Abschiebestopp und Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan

Herr Präsident,

Meine Damen und Herren,

Seit 2001 bombt die USA mit ihren NATO-Verbündeten, Deutschland ist inbegriffen, in Afghanistan. Nachdem die NATO-Mitgliedstaaten Artikel 5 des Bündnisvertrags aktiviert hatten und die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon als einen bewaffneten Angriff auf das Bündnisgebiet erklärten, befinden sich Deutschland und die übrigen NATO-Staaten bis heuet im Krieg. Inzwischen sind über 55000 ISAF-Truppen am Hindukusch. Deutschland ist mit 3400 stationierten Soldaten der drittgrößte Truppensteller nach den USA und Großbritannien.

Die proklamierten Ziele der Militäreinsätze sind Terrorismusbekämpfung sowie Demokratisierung und Wiederaufbau. Sogar die Wahrung der Menschenrechte, insbesondere der Frauenrechte, sollen der Legitimation für diesen Krieg dienen.

Diese Ziele sind nicht erreicht. Wie auch – waren sie doch nur ein Vorwand.

Vielmehr das Gegenteil ist eingetreten: Bislang hat die Bundesregierung mehr als 3 Milliarden Euro im Rahmen von ISAF und etwa 1 Milliarde Euro im Rahmen von OEF ausgegeben. Demgegenüber wurden nur 1,2 Milliarden für den zivilen Wiederaufbau eingesetzt. Da den Bauern keine vernünftige Alternative zum Mohnanbau geboten wurde, nimmt die Opiumproduktion ständig zu. Warlords und die Taliban finanzieren dadurch die Waffen für ihren Krieg und ein Großteil des Landes wird inzwischen von den Taliban kontrolliert.

Systematische Akte der Einschüchterung, einschließlich willkürlicher Tötungen, Entführungen und anderer Bedrohungen des Lebens, der Sicherheit und der Freiheit, durch regierungsfeindliche Elemente und lokale Warlords, militärische Kommandeure und kriminelle Gruppen sind genauso an der Tagesordnung wie Selbstmordattentate und Anschläge. Laut einem im September 2008 veröffentlichten Bericht des Human Rights Teams waren zwischen Januar und August 2007 1.040 Zivilisten Opfer bewaffneter Konflikte. Im selben Zeitraum des Jahres 2008 stieg die Zahl der Todesopfer auf 1.445.

Die Versorgung der Menschen ist in viele Zonen Afghanistans wegen der Auseinandersetzungen kaum möglich. Die zunehmende Unsicherheit für humanitäre Helferinnen und Helfer erschwert diese zusätzlich. So erhöht die unsichere Nahrungsmittelversorgung noch die Zahl der Binnenvertriebenen.

Das Land ist Warlords und Drogenbaronen in die Hände gespielt worden, die bis auf die Knochen frauenfeindlich sind. „Die Frauen leiden mehr denn je. Die Selbstmordrate unter Frauen war noch nie so hoch." Das berichtete die afghanische Frauenrechtlerin Malalai Joya Ende 2007 in einem Interview. Selbst die Bundesregierung kommt in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen – Drucksache 16/10804 – nicht umhin zugeben zu müssen, dass Frauen zu den besonders gefährdeten Einzelpersonen und Gruppen gehören.

Hervorgehoben werden aber auch rückkehrende Flüchtlinge. Dort leben sie in Gefahr, zwangsrekrutiert, ermordet oder entführt zu werden, oder aber der Armut zu verfallen. Weder die afghanische Regierung noch internationale Hilfsorganisationen können abgeschobene Flüchtlinge vor konkreten Gefahren für Leib und Leben wirksam schützen. Sie sind erneut zur Flucht gezwungen.

Zudem verschärfen sie die vor Ort bestehende unhaltbare humanitäre Situation. Das Nachbarland Iran hat seit April 2007 mit der zwangsweisen Abschiebung von afghanischen Flüchtlingen begonnen. Von April bis Juni 2007 sollen fast 100.000 unregistrierte und registrierte Flüchtlinge ausgewiesen worden seien. Viele von ihnen leben in Afghanistan in der Wüste mit völlig unzureichendem Zugang zu Wasser, Grundnahrungsmitteln und Wohnraum. Von der Ausweisung aus dem Iran sind insgesamt rund 920.000 Menschen bedroht. Nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) löste die zwangsweise Rückkehr der Flüchtlinge aus dem Iran in Afghanistan erhebliche Spannungen aus.

Meine Damen und Herren im Bundestag,

diese Erkenntnis über die katastrophale Situation in Afghanistan führt aber nicht etwa dazu, afghanische Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz vor der Gewalt suchen, oder sogar hier aufgewachsen sind, nicht abzuschieben.

Bereits im Juni 2005 hatten die Innenminister der Länder grundsätzlich die "Rückführung" aller afghanischen Flüchtlinge beschlossen. Zunächst wurden Straftäter und alleinstehende Männer abgeschoben. Später dann auch afghanische Familien mit Kindern.

2007 musste dann Hamburgs Innensenator auf öffentlichen Druck hin, auf die geplante und bereits eingeleitete Abschiebung von Familien mit Kindern verzichten – weniger ein Akt der Humanität als ein Eingeständnis des Versagens der Kriegsstrategie in Afghanistan. Denn dies unterstreicht, dass eine angeblich stabile Sicherheitslage zur Begründung von Abschiebungen nicht mehr herangezogen werden konnte.

Werte Kolleginnen und Kollegen,

Mit dem Einzug der Linksfraktion in den Deutschen Bundestag vertrat meine Fraktion die Auffassung, dass Abschiebungen nach Afghanistan vor dem Hintergrund der Sicherheitslage und des Massenelendes von Hunderttausenden unverantwortlich sind und legte einen entsprechenden Antrag vor. Darin forderten wir einen umgehenden Abschiebestopp für alle afghanischen Staatsangehörigen.

Angesichts der geschilderten konkreten Gefahren für Leib und Leben der Flüchtlinge aus Afghanistan, der sie bei einer Abschiebung ausgeliefert wären, lässt sich aktuell weniger denn je die Forderung nach einem humanitär begründeten Abschiebestopp auf einzelne Gruppen beschränken. Eine Beschränkung des humanitären Schutzes auf Familien mit Kindern ist angesichts der durch willkürliche Gewalt und extreme Not geprägten Lage, die alleinstehende Männer und kinderlose Ehepaare ebenfalls trifft, nicht zu begründen.

Doch unser Antrag ging darüber hinaus und hat auch in einem weiteren Punkt eher an Bedeutung gewonnen:

den afghanischen Flüchtlingen, die sich nun schon seit Jahren hier aufhalten, endlich Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen. Es ist nämlich völlig ungewiss, ob und wann sie nach Afghanistan zurückkehren könnten. Das Aufenthaltsgesetz selbst sieht vor, dass ein Abschiebungsstopp gemäß § 60 a (1) AufenthG längsten für Zeiträume von bis zu 6 Monaten erlassen werden darf. Für darüber hinausgehende Zeiträume sollen Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG erteilt werden.

Darüber hinaus müssen die Mitgliedstaaten der EU nach der so genannten Qualifikationsrichtlinie eine Aufenthaltserlaubnis gewähren, wenn „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts" vorliegt.

Zumindest die rechtlichen Verpflichtungen gegenüber den afghanischen Flüchtlingen gilt es endlich uneingeschränkt umzusetzen statt immer weiter die Truppen in Afghanistan aufzustocken und das Leben der Menschen in Afghanistan zur Hölle zu machen.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.