Rechtsbrüche gegen Türken beim Assoziationsrecht endlich beenden
Erste Beratung des von den Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Dr. Konstantin von Notz, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Klarstellung des assoziationsrechtlichen Rechtsstatus Staatsangehöriger der Türkei im Aufenthalts-, Beschäftigungserlaubnis- und Beamtenrecht (BT-Drs. 17/12193)
Anfang der Woche besuchte Bundeskanzlerin Merkel die Türkei und traf den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan und Staatspräsident Gül. Ihr Besuch sollte auch der Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen dienen. Doch auch das beständige Beschwören der deutsch-türkischen Freundschaft und der engen Verbindungen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei bleiben leere Worthülsen. Geradezu heuchlerisch wirkt es vor dem Hintergrund, dass die Bundesregierung türkischen Staatsangehörigen die Einreise nach Deutschland durch die unrechtmäßige und europarechtswidrige Praxis der Visumpflicht erschwert und vielen sogar verhindert. Insofern bietet der vorliegende Gesetzentwurf der Grünen die Gelegenheit, im Bundestag erneut über den skandalösen Umgang der Bundesregierung mit den Rechten türkischer Staatsangehöriger und über die Brüskierung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in diesem Zusammenhang zu debattieren.
Bereits im Oktober 2011 hat DIE LINKE einen Antrag mit dem Ziel einer wirksamen Umsetzung des EWG-Türkei-Assoziationsrechts in den Bundestag eingebracht. Vor allem geht es um die Beachtung der Verschlechterungsverbote im Assoziationsrecht, auch Standstill-Klauseln genannt. Vereinfacht gesagt bedeutet dies, dass jedwede Verschlechterung der Rechtslage und Praxis im Umgang mit türkischen Staatsangehörigen verboten ist, soweit damit in deren Rechte auf Beschäftigung bzw. in die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit eingegriffen wird. Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung immer wieder betont, dass diese Verschlechterungsverbote effektiv und umfassend anzuwenden sind. Ständige Rechtsprechung ist, dass auch Aufenthaltsrechte und die Bedingungen der erstmaligen Einreise dem Verschlechterungsverbot unterfallen und dass zwischenzeitliche Lockerungen des Rechts nicht mehr wieder zurückgenommen werden dürfen. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat auf meine Bitte hin eine umfangreiche Ausarbeitung dazu angefertigt, in der der Frage nachgegangen wird, in welchem Ausmaß in Deutschland gegen verbindliches EU-Recht verstoßen wird. Doch obwohl die Rechtsprechung des EuGH und auch die überwiegende Kommentarliteratur recht eindeutig sind, verweigert die Bundesregierung aus politischen Gründen die Rechtssprechung des EuGH und verletzt damit die betroffenen Menschen in ihren Rechten. Das ist ein unerhörter Vorgang und belegt auch die Bigotterie der Bundesregierung, die gerade gegenüber türkischen Staatsangehörigen nicht müßig wird, vorwurfsvoll die Beachtung von Recht und Gesetz einzufordern.
Die Strategie der Bundesregierung ist klar: Man will, solange es irgend geht, an Vorschriften festhalten, von denen man längst weiß, dass sie europarechtlich nicht haltbar sind. Denn würde die Bundesregierung die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs umsetzen, wäre dies das Eingeständnis, mit maßgeblichen aufenthaltsrechtlichen Verschärfungen der letzten Jahre nicht nur faktisch Europarecht missachtet zu haben, sondern auch gescheitert zu sein. So ist zum Beispiel die diskriminierende Regelung der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug, auf die vor allem die CDU/CSU-Fraktion gedrungen hat, wegen des Verschlechterungsverbots auf türkische Staatsangehörige eigentlich nicht anwendbar – also ausgerechnet auf die Gruppe nicht, auf die die Regelung abzielt. Wenn aber wichtige Regeln im Aufenthaltsrecht für die größte Gruppe von Migrantinnen und Migranten in Deutschland gar nicht gelten – für Unionsangehörige gelten sie ohnehin nicht –, dann drängt sich die Frage nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Bezug auf alle anderen Migrantinnen und Migranten auf. In letzter Konsequenz muss dies bedeute, im Bereich der Migrations- und Integrationspolitik einen grundlegenden Politikwechsel zu vollziehen, der nicht auf Gesetzesverschärfungen, Sanktionen und Zwang setzt, sondern auf gleiche Rechte, aktive Förderung und soziale Inklusion. Dies ist zumindest der Ansatz der LINKEN.
In mehr als einem Dutzend Kleiner Anfragen und zuletzt einer Großen Anfrage hat meine Fraktion die Rechtsauffassungen der Bundesregierung in diesem Bereich in Frage gestellt. Dadurch ist nachlesbar, mit welcher ideologischen Borniertheit und welchen juristisch nur notdürftig bemäntelten Ausreden die Bundesregierung sich aus der Verantwortung stehlen will. Und wenn ihr die Argumente ausgehen, erklärt sie kurzerhand, sie sehe es nicht als ihre Aufgabe an, „in einen juristischen Fachdisput einzutreten". Dazu passt, dass sich im Jahr 2011 eine Richterin des EuGH sogar öffentlich über die mangelnde Rechtstreue mancher Mitgliedstaaten der EU beim Assoziationsrecht beschwerte.
Völlig inakzeptabel ist es auch, dass sich die Bundesregierung im Rahmen der Beantwortung unserer Großen Anfrage unter Missachtung der Parlamentsrechte sogar geweigert hat, die Bundesländer zur Anwendungspraxis in Bezug die Verschlechterungsverbote des Assoziationsrechts zu befragen. Die Bundesregierung behauptet nämlich, dass für die Umsetzung und Beachtung des Assoziationsrechts „überwiegend" die Bundesländer zuständig seien. Das ist mehr als fragwürdig, weil die Bundesregierung auch und gerade angesichts der föderalen Struktur der Bundesrepublik dafür Sorge tragen muss, dass verbindliches EU-Recht in Deutschland effektiv umgesetzt wird. Doch diese Regierung erklärt, „keine Erkenntnisse" dazu zu haben, wie die Bundesländer das Assoziationsrecht und die Rechtsprechung des EuGH zu den Verschlechterungsverboten umsetzen. Es belibt dabei ihr Geheimniss, woher sie dann eigentlich wissen will, dass es in der Praxis zu keinen Rechtsverstößen beim Assoziationsrecht kommt, die ein Eingreifen des Bundes erforderten. Die Argumentation ist aber auch in einer anderen Hinsicht widersprüchlich: Der Umstand, dass das Bundesinnenministerium Anwendungshinweise zum Assoziationsrecht erlassen hat und an einer Überarbeitung dieser Hinweise arbeitet, zeigt deutlich, dass ein Vereinheitlichungsbedarf seitens des Bundes gesehen und für notwendig erachtet wird.
Dass es bundeseinheitliche Vorgaben geben muss – sei es durch Anwendungshinweise, sei es durch Gesetzesänderung, wie es die Grünen vorschlagen –, ist offenkundig. Die Rechtsprechung des EuGH erfordert nicht weniger als eine Betrachtung der Entwicklung des Rechts und auch der untergesetzlichen Weisungen der letzten Jahrzehnte, um die Standstill-Klauseln richtig anwenden zu können! Das können einfache Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter der Ausländerbehörden nie und nimmer leisten! Geradezu ein Hohn ist es da, wenn die Regierung erklärt, es sei nicht schlimm, dass die Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums zum Assoziationsrecht „nicht aktuell sind", denn die zuständigen Ausländerbehörden seien an Recht und Gesetz gebunden und würden auch die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung stets beachten. Um es deutlich zu sagen: Jedenfalls in Bezug auf die Verschlechterungsverbote des Assoziationsrechts sind die amtlichen Hinweise aus dem Jahr 2002 das Papier nicht wert, auf dem sie stehen, da der EuGH hierzu gerade in den letzten Jahren maßgebliche Entscheidungen getroffen hat. Wohl nicht einmal die Bundesregierung selbst glaubt ihre Behauptung, diese Rechtsprechung lasse „sich in der Praxis zufriedenstellend umsetzen", zumal „Fehlverständnisse … gegebenenfalls durch fachaufsichtliche Maßnahmen der zuständigen Landesbehörden in aller Regel beseitigt werden" könnten. Wissen Sie, was der Hamburger Senat auf die parlamentarische Anfrage der dortigen Linksfraktion antwortete, ob man sich klarere Vorgaben von der Bundesregierung zu den Verschlechterungsverboten wünsche? „Die zuständige Behörde geht davon aus, dass die Bundesregierung alle erforderlichen Informationen und Vorgaben übermittelt…", erklärte der Senat am 15.2.2013 ganz im Widerspruch zu der Behauptung der Bundesregierung, die Länder würden das Assoziationsrecht eigenverantwortlich und umfassend umsetzen!
Zwei Anmerkungen aber noch zu dem ansonsten sehr umfassenden Gesetzentwurf der Grünen. Hier fällt auf, dass ein wichtiger Punkt fehlt: Auch der Zwang zum Integrationskursbesuch und damit einhergehende Sanktionen sind nach Ansicht von Fachkundigen mit den Verschlechterungsverboten des Assoziationsrechts nicht vereinbar. Fehlt dieser Aspekt etwa, weil die Grünen nur ungern daran erinnern wollen, dass sie an dieser Verschärfung mitgewirkt haben? Oder fehlt er, weil die Grünen nach wie vor am sanktionsbewehrten Zwang zur Integration festhalten wollen? Fakt ist, dass dieser sanktionsbewehrte Zwang überflüssig wie ein Kropf ist. Denn das Interesse und die Motivation der Migrantinnen und Migranten ist da, es braucht vor allem verbesserter Möglichkeiten für die Teilnahme. Nicht nachvollziehen kann ich zudem, dass auch eine weitere bedeutende Verschärfung im Aufenthaltsrecht aus jüngster Zeit im Gesetzentwurf der Grünen unangetastet bleibt: Die Regelung, wonach eine mehr als einjährige Aufenthaltserlaubnis nur nach einem erfolgreichen Integrationskursbesuch und Sprachtest erteilt werden darf, verstößt meines Erachtens ganz eindeutig gegen die Standstill-Klausel des Assoziationsrechts.
Dessen ungeachtet unterstützen wir die Zielrichtung und das Grundanliegen des vorliegenden Gesetzentwurfs. Ich freue mich vor allem darüber, dass wir nun endlich eine Sachverständigen-Anhörung zum Thema beschließen können, die von der LINKEN seit langem angestrebt wird. Denn selten gab es ein Thema, das sich angesichts der Komplexität der Sach- und Rechtslage, die wohl nur von wenigen Fachkundigen wirklich durchdrungen wird, mehr geeignet hätte für eine Sachverständigenanhörung.