Rassismus und Kapitalismus

„Wir müssen in 2010 einen Anstieg von dezidiert antidemokratischen und rassistischen Einstellungen feststellen und beobachten zudem eine leichte Zunahme der sozialdarwinistischen Ungleichwertigkeitsvorstellung", wird in der Studie „Die Mitte in der Krise" der Friedrich-Ebert-Stiftung festgestellt.[1] Nicht erst im Zusammenhang mit den Debatten um das Buch des Ex-Vorstandmitglieds der Bundesbank und SPD-Finanzsenators von Berlin, Thilo Sarrazin, „Deutschland schafft sich ab" (2010), deren Auswirkungen in der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung noch keine Berücksichtigung fand, fordern die gesellschaftlichen Verhältnisse zu einer Beschäftigung mit Rassismus bzw. rassistischer Diskriminierung auf. Studien belegen seit längerem weit verbreitete rassistische Einstellungen in der Bevölkerung ebenso wie Statistiken von Antidiskriminierungsbüros und Opferberatungen. In der Langzeituntersuchung „Deutsche Zustände" schreibt Wilhelm Heitmeyer:„Auch heute grassiert – quasi hinter dem Rücken der angeblichen Aufklärung – eine Ideologie der Ungleichwertigkeit. Sie ist keineswegs historisch überholt, sondern tritt in ‚moderaten‘ Formen auf, ist aber stets latent vorhanden (…). Diese Ideologie kommt in Gestalt der Abwertung schwacher Gruppen zum Ausdruck, die wiederum eine Legitimationsfunktion für Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt erfüllt (…)."[2]

Rassismus – Problem einer Randgruppe?

Abschiebeknäste, Residenzpflicht und die Isolierung von Flüchtlingen sowie die weit unterdurchschnittliche Präsenz von Migrantinnen und Migranten im Öffentlichen Dienst, in den Universitäten, Gerichten etc. sprechen für eine gezielte Ausgrenzung in der deutschen Gesellschaft. Auch die bar jedweder empirischen Grundlage stattfindenden Stereotypisierungen von Migrantinnen und Migranten als vermeintliche „Integrationsverweigerer", die pauschalen und homogenisierenden Zuschreibungen von Burka, Genitalverstümmelung, so genannten „Ehrenmorden" sowie „Zwangsverheiratungen" an Musliminnen und Muslime bestimmen das gesellschaftliche Klima in der Bundesrepublik.

Trotzdem bzw. gerade deshalb musste der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zu Rassismus, Githu Muigai, bei seinem Besuch im Juni 2009 in Deutschland Defizite bei Politik und Gesellschaft im Kampf gegen den Rassismus bemängelt. Demnach werde Rassismus in Deutschland immer noch mit „Rechtsextremismus"[3] gleichgesetzt und damit nicht ausreichend wahrgenommen. Auch die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), ein 1994 vom Europarat gegründetes Gremium, ist darüber beunruhigt, dass infolge der zur Zeit in Deutschland vorherrschenden engen Auffassung von Rassismus rassistisch motivierte Straftaten vermutlich nicht immer als solche untersucht und verfolgt werden, es sei denn, die Täter oder Täterinnen seien deutlich erkennbar Mitglieder rechtsextremer Gruppen oder Sympathisierende solcher Gruppen.

Diese Kritikpunkte richten sich auch auf den von der Bundesregierung nach einem jahrelangen Vorlauf im Oktober 2008 verabschiedeten Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus (NAPgR), zu dem sie sich auf der Weltkonferenz gegen Rassismus 2001 verpflichtet hatte. Der NAPgR hat viel Kritik auf sich gezogen, insbesondere weil von verschiedenen mit dem Thema Rassismus befassten Institutionen den konkreten Handlungscharakter des vorgelegten Plans vermissen und darin keine konkreten, umsetzbaren und messbaren Ziele benannt werden. Weiter fehlt eine umfassende Bestandsaufnahme zum Thema Rassismus für die Bundesrepublik Deutschland, jenseits der Auseinandersetzung mit der extremen Rechten.

Doch woran liegt es, dass in Deutschland Rassismus vorwiegend als ein Problem der extremen Rechten betrachtet wird oder besser gesagt betrachtet werden soll? Ein Grund liegt sicher in der komplexen Struktur und den vielfältigen Erscheinungsformen des Rassismus, der es über Deutschland hinaus schwer macht, sich dem Thema zu nähern. Schon die kategoriale Fassung, die seitens der Vereinten Nationen im Jahre 1966 für „racial discrimination" vorgenommen haben, macht dies deutlich. Danach ist „Rassendiskiminierung" bzw. rassistische Diskriminierung „any distinction, exclusion, restriction or preference based on wace, colour, descent, or national or ethnic origin".[4]

Ein weiterer Grund ist, dass Rassismus mit seiner negativen Konnotation dem positiven Selbstbild des Einzelnen aber auch der Gesellschaft insgesamt widerspricht und deshalb gerne in seiner Bedeutung heruntergespielt oder gar ganz geleugnet wird. Doch der entscheidende Grund ist, einen auf Rechtsextremisten reduzierten Rassismus als Randgruppenphänomen abzutun. Diese reduktionistische Sicht erlaubt es, die strukturelle Verankerung des Rassismus sowohl in der Zeit vor als auch nach der Nazidiktatur außen vor zulassen und damit Rassismus nicht als ein sich wesenhaft aus dem Kapitalismus ergebendes Legitimationskonstrukt für Ungleichheit und Ungleichwertigkeit darstellen zu müssen. Zwar kann es Rassismus ohne Kapitalismus geben, aber keinen Kapitalismus ohne Rassismus. Klar ist dabei, dass Rassismus nicht nur ein nachkoloniales Phänomen, das sich nur in kapitalistischen Gesellschaften findet, sondern auch ein nachkapitalistisches Phänomen ist. Das ergibt sich allein daraus, dass das Sein ein Bewusstsein geschaffen hat, das Ideologie als auch Mechanismen fortbestehen lässt.

In dem bis zur deutschen Einheit Rassismus insbesondere in Deutschland auf den völkischen Rassismus der Nazis (Rassenideologie) reduziert wurde, musste sich mit der Existenz und dem Fortleben rassistischer Einstellungen als „kolonialem Erbe" nicht befasst werden, obwohl viele rassistische Stereotypen wie etwa „Schwarze seien triebhaft oder sie seien faul" und „den Lateinamerikanern liegt der Rhythmus der Musik im Blut" aus der Kolonialzeit stammen. Kein Wunder also, dass die kritische Reflexion des Rassismus als Legitimation für Unterdrückung und Entrechtung im (Neo)Kolonialismus in Deutschland heute noch in den Kinderschuhen steckt. Erst in den 90er Jahren gelang es im Zuge der rassistischen Übergriffe und Brandanschläge in Rostock, Mölln, Solingen und Hoyerswerder den Begriff „Rassismus" als politischen Begriff zu implementieren, doch wurde Rassismus getreu der herkömmlichen Sicht zum Problem der extremen Rechten gemacht. Diese war und ist in offizieller Lesart eine vermeintliche Randgruppe, womit Rassismus als gesellschaftlicher Tatbestand negiert wird. Doch Rechtsextremismus ist „nur" die radikalste Form des Rassismus. Die Erkenntnis, jeder Nazi ist zwar Rassist, aber nicht jeder Rassist ist Nazi, wird bis heute in weiten Teilen der politischen Öffentlichkeit, auf staatlichen Ebenen und in Medien gern vernachlässigt.

Laut der sozialwissenschaftlichen Studie von Sinus Sociovision „Diskriminierung im Alltag – Wahrnehmung von Diskriminierung und Antidiskriminierungspolitik in unserer Gesellschaft" der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus dem Jahr 2009 lautet die typische Assoziationskette beim Stichwort Religion: Religion – Islam – Fundamentalismus – Terror. Weitere Assoziationsketten sind: Religion – Moslems – Türken – Ausländer – Bedrohung oder Religion – Moslems – Intoleranz – Hassprediger – Unterwanderung/ Zerstörung unserer Kultur. Niemand denkt offensichtlich im Kontext mit Religion an das Christentum und im Zusammenhang mit diesem an Hexenverfolgung, Inquisition, Kreuzzüge, Konkordat mit Hitler, Fundamentalismus (Kreationismus) etc. Ausgehend von diesen Assoziationsmustern überrascht es auch nicht, dass beispielsweise 45 Prozent nichts dagegen haben, dass nach jedem Terroranschlag als Erstes Muslime verdächtigt werden. Der Ansicht, dass die meisten Muslime intolerant und gewalttätig seien, stimmten so 39 Prozent zu. In diesem Zusammenhang scheint es fast folgerichtig, wenn 58,4 Prozent der in den Repräsentativbefragungen der Friedrich-Ebert-Stiftung im Rahmen der Studie „Die Mitte in der Krise" Befragten dafür sind, für Muslime in Deutschland die Religionsausübung erheblich einzuschränken.[5]

Derartige Zuschreibungen sollen aber nicht nur die bereits „vergebenen" Positionen von Menschen innerhalb einer hierarchisierten Gesellschaft, sondern auch die fortbestehende Ausgrenzungspraxis legitimieren. Verschleiert werden soll die Benachteiligung bei der Zuteilung von und beim Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen. Um die Benachteiligung, Diskriminierung und Unterdrückung durchzusetzen bedient(e) sich der Staat verschiedener Mittel. Im Kolonialismus und Faschismus wurde die Ausgrenzung mittels Gewalt bis zum Mord durchgesetzt. Heute ist die Durchsetzungspraxis der Diskriminierung innerstaatlich beispielsweise in der Flüchtlingspolitik subtiler, weniger tödlich, allerdings trotz allem gewaltförmig. Hier funktioniert staatlicher Rassismus in Form von Ausweisungen, Abschiebegefängnissen, Abschiebungen und der Abschottung mit militärischen Mitteln wie zum Beispiel der Europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX. In der Integrationspolitik läuft die Ausgrenzung über das Vorenthalten gleicher sozialer und politischer Rechte und Diskriminierung findet sich beispielsweise im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt sowie durch die Verweigerung gleicher staatsbürgerlicher Rechte.

Doch die Diskriminierung von Migrantinnen und Migranten wird fälschlicherweise nicht als eine Erscheinung des in der Gesellschaft bestehenden Rassismus betrachtet, sondern bereits als dessen Kern und Wesen. Aber unabhängig von den verschiedenen Erscheinungsformen von Rassismus bleibt, dass Rassismus als Ausgrenzungspraxis und –diskurs zum Kapitalismus gehört.

Kapitalismus und Rassismus – Henne und Ei?

Keine Frage, die Legitimation von Ungleichheit und Ungleichwertigkeit ist älter als der Rasse- und der Rassismusbegriff. Die Geschichte des Rassismus zeigt, dass er untrennbar mit der Legitimation sozialer Ungleichheit und dem Bewusstwerden darüber verbunden ist, dass diese nicht „gottgegeben" ist. Wenn auch der Frage, ob Rassismus vorkapitalistisch oder im Zuge der Herausbildung des Kapitalismus entstanden ist, hier nicht nachgegangen wird, bleibt als dessen Wesen grundsätzlich festzuhalten, „für gesellschaftliche Unterschiede eine naturbedingte Rechtfertigung"[6] bieten zu sollen. Dies um so mehr, als die Aufklärung mit dem Anspruch universaler Gleichheit und Menschenrechte das Erdenglück Aller propagierte, ohne dies tatsächlich im Rahmen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften erfüllen zu können. Diesen Widerspruch verschleierte eine „horizontale" und „transversale Rassisierung".[7] Erstere ethnisiert die Unterschiede zwischen den Angehörigen von verschiedenen Staaten und letztere bezieht sich auf den Sozialantagonismus zwischen den Klassen und Schichten (also zwischen Oben und Unten). Insofern hatte Rassismus schon immer eine außen- und innenpolitische Komponente. Grundsätzlich geht es aber darum, soziale und kulturelle Differenzen zu naturalisieren und damit entsprechend auch die sozialen Beziehungen zwischen Menschen als unveränderlich darzustellen. Vermeintlich feststehende und unveränderliche Unterschiede werden dabei anhand körperlicher, soziologischer und kultureller Merkmale (z.B. Sprache, Kultur, Religion) konstruiert und mit einer Wertung versehen.

Ausgrenzungs- bzw. Abgrenzungsideologien, vor allem Rassismus, Nationalismus und Sozialdarwinismus, sind in letzter Konsequenz in kapitalistischen Gesellschaften vor allem auf die Konkurrenz zurückzuführen. Was zählt, ist – ganz im Sinne kapitalistischer Logik – Leistung und das Prinzip der Verwertbarkeit. Letztlich geht es immer darum, zu vermitteln, dass die sozioökonomische Statusposition vermeintlich durch gute oder schlechte, in jedem Falle aber individuell zurechenbare Leistung zustande gekommen ist. Nur so können Ausbeutung und Unterordnung als gerecht verklärt und die vielfältigen Formen der Repression gerechtfertigt werden. Dafür bedarf es auch eines sozialpsychologischen Klimas, um Leistungseinschränkungen oder auch Zumutbarkeits- oder Sanktionsverschärfungen den Boden zu bereiten. Solidarität, Gleichheit, Gerechtigkeit und Humanität bleiben im „Säurebad der Konkurrenz" (Karl Marx) auf der Strecke. Im Kampf „jeder gegen jeden" findet eine systemimmanente Selektion statt. In der kapitalistischen Gesellschaft sind mit der Geburt in eine bestimmte soziale Schicht hinein immer Startplatz und Chancen unterschiedlich verteilt. Die Schranken der feudalen Ständeordnung für Berufswahl und –ausbildung sind zwar in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung formaljuristisch beseitigt, tatsächlich aber durch ökonomischen Zwang faktisch weiter wirksam. Die Thesen von einer genetisch bzw. kulturbedingten sozialen Schichtung der Bevölkerung, wie von Sarrazin vertreten, sollen die sozialökonomischen Grundlagen der Klassengesellschaft verdecken. Marx und Engels verurteilten eine solche Sicht bereits 1850 in einer Rezension in der „Neuen Rheinischen Zeitung". Denn „der historisch erzeugte Klassenunterschied wird so zu einem natürlichen Unterschied, den man selbst als einen Teil des ewigen Naturgesetzes anerkennen und verehren muss."

Diese soziale Ausgrenzung braucht Stigmatisierung. Hauptfunktion der Stigmatisierung ist die Legitimationsbeschaffung und Herrschaftssicherung. Und zwar nach Außen sowie nach Innen. Anders kann die Statusposition von Staaten, Einzelnen bzw. bestimmten Personengruppen nicht vermittelt werden. Ausbeutung und Unterordnung sollen als gerecht verklärt und die vielfältigen Formen der Repression diesen gegenüber gerechtfertigt werden. Aus dem Blickfeld soll so das Verhältnis zwischen sich ausbreitender Armut und die kapitalistische Produktionsweise, die diese Armut hervorbringt. Die einen müssen immerfort arbeiten ohne jemals reich werden zu können und andere verarmen weil sie keine Arbeit haben oder inzwischen sogar trotz Arbeit arm sind.

Außenpolitisch werden soziale Konflikte und Widersprüche der kapitalistischen Globalisierung zu Konflikten zwischen Religionen und Kulturen umgedeutet, wie in Huntingtons berüchtigten „Kampf der Kulturen". Damit werden sie zum anderen rassistisch und sozialdarwinistisch aufgeladen. Gesellschaftliche Probleme im „Süden" werden unter Missachtung politischer und sozialer Faktoren auf spezifische Mentalitäten und Kulturen zurückgeführt. Dies geschieht zum Beispiel, wenn die Ausbreitung von AIDS in Afrika mit einer vermeintlichen Neigung der Afrikanerinnen und Afrikaner zur Promiskuität erklärt wird. Daran knüpfen sich dann Debatten über den Zusammenhang von Bevölkerungszahl und Elend bzw. Armut an. Bereits Thomas R. Malthus vertrat in seinem 1798 veröffentlichtem „Essay on the Principle of Population" die These, dass für das Elend der Armen ihr „ungehemmter Vermehrungstrieb" ursächlich sei. Er unterstellte ihnen damit, dass ihre Armut selbstverschuldet sei. Diese Theorie von Malthus ist in der heutigen Debatte um die so genannte Unterschicht wiederzufinden.

Rassistische Argumentationsweisen finden sich auch im Zusammenhang mit dem Stichwort „Good Governance" und damit zusammenhängenden Stigmatisierungen politischer Klassen anderer, meist südlicher Länder als korrupt. Oder aber, wenn „failed states" und „neue" Kriege auf eine tief verankerte gewalttätige politische Kultur zurückgeführt werden. Als einziger Ausweg wird dann die Treuhandschaft „zivilisierter" Industriestaaten angeführt. Deshalb fordert der Westen zwar verbal den Respekt von Menschenrechten und Demokratie, tatsächlich aber unterstützt er die despotischen und korrupten Regime in vielerlei Regionen. Insofern geht es vordergründig um die Kaschierung des Griffs nach vor allem knapper werdenden Ressourcen. Hier wird sich ein Konkurrenzvorteil mittels Kontrollen und Sanktionen verschafft.

Die Kulturalisierung des Politischen wird groß geschrieben; soziale und politische Aspekte werden als kaum zu überwindende kulturelle Eigenschaften verklärt. Migration und Integration werden primär als Fragen von kultureller Differenz interpretiert. Soziale Widersprüche werden so an einer „kulturalisierten Unterschicht" von zumeist jugendlichen Migrantinnen und Migranten festgemacht. Deren Kultur wäre demnach daran schuld, dass sie keine Chancen auf dem Arbeits- und Bildungsmarkt hätten. Für Migrantinnen und Migranten werden bereits existierende sozialdarwinistische Stigmatisierungen und Stereotype rassistisch verstärkt, in dem ihnen naturgemäße, unveränderliche Eigenschaften aufgrund ihrer soziokulturellen bzw. territorialen Herkunft quasi biologisch zugeschrieben werden. Das Ziel ist, auf einer ganz grundsätzlichen Ebene immer wieder die Sicht zu reproduzieren, dass die Ausgegrenzten die eigentlichen (zumindest Mit-)Verursacher/innen der Diskriminierung sind. So bieten Ressentiments innenpolitisch Anknüpfungspunkte für eine offensive Forderung nach Ungleichbehandlung im Sinne von Schlechterstellung von Migrantinnen und Migranten. Der Zynismus spiegelt sich in dem Abbau und gleichzeitigen Hochhalten dieser Rechte wider. Da werden verfassungsmäßige Grundrechte unter der Losung der Integrationsfähigkeit als Privilegien verteilt.

Das Armutsrisiko als auch die tatsächliche Armut von Migrantinnen und Migranten liegt deutlich höher als das der sog. Mehrheitsbevölkerung. Dokumentiert ist auch, dass in den letzten Jahren die Anzahl der Kinder in der Bundesrepublik, die in Armut leben, stärker gestiegen ist als in anderen Industriestaaten. Auch hier sind Familien von Migrantinnen und Migranten besonders betroffen. Doch entscheidend ist, anzuerkennen, dass sich ihre Prekarisierung im Rahmen eines allgemeinen, umfassenden Prozesses abspielt. Allgemein nehmen prekäre Lebenssituationen, also Verarmung, Destrukturierung des Lebens und Zukunftsperspektiven sowie gesellschaftliche Exklusion zu. Dies zu leugnen und sich einseitig auf Migrantinnen und Migranten zu beziehen, verschleiert die politische und soziale Diskriminierung und schreibt soziale Unterschiede „ethno-kulturell" fest.

Die Debatten um Einwanderung von Fachkräften als auch die um so genannte Integrationsverweigerung, zeigen eine Seite des aktuellen Rassismus. Auch das – zumeist von Konservativen nur halbherzig abgegebene Bekenntnis zum Einwanderungsland Deutschland – stellt keinen tatsächlichen Bruch mit dem Rassismus dar. Denn egal worum es geht, wichtigstes Prinzip bleibt die Ab- bzw. Bewertung von Menschen nach ihrem „Nutzen" für Deutschland. Mehr denn je beherrscht eine strikte Auswahl nach Nützlichkeit das Denken und Handeln. Um Fachkräfte wird geworben, Ehegatten mit „bildungsferner" Herkunft werden bewusst draußen gehalten.

DIE LINKE stellt den Menschen statt die Profite in den Mittelpunkt ihrer Politik. Sie wendet sich explizit gegen eine Kulturalisierung der sozialen Konflikte und tritt Vorstellungen von homogenen Kulturen entschieden entgegen. Rassismus wird von der LINKEn als Ausgrenzungs- und Spaltungsideologie ernst genommen. Denn gerade angesichts der Krise werden die Verteilungskämpfe in Deutschland heftiger. Mit einem gigantischen Kürzungsprogramm wird die Umverteilung von unten nach oben weiter vorangetrieben. Die Kosten der Krise sollen Beschäftigte, Erwerbslose, Rentnerinnen und Rentner und Jugendliche zahlen. Um von der massiven Verteilung von unten nach oben abzulenken wird im herrschenden Integrationsdiskurs gegen Migrantinnen und Migranten auf rassistischer und sozialdarwinistischer Art und Weise gehetzt. Das ist der Versuch die eigentlichen gesellschaftlichen Problemen wie die wachsende Armut für die Mehrheit und den steigenden Reichtum Weniger zu verbergen und einen Sündenbock für die verfehlte Politik zu präsentieren. Das ist der Versuch die Menschen zu spalten. In Deutsche und Migranten.

DIE LINKE wendet sich gegen diese Sündenbockdebatte und den Versuch die Menschen in Deutschland zu spalten, um den Widerstand gegen diese Politik der Ausbeutung und Diskriminierung zu schwächen. Es müssen insoweit Perspektiven entwickelt werden, die die Interessen verschiedener Gruppen auf solidarische Weise verbinden. Grundlage dafür können die Ergebnisse zahlreicher wissenschaftlicher Studien bilden, die feststellen, dass die Selbstverortung und –wahrnehmung von Migrantinnen und Migranten sich aus ihrem sozialen Status ergibt. Um den Spaltungsversuchen und damit dem Rassismus soweit es geht den Boden zu entziehen müsste DIE LINKE die soziale Frage stärker angehen, indem sie eine antirassistische und antikapitalistische Kritik offensiv formuliert und in die alltäglichen Auseinandersetzungen einbringt. Sie muß die wahren Konfliktlinien in unserer Gesellschaft vermitteln. Daß es nicht Migrantinnen und Migranten sind, die dem Wohlstand der Deutschen im Wege stehen, sondern die Logik einer Wirtschaft, deren höchstes Ziel der Profit ist, die den sozialen Frieden ebenso bedroht wie die Lebensgrundlagen von Deutschen sowie Migranten. Daß die Konfliktlinien nicht zwischen Deutschen und Migranten, den Kulturen oder Religionen verlaufen, sondern zwischen denen, die für ihre Arbeitsleistung gerade einmal einen mäßigen Lohn bekommen, und denen, die sich an der Arbeit ihrer Mitmenschen hemmungslos bereichern. Zwischen denen, die nur ihre Arbeitskraft am Markt anbieten können, und jenen, die diesen Markt mit reichlich Kapital steuern. Zwischen denen, die ohne Arbeit leben und bleiben, und jenen, die ihren Beschäftigten Überstunden und Mehrarbeit abverlangen.

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[1] Friedrich-Ebert-Stiftung (2010): Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010.

[2] Wilhelm Heitmeyer (2008): Die Ideologie der Ungleichwertigkeit, in Deutsche Zustände, Folge 8, Frankfurt a.M., S. 38

[3] Hier kann und soll keine Auseinandersetzung mit dem von der Verfasserin abgelehnten Begriff „Rechtsextremismus" geführt werden.

[4] United Nations (1966): International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination, in: http://www.hri.org/docs/ICERD66.html; zuletzt geprüft am 10.11.2010

[5] Friedrich-Ebert-Stiftung (2010): a.a.O., S. 134.

[6] Delacampagne, Christian (2005): Die Geschichte des Rassismus, Düsseldorf, S. 60

[7] Losurdo, Domenico (2009): Nietzsche der aristokratische Rebell. Intellektuelle Biografie und kritische Bilanz, Hamburg, S.13, 409 ff

Dieser Beitrag ist erschienen in: Rundbrief der BAG Rechtsextremismus / Antifaschismus, Nr. 1/2011