Rüstungsexporte und imperialistische Außenpolitik: Zwei Seiten einer Medaille
Mit Krauss-Maffei Wegmann, der größten Niederlassung von Rheinmetall Landsysteme und der Eurocopter Training Academy ist Kassel ohne Zweifel einer der wichtigsten Rüstungsstandorte in Deutschland. Das ist der Bevölkerung auch durchaus bewusst und die Bombardierung der Kassler Rüstungsindustrie, insbesondere die Nacht des 22. Oktober 1943 ist dem Gedächtnis dieser Stadt, wie auch ihrer Geographie bis heute eingeschrieben. Man hat insgesamt nicht das Gefühl, dass diese Stadt stolz auf ihre Rüstungsproduktion ist, und das ist auch richtig so. Die Werke von Krauss-Maffei Wegmann befinden sich zwar im Herzen der Stadt, täuschen jedoch keine falsche Offenheit vor, sondern verschanzen sich hinter einer blickdichten, Kamera-bewehrten Mauer. Die Züge mit den hier gefertigten Panzern verlassen die Stadt mit ihrer tödlichen Fracht nachts. Die zur Koordination der Fertigung des Schützenpanzers Puma gegründete PSM Projekt System & Management GmbH hat ihren Sitz zwar in einem Einkaufszentrum gegenüber des Kassler Fernbahnhofs, aber dort weist nichts auf das tödliche Geschäft dieser Firma hin.
Kaum jemand ist stolz auf diese Industrie und trotzdem gibt es sie und prägt sie diese Stadt. Das ist erklärungsbedürftig, deshalb müssen wir uns fragen: Warum gibt es diese Industrie überhaupt?
Fast alle großen Rüstungsfirmen haben insofern ein ähnliche Geschichte, als sie zunächst zivile Produkte hergestellt haben und erst im Kontext der Kriege von 1870, 1914 und 1939 auf die militärische Produktion umgestiegen bzw. diese massiv ausgeweitet haben. Nur ein Teil dieser im Krieg zusätzlich geschaffenen Kapazitäten wurde noch im Krieg zerstört, weitere Teile wurden nach der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland demontiert oder auf die zivile Produktion umgestellt. Es war die heftig umstrittene Wiederbewaffnung Deutschlands – eine, wie sich immer deutlicher nun auch in der Euro-Krise und dem Ruf nach einem Deutschland als europäischer Hegemon zeigt, historische Katastrophe – welche die Voraussetzung für die Wiederaufnahme auch der militärischen Produktion schuf. Heute ist Deutschland wieder der drittgrößte Waffenexporteur der Welt.
Das klingt natürlich selbstverständlich, dass die nationale Rüstungsindustrie eng mit der nationalen Außenpolitik verwoben ist, trotzdem erwähne ich es hier, weil es in der Kritik an der Rüstungsindustrie und v.a. auch in der Kritik an Waffenexporten oft eine erstaunlich marginale Rolle spielt. Diese Kritik fokussiert dann entweder auf einzelne Profiteure der Waffengeschäfte oder angeblich ineffizente Regelungen und Gesetze zur Exportkontrolle, anstatt die dahinterstehenden Interessen, die dahinterstehende deutsche Außenpolitik zu adressieren, für die letztlich selbst die Waffenhändler, die mit ihrem schmutzigen Geschäft Unsummen verdienen, nur Handlanger sind. So übersieht diese Kritik meist, dass es neben dem WaffenHANDEL noch andere Formen der Proliferation gibt, die uns helfen, den Waffenhandel besser zu verstehen. Ich spreche hier von der Ausbildungs- und Ausstattungshilfe, bei der Waffen und militärische Ausrüstungsgegenstände ohne finanzielle Gegenleistung von der Bundeswehr an Drittstaaten geliefert werden und deren Soldaten dann auch gleich im Umgang mit diesen Waffen, in Logistik, Taktik und Aufklärung ausgebildet werden. Bereits im Juni 1963 wurde vom Bundeskabinett (Zitat) „die Entsendung von militärischen Instrukteuren in die neu entstandenen Staaten Afrikas" und die „als Ausrüstungshilfe bezeichnete Militärhilfe, … insbesondere zur Abwehr des Einflusses der Sowjetunion und anderer Ostblock-Staaten für Länder in Afrika sowie im Nahen und Mittleren Osten" beschlossen. Profitiert von dieser „militärischen Entwicklungshilfe" haben damals u.a. Nigeria, Somalia, Guinea und Libyen. Waffen sind langlebig und es ist davon auszugehen, dass diese im Zuge der Blockkonfrontation geschenkten Waffen eine Rolle in den anschließenden Bürgerkriegen in diesen Ländern eine Rolle gespielt haben. Doch daraus wurde nichts gelernt: Mittlerweile wird die Ausstattungshilfe im Rahmen von Vierjahresplänen strukturiert. Zwischen 2009 und 2012 erhielten u.a. Afghanistan, Ghana, Namibia, Tansania, Mali und Jemen kostenlos Ausstattung und Unterstützung durch die Bundeswehr. Mali und Jemen sind noch während dieses Zeitraums in bürgerkriegsähnliche Zustände abgerutscht, in Afghanistan herrscht ohnehin Krieg. Vor dem Hintergrund eskalierender Gefechte Mitte 2011 musste die Beratergruppe der Bundeswehr vorzeitig aus dem Jemen abgezogen werden. Anfang 2012 wurde der nächste Vierjahresplan zur Ausstattungshilfe verabschiedet. Neben Ghana, Tansania, Namibia und Mali wurden Nigeria, Senegal, Angola, Kenia und Äthiopien neu aufgenommen. Im Senegal tobten während der Ausarbeitung des Vierjahresplanes Straßenschlachten um eine verfassungswidrige dritte Amtszeit des damals amtierenden Präsidenten Abdoulaye Wade, in Nigeria eskalierte ein religiös aufgeladener Konflikt zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Kenia und Äthiopien waren gerade dabei, im Zuge der Hungerkatastrophe in Ostafrika völkerrechtswidrig, aber mit duldender Unterstützung von USA und EU große Teile Somalias zu besetzen. Von diesen Konflikten war hier teilweise sehr wenig die Rede aus dem einfachen Grund, dass für diese Konflikte die Verbündeten des Westens die Hauptverantwortung trugen.
Die Ausbildungs- und Ausstattungshilfe im Rahmen der Vierjahresprogramme zeigt jedoch ihrerseits nur einen kleinen Ausschnitt der staatlich subventionierten Rüstungsexporte. So wurde etwa durch einen Entführungsfall öffentlich, dass Bundeswehrsoldaten in Chile waren, um das dortige Militär im Umgang mit zuvor gelieferten Leopard-II-Panzern auszubilden. Griechenland und der Türkei wurden mehrfach Hermes-Bürgschaften für den Kauf deutscher Panzer und Patrouillenboote bewilligt. Deutsche Bundespolizisten bilden Sittenwächter und die saudische Polizei in der Aufstandsbekämpfung aus – abgewickelt wird das über die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, früher GTZ – um den Export von Grenzschutztechnologie des Rüstungsgiganten EADS nach Saudi-Arabien zu flankieren. Die Lieferung von sechs hochmodernen U-Booten der Dolphin-Klasse, die mit atomwaffen bestückt werden können, die Israel eigentlich gar nicht besitzen dürfte, wurde von der Bundesregierung mit über 1.5 Mrd. Euro aus Steuermitteln subventioniert. Für die Golfstaaten, die es nicht nötig haben, sich Waffen schenken zu lassen, ist zusammenfassend festzuhalten, dass die Bundesregierung hier v.a. über die Bundeseigene „Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH", die Teilnahme von Wirtschaftsdelegationen an Politikerreisen und hochrangige amtliche Vertreter auf Rüstungsmessen die Anbahnung von Geschäftskontakten forciert und hierfür öffentlich wirbt. So hatten kurz vor der Niederschlagung der Proteste in Bahrain durch den Golf-Kooperationsrat im Februar 2011 noch der der deutsche Botschafter, der Verteidigungsattaché der Deutschen Botschaft Abu Dhabi und ein Mitarbeiter des dortigen Militärattachéstabes sowie zwei Delegationen des Bundesministeriums der Verteidigung den deutschen Pavillion auf die Rüstungsmesse IDEX 2011 besucht. Auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hin bestätigte die Bundesregierung, dass sie „die Länder der Arabischen Halbinsel für ein hervorragendes Absatzgebiet für Sicherheitstechnik und -dienstleistungen " aus Deutschland hält. Vor dem Hintergrund dieser umfassenden Schützenhilfe der bisher amtierenden Bundesregierungen sind deutsche Rüstungsexporte nicht nur auf das Profitinteresse weniger oder ungenaue Exportrichtlinien zurückzuführen, sondern nur als außenpolitische Strategie aufzufassen. Worin diese Strategie besteht, möchte ich abschließend kurz in vier Punkten umreißen. Das übergeordnete und hochgefährliche Ziel dieser Außenpolitik besteht darin, Deutschland den Status als Weltmacht, auch als militärische Macht von weltrang zu erstreiten. Dafür braucht man eine entsprechende „rüstungsindustrielle Basis" so der Fachbegriff für die industriellen Kapazitäten, um eine Armee auch jenseits von Bündnisstrukturen einsatzfähig zu halten und v.a. auch den „nötigen" Aufwuchs im Bedarfsfall sicherzustellen. Damit die Kosten hierfür nicht zu hoch werden, bieten sich Rüstungsexporte quasi als Quersubventionierung an. Sie werden deshalb grundsätzlich aus Regierungssicht positiv gesehen, es soll lediglich verhindert werden, dass sie an potentielle Feinde geliefert werden – diesem Zweck dienen die jetzigen Exportrichtlinien. Der zweite Grund, der aus dieser Sicht für eine großflächige Proliferation von Waffen gerade in den Globalen Süden spricht, besteht darin, dass Bundesregierung, EU und NATO gar nicht überall dort selbst militärisch eingreifen können, wo die von ihnen vorangetriebene ungerechte Weltordnung Konflikte eskaliert. Deshalb rüsten und bilden sie massenweise Armeen auch loser Verbündeter insbesondere in Afrika aus, damit diese die Aufstandsbekämpfung im eigenen Land und den Nachbarstaaten – häufig finanziert von der EU, die hierfür riesige Budgets eingerichtet hat – selbst übernehmen können. Die umstrittene Lieferung von Verkauf von Patrouillenbooten nach Angola begründete Angela Merkel etwa mit dem Ziel, die afrikanischen Armeen besser auszurüsten, damit (Zitat) „sie künftig mehr UN-geführte Sicherheitsmissionen auf ihrem Kontinent übernehmen könnten… wir sind froh, wenn wir solche Einsätze nicht mit Europäern alleine machen müssen." Auch die Militärhilfe für Kenia und Äthiopien begründet sich so, da diese Staaten für Deutschland und die EU in Somalia die dreckige, die blutige Arbeit machen.
Hier kommt jedoch auch schon der Dritte Aspekt zum tragen, den ich als Geopolitik bezeichnen möchte: Denn es werden ja nicht die Armeen aller Länder aufgebaut und auch nicht alle im gleichen Maße. Waffenexporte werden auch als Gegenleistungen, Belohnung für die Durchsetzung einer gewissen Politik eingesetzt. Dabei kann es sich um die Durchsetzung neoliberaler Reformen handeln, zuverlässige diplomatische Unterstützung in internationalen Gremien wie dem UN-Sicherheitsrat oder auch eine kofrontative Haltung gegenüber geopolitischen Rivalen. Zugleich geht es dabei darum, gezielt in bestimmten Regionen Verbündete aufzubauen. So werden etwa die Panzerlieferungen an Saudi Arabien, die Waffenlieferungen an die Türkei und die U-Boot-Lieferungen nach Israel begründet. Dass es sich hierbei um konkurrierende Regionalmächte handelt, zeigt, wie gefährlich diese Strategie ist. Zuletzt werden Waffen auch immer häufiger oder zumindest immer offener in Bürgerkriegssituationen geliefert, um einfach nur einen Ansprechpartner zu haben und dessen Chancen zu erhöhen, sich in diesen Bürgerkriegen durchzusetzen in der Hoffnung, dass man diesem Partner anschließend Programm zum neoliberalen Wiederaufbau entlang westlicher Vorstellungen von Wohlstand, Gerechtigkeit und Demokratie diktieren kann. Das sehen wir sehr aktuell in Syrien und im Grunde läuft auch die internationale Strategie in Afghanistan darauf hinaus.
Zusammenfassend muss man diese Politik als imperialistische Außenpolitik erkennen. Es gilt, dass Rüstungsexporte und eine derart menschenfeindliche Aussenpolitik zusammengehören. Wer will, dass Deutschland nicht weiter am Tod verdient, der muss sich für eine friedliche Außenpolitik einsetzen. Eine Außenpolitik, die die Bundeswehr aus allen Einsätzen zurückholt. Eine Außenpolitik, die sich nicht an den neuen Kriegen beteiligt.