Schnell fordern – langsam fördern

Von Katja Tichomirowa

BERLIN. Glaubt man der Kanzlerin, dann wird Integration künftig messbar und konkreter. Garantieren soll das ein nationaler Aktionsplan, der den bereits existierenden Integrationsplan ergänzen soll. Er soll innerhalb eines Jahres erarbeitet werden und "klare Zielvorgaben" auch für neue Themen wie etwa Pflege und Gesundheit oder die Aufnahme von mehr Migranten in den öffentlichen Dienst enthalten.

Die Bundesregierung will künftig mehr Verbindlichkeit bei den Integrationsleistungen und -Verpflichtungen einfordern. Allerdings musste Angela Merkel (CDU) am Mittwoch einräumen, dass man erst in fünf bis sieben Jahren in der Lage sein werde, allen Migranten, die einen Integrationskurs absolvieren wollen oder müssen, einen solchen auch anbieten zu können.

Noch bevor man genau weiß, wie viele Zuwanderer sich in Deutschland nicht integrieren wollen, tobt bereits ein Streit darüber. So löste Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) eine heftige Kontroverse aus, als er die Integration von Zuwanderern in Berlin für "faktisch gescheitert" erklärt hatte. Nirgendwo in der Bundesrepublik finde sich eine so große Konzentration von Migranten mit "mäßigem Integrationswillen" wie in der Hauptstadt. Ihren Anteil schätzte de Maiziere auf zehn bis 15 Prozent.

Auf der Agenda des vierten Integrationsgipfels mit rund 120 Vertretern von Politik und gesellschaftlichen Gruppen stand am Mittwoch die bessere Anerkennung im Ausland erworbener Berufsabschlüsse ebenso wie der Ausbau der Integrations- und Sprachförderung.

Strittig blieb dabei, wie man mit Migranten verfahren will, die sich den Angeboten verweigern. So kündigte Kanzlerin Merkel zwar an, eine "Integrationsverweigerung" solle zukünftig auch sanktioniert werden. Für Neuzuwanderer seien die Eingliederungskurse Pflicht. Wer sie nicht besuche, müsse die Konsequenzen tragen. Wie die aussehen sollen, sagte sie allerdings nicht.

Ihre eigene Integrationsbeauftragte sprach sich zudem gegen neue Sanktionen aus. Das bestehende Instrumentarium reiche aus, sagte die zuständige Staatssekretärin Maria Böhmer (CDU).

Eine Umfrage des Innenministeriums in den Ländern, wie häufig diese von Sanktionen gegen Integrationsverweigerer Gebrauch machen, ist noch nicht ausgewertet, erklärte ein Sprecher des Ministeriums der Frankfurter Rundschau am Mittwoch. Mutmaßungen, die tatsächliche Zahl der Unfolgsamen werde aus politischem Kalkül zurückgehalten, wies das Ministerium zurück. Die Umfrage werde derzeit ausgewertet und auf der Innenminister-Konferenz Mitte November beraten, hieß es.

Die Bundeskanzlerin wertete das Treffen als Erfolg, erklärte aber, dass der Weg zur besseren Eingliederung noch nicht zu Ende sei. Der Vorsitzende des Bundesausländerbeirates, Memet Kilic (Grüne), befand dagegen, die Veranstaltung sei weniger ein Integrations- als vielmehr ein Irritationsgipfel gewesen. Die Union könne sich nicht einmal im Grundsatz einigen. So sprächen Bundespräsident Christian Wulff und die Integrationsbeauftragte von einem Einwanderungsland. Die Kanzlerin sei anderer Auffassung. Und auch die CSU betone, dass Deutschland "kein klassisches Einwanderungsland" sei.

Der Geschäftsführer des Kulturellen Forums, Kenan Kücük, beklagte im Namen der Migranten, dass der "einseitige Blick" auf Defizite zu Fremdenfeindlichkeit und Rassismus führe.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) verlangte von der Bundesregierung mehr Investitionen in Bildung und den Verzicht auf die geplanten Kürzungen bei der Städtebauförderung. "Seitens der Bundeskanzlerin habe ich kein Signal gehört, dass die für die Integration so wichtigen Mittel erhalten bleiben sollen", so Wowereit. "Symbole sind kein Ersatz für eine vernünftige Integrationspolitik", erklärte auch die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen.

"Fördern und fordern" lautete das Motto des Integrationsgipfels. Dieser "zentrale Grundsatz der Integrationspolitik" habe sich bewährt, betonte Böhmer hinterher. Über konkrete Forderungen und Förderungen erging sich indes auch dieses Treffen allenfalls in Andeutungen. mit afp

CHANCEN IM JOB

Berufstätige mit Migrationshintergrund sind in Akademikerberufen unter-, in Anlerntätigkeiten dagegen stark überrepräsentiert (siehe Grafik). Für Migranten gelte häufig: "last hired, fi rst fired", betont Holger Seibert vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Laut Seibert dürften die Migrantenanteile an den Beschäftigten daher im Krisenjahr 2009 zumindest stagnieren, wenn nicht sogar rückläufig sein.

Diskriminiert werden Menschen mit Migrationshintergrund oft schon während des Bewerbungsverfahrens: Nach einer Studie des Instituts zur Zukunft der Arbeit verringert ein türkisch klingender Name die Chance auf eine Einladung zum Vorstellungsgespräch für einen Praktikumsplatz um h Prozent. Fünf Unternehmen, Procter & Gamble, die Deutsche Post, Telekom, L’Oreal und Mydays, sowie das Bundesfamilienministerium testen ein Jahr lang anonymisierte Bewerbungen. Diese enthalten kein Foto. Auch Name, Alter, Geschlecht, Nationalität, Geburtsort, Familienstand und eine etwaige Behinderung sind nicht angegeben.

"Anonyme Bewerbungen helfen wenig, um bestehende Vorurteile zu überwinden", sagt dagegen Daniel Weber vom DGB Bildungswerk. Selbst wenn ein Migrant den Job bekomme, "wird er hinterher gemobbt oder wieder gekündigt" – solange Vorurteile bestehen. isk

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