Sevim Dagdelen antwortet auf Fragen der Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik
1. Welches Ziel sollte Deutschland in der Welt verfolgen?
Ziel aller Bundesregierungen sollte es sein, zu einer besseren und friedlicheren Welt beizutragen, "dem Frieden zu dienen" heißt es in der Präambel des Grundgesetzes. Das heißt v.a. auch die Konfliktursachen möglichst weitgehend zu beseitigen: Armut und die ungleiche Verteilung gesellschaftlicher Reichtümer, die Rüstung und eine Kultur der Erschließung von Märkten und Rohstoffquellen durch militärische Gewalt. Leider geht die Deutsche Außenpolitik, insbesondere die Berliner Außenpolitik nach 1989 in eine ganz andere Richtung: Die globalen Einkommensunterschiede werden vertieft und die Außenpolitik militarisiert.
2. Welcher Konflikt gefährdet dieses Ziel derzeit besonders?
Kein konkreter Konflikt gefährdet dieses Ziel, sondern die Außenpolitik der EU und der NATO-Staaten. Sie führen den globalen Rüstungswettlauf an, ihre Strategien sind auf weltweite Interventionen ausgerichtet und sie militarisieren damit den internationalen Raum (die Weltmeere, den Luft- und Weltraum). Gleichzeitig haben sie das Scheitern von Staatlichkeit als Bedrohung definiert und untergraben das Souveränitätsprinzip im Völkerrecht, belegen Regierungen mit Sanktionen, unterstützen Rebellen- und Sezessionsbewegungen und verfolgen in der Praxis eine Politik militärisch gestützter Regime-Changes. Es ist kein Wunder, dass das zur Destabilisierung ganzer Regionen führt und andere Machtblöcke dazu anhält, ähnlich zu verfahren. Die Folge sind u.a. internationalisierte Bürgerkriege, wie wir sie etwa in Somalia und Syrien beobachten können.
Überhaupt zeigt Syrien, wie ungeeignet das gegenwärtige außenpolitische Instrumentarium westlicher Staaten ist, um solche Konflikte tatsächlich zu bearbeiten. Selbst wenn sie in Syrien keine Eskalation wollten, so hat doch alles, was sie unternahmen, zu dieser Eskalation beigetragen, eine Militarisierung befördert und kompromisslose Haltungen gestärkt, weil eben die Möglichkeit eines Regime Change wie in Libyen im Raum stand.
3. Welche Fähigkeiten müsste Deutschland nutzen bzw. entwickeln, um hier effektiv zu sein?
Deutschland müsste die Militarisierung seiner Außenpolitik rückgängig machen und v.a. die Unterordnung der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe unter eine nationale und Bündnisinteressen verfolgende Außenpolitik aufgeben. Erst dann sind unparteiliche Hilfe und fairere Handelsbeziehungen wieder möglich. Als Vermittler kann Deutschland erst auftreten, wenn nicht zugleich seine Beteiligung an einer NATO-Intervention im Raum steht. Deshalb müsste Deutschland im Grunde genommen aus der NATO austreten und eher die bilaterale Zusammenarbeit mit Schwellen- und Entwicklungsländern suchen.
4. Ist überparteilicher Konsens dafür wichtig?
Das wäre eine vollständige Umorientierung in der deutschen Außenpolitik, zu der v.a. die Fraktionen, die sich wirtschaftlichen Interessen verpflichtet sehen, nicht bereit sind. Ich glaube jedoch, dass in der Gesamtbevölkerung sehr viel Zustimmung für solch einen Politikwechsel möglich wären. Die Bevölkerung will nicht immer neue internationalisierte Bürgerkriege und Bundeswehreinsätze weltweit. Vor allem aber würde eine solche neue Außenpolitik zwangsläufig auch eine andere Wirtschaftspolitik im Innern mit sich bringen, nach der die Menschen sich sehnen.
Die globalen Ungleichverteilung gesellschaftlicher Reichtümer beginnt ja bereits innerhalb Deutschlands und man muss auch hier anfangen, gegenzusteuern. Statt einer Politik für die Banken und die Spekulanten brauchen wir eine Politik für die Menschen. Das würde ganz simpel bereits damit beginnen, dass wir mehr Geld in die Gesundheitsversorgung und andere öffentliche Güter und Dienstleistungen stecken müssten, als in teure Rüstungsprojekte.
5. Kann Deutschland seine Interessen in der Außenpolitik ebenso vertreten, wie andere Staaten?
Die Frage ist, was unter Interessen verstanden wird. "Nationale" Interessen, also die Interessen des nationalen Kapitals, sollte kein Staat in seiner Außenpolitik verfolgen dürfen, weil das zwangsläufig zur Konkurrenz und früher oder später zu militärischen Auseinandersetzungen, etwa in internationalisierten Bürgerkriegen, führen wird. Der Klimawandel aber etwa und die Zerstörung der ökologischen Bedingungen menschlicher Existenz insgesamt zeigen aktuell deutlicher denn je, dass es im Grunde ein gemeinsames Interesse aller Staaten gibt, zumindest geben sollte. Dieses gemeinsame Interesse sollten dann auch alle gemeinsam vertreten.