Scheitern dokumentiert

Zahlen der Zuwanderung nach Deutschland. Gastkommentar

Sevim Dagdelen

Mehr als 2,1 Millionen Menschen sind 2015 nach Deutschland gekommen, Flüchtlinge wie Arbeitsmigranten. Das waren 46 Prozent mehr als im Jahr zuvor und so viele wie noch nie seit Bestehen der BRD. Knapp eine Million Menschen haben das Land im gleichen Zeitraum verlassen – ebenfalls ein neuer Rekord. Unterm Strich ist damit die Bevölkerung hierzulande um 1,1 Millionen gewachsen.

Die nüchterne Erhebung des Statistischen Bundesamts dokumentiert zunächst einmal die Verheerungen, die der realexistierende Kapitalismus und die westliche Interventionspolitik der vergangenen Jahre angerichtet haben. Zu den drei wichtigsten außereuropäischen Herkunftsländern gehören Syrien, Irak und Afghanistan. Allein 460.000 Menschen sind aus jenen Ländern gekommen, in denen NATO-Staaten in den vergangenen Jahren durch direkte Interventionen oder Unterstützung von islamistischen Regime-Change-Kräften Unheil angerichtet haben. Ebensogroß ist aber auch die Gruppe der Menschen, die aus Polen, Rumänien und Bulgarien nach Deutschland gekommen sind. Diese Länder sind zwar Mitglied der EU, sie bieten aber offensichtlich dennoch keine Lebensperspektive, ebensowenig wie Kroatien oder der Beitrittskandidat Albanien. Hinzu kommen Spanien und Portugal, die durch EU-Kürzungspakete kaputtgespart wurden.

Die Rekordzuwanderung im vergangenen Jahr ist eine Riesenherausforderung. Klar ist, Deutschland braucht eine soziale Offensive für alle, um die Aufgaben bewältigen zu können, und EU-Europa braucht ein Ende der von Brüssel und Berlin oktroyierten Rotstiftpolitik. Eine Rücknahme der falschen »Sparpolitik« ist überfällig, sollen nicht weiter Hunderttausende Menschen in den peripheren EU-Ländern gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen.

Für Deutschland selbst unterstreichen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes einmal mehr: Die von der Bundesregierung in der vergangenen Woche Ländern und Kommunen zugesagten zwei Milliarden Euro für die Integration von Flüchtlingen sind angesichts der realen Kosten von jährlich 20 Milliarden unzureichend. Statt kleiner Pauschalen braucht es für eine erfolgreiche Integrationspolitik ein großangelegtes Investitionsprogramm – im Bildungsbereich, im sozialen Wohnungsbau und im Gesundheitswesen. Das notwendige Geld dafür ist da, es muss allerdings gerecht verteilt werden. Für die überfällige Erneuerung des Sozialstaats müssen Reiche und Vermögende stärker belastet werden. Die Einführung einer Millionärssteuer ist umgehend realisierbar, wenn SPD und Grüne nur wollen. Statt immer wieder zu versuchen, Die Linke auf NATO-Kriegs- und EU-Sparkurs zu trimmen, müssten sich deren Spitzenpolitiker lediglich zu einer progressiven Sozial- und einer friedlichen Außenpolitik durchringen.

Sevim Dagdelen ist Beauftragte für Migration und Integration der Fraktion Die Linke im Bundestag

Quelle: junge welt

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