Pro und kontra Julian Assange

Julian Assange und seine Enthüllungsplattform WikiLeaks polarisieren. Das zeigte sich bei einer lebhaften Debatte, die am Mittwoch in der jW-Ladengalerie in Berlin stattfand. Etwa 90 Interessierte hatten sich eingefunden, darunter mehrere Diplomaten lateinamerikanischer Länder wie die Botschafter Kubas, Raúl Becerra, und Venezuelas, Rodrigo Cháves Samudio, sowie Vertreter El Salvadors und Panamas. Sie hörten zunächst ein Podiumsgespräch mit der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen (Die Linke), Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, und dem Botschafter Ecuadors in der Bundesrepublik, Jorge Jurado, moderiert von jW-Chefredakteur Arnold Schölzel.

Sevim Dagdelen hatte am Sonntag Assange als erstes Mitglied des deutschen Parlaments in der Londoner Botschaft Ecuadors besucht, in der er am 19. Juni um Asyl nachgesucht hatte (siehe jW vom 4. September). Sie erinnerte daran, daß sich die Linksfraktion bereits im Dezember 2010 in einer Erklärung hinter den damals Verhafteten gestellt hatte. Linke Abgeordnete wie Gesine Lötzsch, Wolfgang Gehrcke und sie selbst hätten aktiv auch an den jüngsten Solidaritätsaktionen teilgenommen. Sie sei, so erklärte sie ihre Motivation für die Reise an die Themse, von der Drohung der britischen Regierung »schockiert« gewesen, unter Bruch internationaler Verträge die Immunität der Vertretung Ecuadors aufzuheben und Assange zu verhaften. Hinzu kämen die »beschämende Haltung der Bundesregierung« sowie der Fall des US-Soldaten Bradley Manning. Er wird beschuldigt, geheime Dokumente an Wikileaks gegeben zu haben, und unter folterähnlichen Umständen in den USA in Haft gehalten.

Im Gespräch mit ihr habe sich Assange erfreut über die Solidarität mit ihm in der Bundesrepublik gezeigt. Gesprochen worden sei auch über Hilfe für Manning und über die EU-Sanktionen gegen WikiLeaks. Die Abgeordnete erklärte, sie trete dafür ein, daß die Vorwürfe, Assange habe sexuelle Straftaten begangen, möglichst rasch geklärt werden – »in seinem wie im Interesse der Frauen«, die in Schweden Anzeige gegen ihn erstattet hatten. Ihr gegenüber habe er erklärt, nichts Strafbares begangen zu haben. Er sei optimistisch. Allerdings verweigerten sowohl Großbritannien als auch Schweden die Zusicherung, ihn nicht an die USA auszuliefern.

Diesen Tatbestand wie auch die Ankündigung einer Botschaftserstürmung durch britische Behörden werteten beide Podiumsgäste als Beleg für den politischen Charakter des Falls. Botschafter Jurado erklärte, sein Land folge strikt seiner traditionellen Menschenrechts- und Asylpolitik. Derzeit lebten in Ecuador allein 56000 anerkannte kolumbianische Bürgerkriegsflüchtlinge. Er resümierte die Behandlung des Falls Assange in den Medien mit der Bemerkung: »Es ist gelungen, in der öffentlichen Wahrnehmung den Schwerpunkt von der Politik auf die private Ebene zu verschieben.«

Das zeigten auch einige Äußerungen aus dem Publikum, die sich auf diese Frage konzentrierten oder die Motive der Regierung Ecuadors in Frage stellten. Bei Assange, so ein Diskutant, handele es sich um eine Figur wie Osama Bin Laden. Er werde eines Tages »weg sein«. In Wirklichkeit gehe es in dem Fall um Wahlkampf, da in Ecuador im Februar 2013 ein neuer Präsident gewählt werde. Andere vertraten die Auffassung, Assange erwarte in Schweden oder in den USA ein rechtsstaatliches Verfahren, es gebe keinen Grund zur Besorgnis. Umgekehrt sei Ecuador ein Land, in dem die Pressefreiheit gefährdet sei. Zu Meinungen dieser Art gab es zum Teil heftigen Widerspruch. Sevim Dagdelen und der Botschafter blieben sachlich. Die Politikerin wies darauf hin, daß mehrfache Anfragen an die schwedische Botschaft zum Fall Assange ohne jede Reaktion blieben. Am Vortag sei sie in der britischen Vertretung empfangen worden – ohne greifbares Ergebnis. Jorge Jurtado hob besonders die starke Unterstützung Ecuadors durch andere lateinamerikanische Staaten hervor. Möglich, daß das London zum Rückzug bewegte. Großbritannien, so der Botschafter, habe einfach erklärt, die Drohung gegen die Vertretung seines Landes in der britischen Hauptstadt sei keine Drohung gewesen.

Quelle: junge welt