Rassismus und Antiziganismus in Bulgarien
Rassismus und Antiziganismus in Bulgarien
Bundesregierung sieht kein Rassismus, nur Vorurteile
Der 25-jährige Australier Jock Palfreeman sitzt seit 2007 in Bulgarien im Gefängnis. Er wurde wegen versuchten Mordes und wegen Mordes zu 20 Jahren Haft verurteilt, nachdem er sich im Dezember 2007 in Sofia in einen rassistisch motivierten Übergriff von 16 Männern auf zwei jugendliche Roma mutig eingemischt hatte. Nachdem er den von Rassisten angegriffenen Roma zur Hilfe geeilt war, konnten diese zwar flüchten, Jock Palfreeman wurde nun aber seinerseits von den Rassisten angegriffen. Im Laufe der Auseinandersetzung wurde einer der Angreifer verletzt, ein anderer durch einen Messerstich getötet. Trotz diverser Zeugenaussagen vor Gericht, dass Jock Palfreeman in Notwehr gehandelt hat, um sich vor den Fußtritten, Schlägen, und Steinattacken der Vielzahl an Angreifern zu schützen, wurde er ohne Strafmilderung im Sinne der Anklage verurteilt. Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Urteils sind nicht zuletzt deshalb aufgekommen, weil der Vater des getöteten Rassisten eine sehr einflussreiche Persönlichkeit in Bulgarien ist, sondern auch deshalb, weil rassistische Übergriffe, vor allem auf Roma, in Bulgarien keine Seltenheit sind und scheinbar eher als Kavaliersdelikte seitens der Strafverfolgungsbehörden behandelt werden.
Nach Auffassung der Bundesregierung ist „der pauschalisierende Vorwurf einer weiten Verbreitung von Rassismus in der bulgarischen Gesellschaft und bei bulgarischen Behörden unzutreffend." Dies ergab die Antwort auf meine Kleine Anfrage „Erkenntnisse der Bundesregierung über rassistische und antiziganistische Gruppen in Bulgarien und deren Kontakte zur neonazistischen Szene in Deutschland" (Bundestagsdrucksache 17/10633). Auf die Frage, ob denn „auch der weitverbreitete Rassismus und Antiziganismus nicht nur in der bulgarischen Gesellschaft allgemein, sondern auch bei staatlichen Behörden wie der Polizei im Besonderen" eine Hauptursache für , pogromartige Überfälle und Gewalt vor allem auf Roma, aber auch verstärkt auf Muslime ist und nicht ausreichend Versuche unternommen werden, diese zu verhindern antwortete die Bundesregierung: „der pauschalisierende Vorwurf einer weiten Verbreitung von Rassismus und Antiziganismus bei bulgarischen Behörden oder bei der Polizei [sei] nicht zutreffend". Dabei kritisierte auch Amnesty International in ihrem jüngsten Jahresbericht zu Bulgarien die weitgehende Untätigkeit der zuständigen bulgarischen Behörden (https://www.amnesty.de/jahresbericht/2012/bulgarien). Diese Realität versucht die Bundesregierung jedoch auf absurde Weise umzuinterpretieren. So sollen die Auseinandersetzungen im September 2011 in Katounitsa bei Plowdiw/Südbulgarien gerade deshalb, weil es kein Problem mit dem Rassismus in Bulgarien geben soll „auch bereits nach wenigen Tagen [beendet worden sein] und sind seitdem nicht wieder aufgeflammt". Welch ein Euphemismus! Da wird als Erfolg gewertet, dass die pogromartigen Übergriffe „nur" ein paar Tage andauerten. Doch, die Tatsache, dass sie überhaupt stattfanden und nicht sofort von den verantwortlichen Behörden unterbunden wurden ist der eigentliche Skandal. Dies versucht die Bundesregierung schönzureden.
Die bulgarischen Behörden sind im besten Fall unfähig, im schlimmsten Fall gezielt untätig. Orhan Tahir, selbst Roma und ein in Sofia lebender Jurist beschrieb das (Nicht)Agieren der staatlichen Behörden so: „Das ganze Land hat in den Nachrichten gesehen, wie die Polizei tatenlos herumsteht, während Roma-Dörfer niedergebrannt werden. Die Nazis haben freie Bahn. Wir sind praktisch vogelfrei."[1] Doch die Bundesregierung kann keinen weitverbreiteten Rassismus und Antiziganismus erkennen und spricht lieber von weitverbreiteten Vorbehalten gegen Roma.
Rassismus als Folge sozialökonomischer Konflikte
Bemerkenswert ist, dass die Bundesregierung, die pogromartigen Angriffe auf Roma in Katounitsa in 2011 „zunächst mehr mit sozialen Spannungen als mit rassistisch motivierten Angriffen" in Zusammenhang bringt, der erst später „zu ethnisch gefärbten Auseinandersetzungen" mutiert sei. Bemerkenswert deshalb, weil sie sonst in Deutschland soziale Konflikte üblicherweise ethnisiert bzw. kulturalisiert. Während also die soziale Frage in Deutschland beständig durch „Ethnisierung" bzw. „Kulturalisierung" rassistisch verschleiert wird, versucht die Bundesregierung bei ihren europäischen strategischen Partnern im umgekehrten Sinne den gesellschaftlich verankerten Rassismus mit „sozialen Spannungen" zu verharmlosen. So kann der kausale Zusammenhang zwischen sozialen Konflikten und Rassismus verleugnet werden. Mal auf die eine und mal auf die andere Weise. Denn auch wenn Rassismus soziale Ungleichheit (re)produziert, dient er zugleich als Legitimationsmechanismus für diese soziale Ungleichheit. Das galt in gewissem Maße auch für das sozialistische Bulgarien. So problematisch und rassistisch das Agieren von Politik, Justiz und Verwaltung gegenüber Roma sowie Bulgarinnen und Bulgaren mit Migrationshintergrund (türkische Minderheit) zu sozialistischen Zeiten gewesen ist – etwa die Aus- und Umsiedlung von bulgarischen Türkinnen und Türken 1950/1951 oder die „Bulgarisierung" türkischer Namen – die auf die Bekämpfung von allzu großen Ungleichheiten ausgerichteten Wirtschafts- und Sozialpolitik wirkte sich sozioökonomisch positiv auch auf die Lebenssituation der türkischen Minderheit und der Roma aus. Dem hohen Analphabetismus bei Roma wurde durch den Bau von Schulen begegnet. Die Alphabetisierungsrate stieg entsprechend „seit dem Ende der 1940er Jahre von weniger als fünf auf über 90 Prozent Ende der 1980er Jahre. In den 1960er Jahren war aber für Roma-Schulen ein besonderes Curriculum eingeführt worden, das auf Grundkenntnisse in Lesen und Schreiben ausgerichtet war und ansonsten die Entwicklung von beruflichen Fähigkeiten in den Vordergrund stellte: Roma sollten ins sozialistische Proletariat integriert werden. In der Industrie ebenso wie in der kollektivierten Landwirtschaft gab es einen hohen Bedarf an Arbeitern, und eine Arbeitsplatzgarantie bestand unabhängig von der Qualifizierung – bei oft relativ hohen Löhnen in der Schwerindustrie oder im Bergbau."[2]
Die Sozialpolitik stand dabei im Konflikt mit der wirtschaftlichen Effektivität, der zugunsten der Sozialpolitik entschieden wurde. Heute funktioniert die bulgarische Gesellschaft gemäß den Profitmechanismen des Kapitalismus. Nicht allein die Sozialpolitik – im Weiteren wie im engeren Sinne – muss sich nun „rechnen", sondern auch der Mensch. Die Einteilung nach ökonomischer „Nützlichkeit" soll eine Politik der effizienten und reibungslosen Verwertung „nützlicher" Menschen und die Ausgrenzung der „anderen" legitimieren. Was zählt, ist – ganz im Sinne kapitalistischer Logik – Leistung und das Prinzip der Verwertbarkeit. Letztlich geht es immer darum, zu vermitteln, dass die sozioökonomische Statusposition vermeintlich durch gute oder schlechte, in jedem Falle aber individuell zurechenbare Leistung zustande gekommen ist. Thesen von einer genetisch- bzw. kulturbedingten sozialen Schichtung der Bevölkerung werden gerne als Erklärung angenommen. Und bzgl. der Situation in Bulgarien ist festzuhalten, dass hier auf historisch gewachsene und auch in der sozialistischen Periode des Landes nie tatsächlich mit den Wurzeln beseitigte antiziganistische und rassistische Ressentiments angeknüpft werden kann. In einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage 2006 gaben 51 Prozent der Befragten an, dass sie Roma nicht als Nachbarn möchten. Laut einer Studie der EU-Agentur für Grundrechte (FRA) in Wien aus dem Jahr 2009 erfahren die rund zwölf Millionen Roma die schlimmste Diskriminierung in Europa. 37 Prozent gaben an, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten persönlich diskriminiert wurden. Zwölf Prozent waren Opfer rassistischer Straftaten. Allerdings zeigten dies nur 20 Prozent der Betroffenen gegenüber der Polizei an. Unter den Roma, die vorwiegend in den neuen EU-Mitgliedsstaaten Mittel- oder Südosteuropas leben, zeigten bis zu 92 Prozent der Betroffenen die Diskriminierung nicht an. Die Untersuchung in allen Mitgliedsstaaten der Union zeigt, dass unter Betroffenen weitgehend Resignation herrscht und kein Vertrauen in die staatlichen Behörden.
Inzwischen bestreitet niemand, dass im postsozialistischen Bulgarien die sozialökonomische Situation besonders katastrophal ist. Bereits Mitte der 90er Jahre hatte Bulgarien laut damaliger offizieller Statistik „erstmals in seiner 1300-jährigen Geschichte" Getreide und Gemüse einführen müssen. Zudem war das Land mehr und mehr deindustrialisiert worden. Bis heute haben ihm rund 1,4 Millionen (von fast neun Millionen Einwohnern 1990) den Rücken gekehrt.[3] 2009, also noch zu Beginn der Krise, wurden nach Angaben des statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat) 16,3 Prozent der Bevölkerung der EU als armutsgefährdet eingestuft. Bulgarien lag mit 21,8 Prozent weit über diesen Durchschnitt. Auch die Armutsgefährdungsschwelle, ausgedrückt in sog. Kaufkraftstandards (KKS) liegt in Bulgarien mit 3.452 KKS weit unter dem der Länder Schweden, Österreich, die Niederlande und Zypern mit 11.000 bis 12.000 KKS.[4] Die Arbeitslosenquote betrug offiziell im Jahr 2010 ca. 10 Prozent. Bei den bei den 15-24-Jährigen sogar 23,2 Prozent. Insbesondere Geringqualifizierte, von denen viele Roma, sind betroffen. Sie bilden fast 70 Prozent der Arbeitslosen. Bei den Langzeitarbeitslosen ist Bulgarien mit 46 Prozent weit über den Durchschnitt der EU mit 40 Prozent. Zudem hat Bulgarien den höchsten Anteil an jungen Menschen, die weder in Ausbildung noch beschäftigt sind (19,5 Prozent der 15-24- Jährigen).[5]
Das Nachrichtenmagazin Monitor schilderte in seiner Sendung vom 29.03.2012 „Importierte Armut. Deutschland nach dem EU-Beitritt Bulgariens" exemplarisch, wer überdurchschnittlich Leidtragende der sozioökonomischen Verhältnisse ist: Roma. „50.000 Menschen leben in Stolipinovo. Während des Kommunismus hatten die Roma Arbeit. Mit der Privatisierung hat sich alles verändert. Die Roma wurden zuerst entlassen. So liegt die Arbeitslosenquote heute bei 90 %. Die Sozialhilfe beträgt im Schnitt 75,- € pro Familie im Monat. Zu wenig zum Leben. Der bulgarische Staat hat sich in weiten Teilen aus den Vierteln zurückgezogen. Die Roma sind sich völlig selbst überlassen. Die Verelendung nimmt ständig zu. Wir fragen die bulgarische Regierung, warum sie die Roma so ausgrenzt. Sie lässt uns wissen, auch sie sei um ‚die Lage der Roma sehr besorgt‘. Aber man sei auf dem richtigen Weg."[6] In Bulgarien leben Schätzungen zufolge ca. 10 Prozent Roma.[7] Offiziell werden mit Stand 2011 in der Statistik 5 Prozent angegeben.[8] Ihre Lebenssituation hat sich auch nach Auffassung der Bundesregierung „durch den Transformationsprozess der 1990er Jahre verstärkt" dergestalt verschlechtert, dass ihre „Lebensumstände oft von großer Armut, einem zumeist niedrigen Ausbildungs- und Erwerbsniveau sowie sozialer Stigmatisierung geprägt sind". Sieht man nun, dass die Einkommen der 20 Prozent der Bevölkerung mit dem höchsten verfügbaren Äquivalenzeinkommen 5,9 mal so hoch ist wie die Einkommen der 20 Prozent der Bevölkerung mit dem niedrigsten verfügbaren Äquivalenzeinkommen (EU-Durchschnitt: 4,9)[9], wundert es kaum, dass gemäß einer 2010 veröffentlichten Meinungsumfrage von Eurobarometer, die Menschen in Bulgarien mit -1,9 Prozent am unzufriedensten mit ihrem Leben im Allgemeinen sind (durchschnittlich +3,2 Punkte auf einer Skala von ‑10 bis +10). Und es wundert auch kaum, dass diese soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit den Boden für Ungleichwertigkeitsideologien, Ausgrenzung und Sozialchauvinismus bereitet bzw. rassistische Vorurteile reproduziert.
Rassistische und antiziganistische Parteien und Gruppen
Solidarität oder eine Repräsentation der Interessen der Roma im politischen System Bulgariens ist aufgrund des rassistischen und antiziganistischen Konsenses in einem großen Teil der bulgarischen Gesellschaft kaum zu finden. So sind es neben den Roma, die ca. 9 Prozent Türkinnen und Türken, die in Bulgarien oft schutzlos rassistischer und neofaschistischer Hetze und Angriffe ausgesetzt sind. Bei den politischen Parteien sind es in der ansonsten zersplitterten extrem rechten und rassistischen Parteienlandschaft z.B. die Parteien „VMRO-BND" (Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation – Bulgarische Nationale Bewegung), „Ataka" (Attacke) und der „Bulgarische Nationalbund" (BNS), die nationalistische und rassistische bis hin zu neofaschistischen Positionen offensiv vertreten. Letztere hatte 2010 eine Unterschriftensammlung für ein Referendum gegen den EU-Beitritt der Türkei unter dem Motto „7 Millionen Bulgaren in der EU gegen 70 Millionen Türken" organisiert und dank ihrer nationalistischen und rassistischen Hetze 320.000 Unterschriften zusammengebracht.[10]
„Ataka", die von der Bundesregierung in ihrer Antwort als „rechtsextreme Partei" eingestuft wird, fällt ebenfalls vor allem durch eine antitürkische und antiziganistische Haltung auf. „Ataka", eine von dem früheren Journalisten Volen Siderov geführte Partei, war 2007 neben der „Front National" (FN), der „Partidul România Mare" (PRM), dem „Vlaams Belang" (VB) und der „Freiheitlichen Partei Österreichs" (FPÖ) sowie zwei italienischen und einem britischen Abgeordneten an der Gründung der extrem rechten und neofaschistischen Fraktion „Identität, Tradition, Souveränität" (ITS) im Europaparlament beteiligt. Bei den Parlamentswahlen 2005 mehr als 8 Prozent der Stimmen, steigerte das Ergebnis bei den letzten Wahlen aber auf über 9 Prozent.[11] Anteil am Erfolg dürften auch die antisemitische Ausrichtung von „Ataka", die nach der Parlamentswahl 2005 auf ihrer Homepage eine Liste mit 1.500 Namen bekannter bulgarischer Juden unter der Überschrift: „Die Juden sind eine von der Pest verseuchte, gefährliche Rasse…" veröffentlichte.[12] Bei den Europawahlen holten sie fast 12 Prozent der Stimmen.[13] Siderov kandidierte 2010 bei den Präsidentschaftswahlen und kam immerhin auf fast 25 Prozent der Stimmen im zweiten Wahlgang.[14] Dabei bediente sich die Partei und Siderov, der auch Autor zweier antisemitischer Bücher ist, rassistischer und antiziganistischer Hetze. Roma wurden als „diebische, gewaltbereite und die bulgarische Mehrheitsbevölkerung terrorisierende" Minderheit, die angesichts ihrer „überproportionalen Vermehrung" eine Gefahr für den Fortbestand der bulgarischen Nation sind dargestellt. Auch wurde gegen sie Stimmung mit dem Vorwurf einer vermeintlichen „Privilegierung" durch westliche Institutionen gemacht, die angeblich die Roma „großzügig versorgen" würden.
Ähnlich der aus Deutschland bekannten Propaganda gegenüber vor allem muslimischen Migrantinnen und Migranten wird in Bulgarien die soziale Situation den Roma selbst angelastet und ihnen nicht nur die „Integrationswilligkeit", sondern auch „-fähigkeit" abgesprochen.[15] Wenn auch derzeit die Zustimmung für die Partei in der Bevölkerung sinkt und sie bei Parlamentswahlen derzeit um ihren Wiedereinzug in die Bulgarische Nationalversammlung bangen müsste, heißt dies längst nicht Entwarnung. Zum Einen waren und sind Wahlergebnisse wenn überhaupt nur Ausdruck der Spitze des Eisberges. Analog zu den sog. rechtspopulistischen Parteien in Deutschland geht die maßgebliche Gefahr bei „Ataka" für den gesellschaftlichen Frieden im Lande vor allem von der mit ihrer Politik einhergehenden schleichenden Akzeptanz gegenüber extrem rechten und rassistischen Positionen und Personen und einer nicht nur verbalen Radikalisierung aus. Dass es nicht nur bei verbalem Rassismus bleibt, zeigen die gewalttätigen Auseinandersetzungen von Anhänger von „Ataka" am 20. Mai 2011 mit Besucher/innen der Banja-Baschi-Moschee in Sofia, bei denen fünf Menschen, darunter zwei Mitglieder der Partei, verhaftet wurden. Dabei ging es nicht allein um die Moschee, sondern um die Symbolhaftigkeit, die mit dem Ort verbunden ist: die Moschee befindet sich im sog. „Dreieck der Toleranz" im direkten Stadtzentrum, nur wenige Meter neben der St. Nedelja Kirche und der Synagoge. Aufgrund dieser und anderer Ereignisse sprach die Menschenrechtsorganisation Helsinki-Komitee Bulgarien von einer „beunruhigenden Eskalation der Fremdenfeindlichkeit und des religiösen Hasses" und forderte ein Verbot der Partei.[16] Hauptplattform für die Propaganda von „Ataka" ist der Fernsehsender SKAT und ihre gleichnamige Parteizeitung. Die Zeitung, die seit 2006 herausgegeben wurde, knüpfte an die Tradition der Zeitung „Ataka" an, die bereits zwischen 1932 und 1934 erschien und nach der deutschen Nazi-Zeitung „Angriff" gezielt entsprechend der bulgarischen Übersetzung „Ataka" benannt wurde. Seit 2012 wird sie nun aus finanziellen Gründen offensichtlich nicht mehr verlegt, wie die Bundesregierung mitteilt. Die hatte aber immerhin eine Auflage von etwa 16.000 Stück und hatte damit die fünftstärkste Auflage der landesweit erscheinenden Zeitungen.[17]
Kontakte zu rassistischen und neonazistischen Gruppen in Deutschland
Eine Partei, die nicht nur in Bulgarien aktiv ist, sondern auch mit anderen neofaschistischen und rassistischen Parteien und Organisation in Europa vernetzt ist, ist der 2001 gegründete „Bulgarische Nationalbund" (BNS). Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass der 1971 geborene Anführer des BNS, Bojan Rassate (eigentlich Bojan Bojanov Stankov), mit vier Jahren zusammen mit seinen Eltern nach Stuttgart kam und später in Waiblingen zur Schule ging, bevor er 1980 mit seiner Mutter wieder nach Bulgarien ging. Der BNS verbreitet eine antiziganistische, antisemitische und antitürkische Hetze. So polemisierte er 2011: „An Stelle des ersehnten Wohlstands nach dem EU-Beitritt, breitet sich im Lande Korruption und die staatlich geduldete organisierte Kriminalität aus. Parallel damit nimmt das Verbrechertum der Zigeuner-Minderheit erschreckende Ausmaße an, so dass wir bis zum heutigen Datum feststellen können, dass keine bulgarische Familie davor unbeschadet geblieben ist. Die Diebstähle, Vergewaltigungen, Betrügereien und die Morde sind an Tagesordnung, was der anständige und arbeitsame Bulgare seit Jahren erdulden muss. Mit alledem und gepaart mit der Untätigkeit der staatlichen Organe und der sich nähernden demographischen Katastrophe, stehen wir vor dem drohen kulturellen und demographischen Untergang unseren Volkes – das eines der ältesten Völker Europas ist." In einem Interview betonte Rassate, „dass wir im Gegensatz zu anderen patriotischen Organisationen die Zigeuner nicht als Teil des bulgarischen Volkes betrachten. Von fremder Kultur rede ich bewusst nicht, weil sie keine Kultur haben. (…) Wir können heute nicht daran denken, die Zigeuner einfach umzubringen. Die Zeiten sind andere. Aber derzeit werden die Zigeuner gegenüber den Bulgaren bevorzugt. Das Gesetz gilt nicht für alle. (…) Für eine Zigeunerfamilie bedeuten mehr Kinder: mehr Sozialhilfe und mehr Arbeitskräfte, als Bettler, Diebe, Prostituierte. Die Einnahmen fließen in die Haushaltskasse." Da passt es auch ins Bild, dass er die Einführung eines „Ariernachweises" forderte.[18]
Rassate steht nicht nur in Kontakt mit der NPD und der rumänischen extrem rechten „Nua Dreapta", sondern firmiert auch als „Landesleiter"[19] und „Vertreter" Bulgariens in der 2010 zunächst unter der Bezeichnung Bund Freies Europa (BFE) gegründeten Europäischen Aktion (EA), einem neuen Organisationsversuch von Schweizer Faschist/innen unter der Führung des bekannten Holocaustleugner Bernhard Schaub. Da „Deutschland und ganz Europa der Holocaust-Religion frönen" sei eine „unwürdige Kriecherei Europas vor der amerikanisch-zionistischen Politik" zu beklagen, weshalb eine „freie Holocaustforschung" unterstützt werden müsse, um „den dritten Weltkrieg zu verhindern".[20] 2011 soll nach Information der Bundesregierung als Aktion der EA an der Sofioter Universität ein aufgezeichneter Vortrag von Schaub gezeigt worden sein. Schaub, der bis zum Verbot 2008 Vorsitzender des „Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBH), hielt die Festrede auf dem „Europa-Fest der EA auf dem Odilienberg" im Elsass. Es verwundert als kaum, dass Rassate in seiner Rede auf dem Treffen der EA am 10. September 2011 seine Solidarität mit Holocaustleugner/innen ausdrückte: „Es wird weiterhin Aufklärungsarbeit geleistet und lebhaft über die Gerichtsfälle der europäischen Märtyrer der Meinungsfreiheit wie Horst Mahler, Ernst Zündel, Sylvia Stolz, Pedro Varela, Wolfgang Fröhlich, Gerd Honsig usw. diskutiert."[21] Zu diesem wie auch dem diesjährigen Treffen waren Gäste aus europäischen Naziorganisationen wie der NPD oder der britische BNP eingeladen. Auch Rassate war angekündigt.
Personell bestehen auch sonst gute Kontakte zu den braunen Kameraden in Deutschland. Die Integration der Faschisten des „Bulgarischen Nationalbundes" (BNS) und der rumänischen Faschisten der „Noua Dreaptă" in die Strukturen der „Europäischen Nationalen Front" (ENF), in der ansonsten Parteien wie die deutsche Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), die italienische „Forza Nuova" und die spanische „La Falange" tonangebend sind und der auch die neofaschistische griechische Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung) angehört, die zuletzt bei den Wahlen in Griechenland im Juni 2012 knapp 7 Prozent erreichten, zeigt, dass gemeinsame ideologische Wurzeln und historische Kooperationen heute im Sinne einer europaweiten Kooperation und Vernetzung der Neofaschisten genutzt werden. So nehmen immer wieder auch Vertreter/innen neofaschistischer und rassistischer Gruppierungen und Parteien aus Bulgarien am „Fest der Völker" in Jena, an Veranstaltungen zum „Antikriegstag" in Dortmund oder auch den Naziaufmärschen in Dresden anlässlich der Bombardierungen der Stadt teil. Ausdruck dieser Vernetzung sind entsprechende „Gegenbesuche" von Mitgliedern und Beobachtern der ENF-Parteien bei sog. jährliche stattfindenden „Gedenkfeiern" bzw. „-märschen" wie die zu Ehren von Ion Mota und Vasile Marin im Januar in Madrid, anlässlich des Imia‐Zwischenfalls im Januar in Athen, anlässlich der Bombardierung Dresdens im Februar in Dresden oder auch zu Ehren des Faschistenführers Corneliu Codreanu im November in Bukarest. Ein weiteres Beispiel ist der jährlich seit 2004 im Februar zu Ehren des faschistischen Generals Hristo Nikolov Lukov[22] stattfindende sog. Lukov-Marsch in Sofia, an dem sich neben „Blood and Honour" Angehörige des „Nationalen Widerstandes" („Nazionalna Saprotiva"), des „Bulgarischen Nationalbundes", Nazi-Skinheads und Mitglieder der sog. Ultras von Levski Sofia auch Mitglieder extrem rechter Gruppen aus mehreren europäischen Ländern beteiligen. Im Zusammenhang mit dem Lukov-Marsch traten auch die Nazi-Bands „Libertin" aus Dortmund und „Civil Disorder" aus Magdeburg auf.
Insgesamt bestehen nicht nur seit Jahren sporadische Kontakte zwischen Angehörigen deutscher und bulgarischer neofaschistischer und rassistischer Organisationen. Es muss sehr wohl davon ausgegangen werden, dass Bulgarien durchaus entsprechende Strukturen anbietet, die es nicht abwegig erscheinen ließen, dass das BKA „im Zusammenhang mit dem vom Amtsgericht Jena Ende 1998 ausgestellten Haftbefehl gegen die seit November 2011 als NSU-Trio bekannten Personen wegen Vorbereitung eines Explosions- und Strahlungsverbrechen gemäß § 310 StGB und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a StGB … im Rahmen seiner Zentralstellenfunktion für den internationalen polizeilichen Dienstverkehr mit Schreiben vom 7. August 1998 die bulgarischen Polizeibehörden über Interpol um Fahndung nach den genannten Personen mit dem Ziel der Festnahme und Auslieferung gebeten [hat], falls diese in Bulgarien angetroffen werden sollten. Hintergrund dieses Ersuchens waren im Rahmen des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Gera aufgekommene Hinweise, wonach sich die gesuchten Personen seinerzeit in Bulgarien aufhalten bzw. von dort per Flugzeug nach Südafrika weiterreisen sollten. Im Ergebnis konnten die gesuchten Personen in Bulgarien nicht festgestellt werden." So antwortete die Bundesregierung auf eine Frage von mir im Rahmen meiner Kleinen Anfrage.
Was dagegen tun?
Das Problem bzgl. der Bedrohung durch Neofaschistinnen und Neofaschisten ist, dass diesem selbst in der Linken Bulgariens wenig Platz eingeräumt wird. Das Thema Rassismus, das dort noch weniger als in Deutschland als eins zwar sehr wohl mit dem Neofaschismus zusammenhängendes aber eben nicht gleichzusetzendes Problem gesehen wird, ist faktisch gar kein Thema in der öffentlichen Debatte. Beides sind Themen, die wenigen aber um so engagierteren Menschen aus der antifaschistischen und antirassistischen Szene beackert wird. Dass sie aufgrund der geringen Wahrnehmung des Problems auch kaum gesellschaftlichen Rückhalt haben, zeigen die zahlreichen An- und Übergriffe auf sie wie zuletzt am 21. September dieses Jahres in Sofia.[23]
Rassistische Gewalt in Sofia aber auch anderen Städten Bulgariens ist faktisch ein Normalzustand. Da den Opfern zumeist selbst die Schuld daran gegeben wird, dass sie – entweder wegen ihrer vermeintlich (kulturell oder biologisch) „selbstverschuldeten" sozialen Situation oder ihres politischen Engagements – zu Zielen von Anfeindungen, An- und Übergriffen werden, findet sich unabhängig vom bestehenden rassistischen Konsens bei einem großen Teil der bulgarischen Gesellschaft weder bei der Polizei noch in der Politik eine Lobby. An- und Übergriffe bleiben daher öffentlich weitgehend unkommentiert, und schon gar nicht werden sie adäquat beantwortet. Antifaschismus und Antirassismus muss von vielen linken Organisationen erst noch entdeckt werden. Die soziale Frage stellt dabei sicher einen Anknüpfungspunkt in der Zusammenarbeit von linken Organisationen und antifaschistischen und antirassistischen Gruppen dar, um sie in kausalen Zusammenhang, mit Antirassismus und Antifaschismus zu bringen. Das Hauptproblem scheint mit aller gebotenen Vorsicht einer Außenbetrachtung zu sein, dass es einerseits nicht allein darum gehen kann, den Nazis sowie Rassistinnen und Rassisten alltäglich entgegenzutreten, sondern einen eigenen Beitrag für eine solidarische und nicht rassistische Gesellschaft zu entwickeln. Die antifaschistischen Kräfte in Bulgarien sollten unter Berücksichtigung von internen organisatorisch-strukturellen und inhaltlichen Fragen einen Ausweg aus der Marginalisierung zum Zwecke von Bündnissen finden. Dabei geht es gerade nicht um Bündnisse als Selbstzweck. Es geht darum Anschlussmöglichkeiten für und Anschlussfähigkeiten zu eigene(n) Positionen auszuloten bzw. herzustellen. Gleiches gilt übrigens auch für die linken Parteien und Organisationen. Hier wird offensichtlich zu oft Unterschiede in den Biografien, den politischen Ansichten und Aktionsformen den gemeinsamen verbindenden sozialen Grundgedanken einer antikapitalistischen Perspektive der Vorzug gegeben. Die staatliche Kriminalisierung und Repression gegen junge Antifaschistinnen und Antifaschisten wird nicht nur teilweise toleriert, sondern häufig sogar mitgetragen. Notwendig ist in jedem Fall eine klare inhaltliche und personelle Abgrenzung von rassistischen und neofaschistischen Gruppen und Parteien. Eine irgendwie geartete Zusammenarbeit mit ihnen und ihren Vertreterinnen und Vertretern ist auszuschließen, denn es wertet diese einschließlich ihrer rassistischen und neofaschistischen Propaganda und Aktivitäten auf. Sie werden faktisch als „normale" politische Akteure eingeführt, obwohl ihre politische Ausgrenzung notwendig wäre. Ein negatives Beispiel ist hier die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP). Die BSP, deren Vorsitzender vor kurzen zum Vorsitzenden der PES (Partei der Europäischen Sozialisten) gewählt wurde, arbeitet seit geraumer Zeit eng mit den Rassisten und neofaschistischen Kräften der VMRO zusammen, die aktiv den alljährlichen Lukov-Marsch unterstützt. So z.B. haben sie gemeinsam die Unterschriftenkampagne für die Durchführung eines Referendums für den Bau des Atomkraftwerkes in der erdbebengefährdeten Stadt Belene organisiert und durchgeführt. Doch auch darüber hinaus soll die Kooperation ausgebaut werden. Gut ist, dass sich sofort auch Protest gegen diese Zusammenarbeit regte. Die sozialdemokratische Organisation „Solidarisches Bulgarien" und die Partei „Bulgarische Linke" riefen den Vorstand der PES in einem Offenen Brief auf, diese Zusammenarbeit einzustellen.[24]
Ohne politische Klarheit kann es kein politisches Gegengewicht geben. Und ohne politisches Gegengewicht können rechte Gruppen und Organisationen soziale Konflikte rassistisch aufladen und den Neofaschistinnen und Neofaschisten den geistigen Nährboden für ihre verbrecherische Gesinnung bereiten. So ist es in Deutschland über Jahre gelungen z.B. gemeinsame Bündnisse gegen den Naziaufmarsch in Dresden zu schmieden; nicht allein mit linken Kräften. Hier gäbe es bzgl. des Lukov-Marsches sowohl in der Bündnisarbeit in Bulgarien als auch darüber hinaus hinreichend Potential. Gefragt sind gegenseitige Unterstützungen. Diese kann personell, materiell und/ oder finanziell sein und an bestimmte Gruppen und politische Projekte gerichtet sein. Aber auch ein kontinuierlicher Erfahrungsaustausch ist wichtig. Das Übersetzen von Informationen und Texten spielt dabei eine wichtige und notwendige Rolle, um eine Debatte zu ermöglichen. So können auch Konzepten und Erfahrungen zur Organisation oder zum Aufbau von Gruppen, genau so wie technische Möglichkeiten der sicheren Vernetzung und inhaltliche Diskussionen stattfinden.
[1] http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/702404/Machen-wir-Seife-aus-Zigeunern
[2] http://www.bpb.de/apuz/33279/roma-und-minderheitenrechte-in-der-eu-anspruch-und-wirklichkeit?p=all
[3] http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Bulgarien/1990.html
[4] http://epp.eurostat.ec.europa.eu/statistics_explained/index.php/Income_distribution_statistics/de
[5] http://ec.europa.eu/esf/main.jsp?catId=372&langId=de
[6] http://www.wdr.de/tv/monitor//sendungen/2012/0329/armut.php5
[7] http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0173:FIN:DE:PDF, S. 17
[8] http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Bulgarien_node.html
[9] http://epp.eurostat.ec.europa.eu/statistics_explained/index.php/Income_distribution_statistics/de
[10] http://bulgaria.indymedia.org/article/37014
[11] für 2007 hier: http://pi2005.cik.bg/results/; für 2009 hier: http://pi2009.cik.bg/results/proportional/rik_00.html
[12] http://www.politikberatung.or.at/typo3/fileadmin/02_Studien/6_europa/Rechte_Parteien.pdf
[13] http://ep2009.cik.bg/results/
[14] http://pvr2006.cik.bg/results_2/index.html
[15] http://anti-ziganismus.de/artikel/von-faulen-zigeunern-und-diskriminierten-roma/
[16] http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2011/05/21/International/Sofia-Rechtsextreme-greifen-Muslime-an
[17] http://www.politikberatung.or.at/typo3/fileadmin/02_Studien/6_europa/Rechte_Parteien.pdf
[18] zit. nach: http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3717/
[19] http://www.woz.ch/die-europaeische-aktion/kommt-in-volkstreuen-kleidern
[20] zit. nach http://www.bnr.de/node/12152
[21] http://www.europaeische-aktion.org/Artikel/de/Ansprache-von-Prof-Petar-Ivanov-und-Bojan-Rassate_18.html