Mißachtung des Parlaments im Falle Libyens muß systematisch aufgearbeitet werden. Im Mittelpunkt sollten dabei die Mission Pegasus und die deutsche Beteiligung in den Führungsstäben der NATO stehen. Zusätzlich muß jedoch auch auf die Umgehung des Parlaments bei Rüstungsexporten, Ausbildungs- und Ausstattungshilfe hingewiesen werden. Eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht vor dem Hintergrund der zu erwartenden Präzisierungen des ParlBetG wird erörtert.