Schurkenstaat

Im Namen von Demokratie und Menschenrechten werden Kriege geführt, Putschisten, Sezessionisten und mörderische Rebellengruppen unterstützt, weltweit Menschen durch Drohnenangriffe exekutiert. Um diese Verbrechen zu legitimieren, wurde in den vergangenen Jahrzehnten versucht, ein Bild in den Köpfen der Bevölkerung des globalen Nordens zu installieren, wonach ein Klub der geordneten, freiheitlichen Demokratien gegen ein chaotisches, fanatisches und mörderisches Außen verteidigt werden muß – notfalls auch mit Angriffskriegen und »gezielten Tötungen«.

Zeitgleich mit dem Niedergang der wirtschaftlichen Vorherrschaft kommt aber auch die Vorstellung einer alles rechtfertigenden moralischen Überlegenheit des Westens ins Wanken. Dafür stehen die Enthüllungen von Julian Assange, Bradley Manning und jetzt Edward Snowden exemplarisch. Sie zeigen, wie gerade die Sicherheitsbehörden der NATO-Staaten jede Bindung an internationales Recht und an Menschenrechte verloren haben. Eine US-amerikanische Hubschrauberbesatzung erschießt in wahrhaft barbarischer Manier im Irak völlig unschuldige Menschen, islamistische Terroristen werden in Syrien durch den Westen bewaffnet, und der nationale Geheimdienst der USA erklärt alles und jeden zur potentiellen Bedrohung.

Die Reaktionen der US-Administration und von US-Präsident Barack Obama zeigen, wie tief die legitimatorische Krise westlicher Vorherrschaft bereits ist. Sie befindet sich in einer immer schneller drehenden Abwärtsspirale. Die Folter Mannings, die Kampagne gegen Assange und die Hetzjagd auf Snowden werfen ein Schlaglicht auf die USA, die offen Züge einer Diktatur tragen. Es spricht für den Mut des Präsidenten Ecuardors, Raffael Correa, die Menschenrechte gegen alle US-Drohungen zu verteidigen, indem er das Asylgesuch Snowdens prüfen läßt. Ganz anders die Bundesregierung: Als »drittklassiger Partner«, als Satellitenstaat des niedergehenden Hegemons, muß sie sich entscheiden, ob sie weiter am Feldzug gegen Demokratie und Menschenrechte teilnehmen will. Bisher wirkt die Empörung von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen mehr als gespielt. Zu stark hatte man in der jeweiligen Regierungszeit auf den Schulterschluß mit den USA gesetzt.

Meinte man es ernst, müßte Snowden sofort politisches Asyl angeboten werden. Die überfällige Kündigung der geheimdienstlichen und militärischen Zusammenarbeit mit dem Schurkenstaat USA wäre ein notwendiger zweiter Schritt. Das Grundgesetz läßt sich nur verteidigen, wenn die US-Stützpunkte in Deutschland, die Teil des globalen kriminellen Handelns der US-Administration sind, sofort geschlossen werden. Eine Bundesregierung, die nicht bereit ist, diesen Schritt zu gehen, ist auch nicht bereit, die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland zu schützen.

Sevim Dagdelen ist Sprecherin für Internationale Beziehungen der Linksfraktion im Bundestag

Quelle: junge welt