Scharfe Worte gegen Minister Jung

Fünfzig Besucher füllen den „Schachraum" des Troisdorfer Bürgerhauses. Wären Lafontaine oder Gysi gekommen, hätten die Organisatoren den großen Saal gemietet. Doch sie sind schon glücklich, dass sich mit Sevim Dagdelen eine Bundestagsabgeordnete bereit erklärt hat, Bundestags-Wahlkampf in der „linken Diaspora" Rhein-Sieg zu machen.

„Was will die Linke?" – das soll die 34-jährige Dagdelen kurz und bündig erklären. Sie hat türkische und kurdische Wurzeln. Im Bundestag ist die Frau aus Bochum migrationspolitische Sprecherin der Linken. Nach dem Jura-Studium arbeitete sie als Journalistin, unter anderem für die türkischsprachige Tageszeitung Evrensel. „Ich komme aus der Stadtteilarbeit und Migranten-Selbstorganisation", stellt sich Dagdelen vor.

Dann versucht sie sich an einem thematischen Rundumschlag: 10 Euro Mindestlohn, Bürgerversicherung, ein Ende der „Zwei-Klassen-Medizin", ein Verbot von Leiharbeit, die Abschaffung der Rente mit 67, die Erhöhung der Grundsicherungssätze auf 500 Euro, die Millionärssteuer, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

Weil es um alles geht, hat Dagdelen kaum Zeit, ein Thema zu vertiefen. Trotz vereinzelter scharfer Worte – Verteidigungsminister Jung nennt sie „Kriegsminister" und Leiharbeit „moderne Sklaverei" -, bleibt ihr Vortrag nüchtern, fast wissenschaftlich: Sie argumentiert mit Bruttoinlandsprodukt und Produktivitätswachstum, sie zitiert Statistiken. Lebhaft wird Dagdelen erst, als sie von ihrer Begegnung mit Leiharbeitern im Opel-Werk berichtet: „Sie dürfen nicht in der Betriebskantine essen und müssen grellgelbe Westen tragen, damit jeder sieht, dass sie nicht zur Belegschaft gehören. Das ist wie ein Stigma." Die Stamm-Arbeiter würden auf die Leiharbeiter herabschauen: „Die Betriebsleitung nutzt sie als Drohpotenzial, um Lohndumping durchzusetzen." Doch dafür könne man die Niedriglohn-Arbeiter nicht verantwortlich machen, das sei Ausdruck des Systems. „CDU, SPD, FDP und Grüne haben mit ihren Gesetzen Zeitarbeit möglich gemacht." Feuer entwickelt Dagdelen auch bei ihrer Kritik am staatlichen „Schutzschirm" für die Banken: „Die Bundesregierung verschleudert 18 Milliarden Euro an die Commerzbank, verzichtet aber dankend auf jegliches Mitentscheidungsrecht."

Dennoch: Dagdelens Publikum – viele Parteimitglieder, viele Migranten, einige Studenten – vermisst das rhetorische Geschick eines Gysi oder Lafontaine. „Die schreien manchmal richtig rum – und so muss es auch sein!", findet eine Frau. „Ich bin ja schon bei der Linken – mich musst du nicht mehr überzeugen."