Solidarität mit türkischen Arbeiterinnen und Arbeitern
Vom 15. Dezember 2009 bis 2. März 2010 kämpften rund 12.000 Arbeiterinnen und Arbeiter des ehemals staatlichen türkischen Tabak- und Alkoholmonopols TEKEL sowie deren Familien landesweit um ihre Arbeitsplätze und Zukunft. Tausende kamen in die türkische Hauptstadt Ankara, um gegen ihre drohende Entlassung im Zuge der Privatisierung oder Überführung in den rechtlosen Leiharbeiterstatus 4/C. zu protestieren. Unter Einsatz von Schlagstöcken, Pfefferspray und Wasserwerfern versuchte die Polizei, ihren Widerstand zu brechen. Die entlassenen TEKEL-Arbeiter fordern eine Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst, wie es ihnen als Staatsbedienstete nach türkischem Arbeitsrecht zusteht. Dem ist die türkische Regierung bis heute nicht nachgekommen. Auch angemessene Abfindungen wurden nicht gezahlt. Im Gegenteil. Ein Solidaritätskonto der entlassenen Arbeiterinnen und Arbeiter sowie ihrer Familien im Wert von 30.000 Euro wurde auf Weisung des türkischen Innenministeriums eingefroren.
Die Forderungen unseres Antrages sind immer noch aktuell. Denn obwohl die Türkei das Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über das Recht auf Vereinigung und kollektive Tarifverträge unterzeichnet hat, werden gewerkschaftliche Rechte durch Gesetze, die vielfach noch auf die Militärdiktatur zurückgehen, erheblich eingeschränkt. DIE LINKE. fordert deshalb die Bundesregierung auf, darauf zu drängen, dass die türkische Regierung ein Beschäftigungsangebot den TEKEL-Arbeiterinnen und -Arbeitern in Übereinstimmung mit den bei der ILO verankerten und international anerkannten Arbeits- und Vereinigungsrechten für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorlegt. Eine weitere zentrale Forderung an die Bundesregierung ist, im Rahmen der bilateralen Beziehungen mit der Türkei und auf EU-Ebene die Demokratisierung des Gewerkschaftsrechts nach den Konventionen der ILO als Voraussetzung für einen EU-Beitritt einzufordern.
Letzte Woche, am 3. Juni 2011, fand in Ankara der Prozess gegen 111 Gewerkschafter statt. Auf der Anklagebank sitzen aktuelle und ehemalige Vorsitzende mehrerer Branchengewerkschaften, unter ihnen der Präsident der Nahrungsmittelgewerkschaft TEKGIDA IS, Mustafa Türkel. Sie waren an einer Aktion in Ankara zur Unterstützung von 12.000 Arbeiterinnen und Arbeitern am 1. April 2010 beteiligt. Ihnen drohen nun Haftstrafen von bis zu fünf Jahren.
Das alles scheint offensichtlich kein Problem für die CDU/CSU und FDP zu sein, wenn man sich ihre Ausführungen zu unserem Antrag aus der ersten Beratung anschaut. Bei der CDU/CSU vor allem deshalb, weil es ja auch in anderen Bereichen gravierende Defizite gibt. Und die würden in unserem Antrag nicht berücksichtigt. das war das Argument, um unsere Initiative zur Verbesserung der rechtlichen und in deren Folge auch zur verbesserten Durchsetzung sozialer Rechte abzulehnen. Wie instrumentell CDU/CSU mit Menschenrechten umgehen, wird am Antrag zum Schutz des Klosters Mor Gabriel von 2009 deutlich. In dem damaligen Antrag ist ganz im Sinne des Vorwurfs des Kollegen Dr. Wolfgang Götzer aus der ersten Beratung am 25. März 2010 – Plenarprotokoll 17/34 – gegen den heute zu beschließenden Antrag meiner Fraktion, ein einzelnes Problem aufgegriffen worden, ohne die Lage der Türkei insgesamt zu beleuchten. Da schien eine isolierte Behandlung eines Aspektes sehr wohl für völlig ausreichend. Nur hier ging es vermeintlich um die Religionsfreiheit. Und die liegt den Konservativen eben mehr am Herzen. Wenn es um Religionsfreiheit geht, dann sind mit einem Mal sind Sie – meine Damen und Herren von der CDU/CSU – die scheinbar größten Menschenrechtsverteidiger. Geht es um Arbeitnehmerrechte, ist von Ihnen keine Hilfe zu erwarten.
Als in der Türkei die Verhaftungswelle gegen Journalistinnen und Journalisten schwappte, gab es seitens der Bundesregierung wenigstens noch Bekundungen von Besorgnis. Nicht einmal so lau fällt der Protest hinsichtlich der Repression gegen Arbeiterinnen und Arbeitern aus, die ihre gewerkschaftlichen Rechte in Anspruch nehmen, um sich vor der Willkür der Unternehmensbosse zu schützen. Dass Sie von der FDP nicht im Geringsten daran interessiert sind, dass die türkische Regierung aufgefordert wird internationale Standards bei den sozial -und arbeitsrechtlichen Normen einzuführen bzw. einzuhalten, wundert nun vermutlich niemanden. Die Rede meines Kollegen Serkan Tören in der ersten Beratung war geradezu eine Offenbarung in dieser Hinsicht. So wie die Kolleginnen und Kollegen von FDP in Deutschland den Unternehmen als ihrer ureigenen Klientel Steuergeschenke verteilt, will sie auch deutsche Unternehmen in der Türkei nicht mit international bindenden sozialen und arbeitsrechtlichen Standards „gängeln", die deren Profit schmälern würden. Ganz nach dem Motto: „Eine Krähe hakt der anderen kein Auge aus". Da zeigt sich eben wieder, wes Geistes Kind die FDP ist. Sie ist schlicht eine Klientelpartei.
Dass das Vorgehen der türkischen Regierung gegen die TEKEL-Arbeiterinnen und –Arbeiter nicht nur der türkischen Gesetzgebung, sondern auch dem Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) widerspricht, stört offenbar weder die Regierungsfraktionen noch die Bundesregierung. Das ist skandalös und beweist einmal mehr wie heuchlerisch sie mit den Menschenrechten umgeht. Die Durchsetzung von sozialen und Arbeitsrechten sind bei ihr schlecht aufgehoben.
Heuchlerisch ist die Behauptung seitens meines FDP-Kollegen Serkan Tören, der Deutsche Bundestag könne nicht die türkische Regierung zur Einhaltung bzw. Anwendung sozial- und arbeitsrechtlicher Normen auffordern. Zum einen wird das in unserem Antrag nicht gefordert. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich diesbezüglich im Rahmen der bilateralen Beziehungen mit der Türkei endlich zu engagieren. Zum anderen schien dies aber in anderen Fällen für die FDP kein Problem zu sein. Während im Antrag zum Schutz des Klosters Mor Gabriel darauf hingewiesen wurde, dass Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages in den vergangenen Jahren immer wieder auf die Probleme des Klosters aufmerksam gemacht und diese auch in Gesprächen mit der türkischen Führung verdeutlicht haben, wird den türkischen Arbeiterinnen und Arbeiter dieses Privileg nicht zuteil. Um so mehr ist es zu begrüßen, dass Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften Verdi, IG Metall und Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) beim Prozess in Ankara letzte Woche vor Ort waren.
Das es eben hier eben nicht um ein isoliertes Problem geht, zeigt der aktuell erwähnte Prozess und, dass eine solche Verfolgung in der Türkei überhaupt möglich ist. Von Unabhängigkeit der Justiz, die meinem Kollegen in seiner Rede zur 1. Lesung so wichtig war, ist doch hier offensichtlich kaum was zu spüren. Die von 111 Angeklagten anwesenden ca. 80 sind teilweise mit unzulässigen Fragen, wie nach der Religionszugehörigkeit, konfrontiert worden. Des Weiteren wurden jedem der Angeklagten der gesetzliche Paragraph, der den Verstoß gegen das Versammlungsrecht ahndet, verlesen. Einigen von Ihnen sind mit angeblichen Beweisfotos konfrontiert worden. Die Verhandlung war nach ca. 9 Stunden zu Ende und auf Oktober vertagt. Gegen die nichtanwesenden Angeklagten ist zwecks Feststellung der Personalien und Vernehmung Haftbefehl erlassen worden.
Im Zuge der Verweigerung von sozial- und arbeitsrechtlichen Normen werden auch solche Demokratiedefizite offenbart wie ungerechtfertigte Gerichtsverfahren, Einschüchterung und Polizeigewalt, wie sie gegenüber den demonstrierenden Arbeiterinnen und Arbeitern am 1. April 2010 stattfand.
Was die derzeitige Regierung und der Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan von einer echten Demokratisierung halten, zeigen sie im aktuellen Wahlkampf wegen der Parlamentswahlen am kommenden Sonntag mehr als deutlich. Mit aller Macht und allen Mitteln will Erdogan die Zweidrittelmehrheit bei den Wahlen am 12. Juni erreichen. Damit könnte er eine neue Verfassung im Alleingang schreiben. Da verwundert es kaum, dass auch mit allen zur Verfügung stehenden Maßnahmen versucht wird, die Konkurrenz, ist sie schon nicht komplett auszuschalten, so doch zumindest weitestgehend zu behindern oder kriminalisieren. So hatte die oberste Wahlbehörde YSK im April 2011 etliche unabhängige Kandidatinnen und Kandidaten des Wahlbündnisses „Block für Arbeit, Demokratie und Freiheit" nicht zur Wahl zugelassen. Nach Protesten im In- und Ausland wurde diese Entscheidung zurück genommen. Doch die Repression geht weiter. Kritische Journalistinnen und Journalisten werden verhaftet, kriminalisiert und strafrechtlich verfolgt. Große Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Effektivität der Justiz bleiben weiterhin bestehen. Insbesondere mit den neuen Kompetenzen des Präsidenten sind die Sorgen und Ängste bezüglich einer zunehmenden Islamisierung der Türkei nicht von der Hand zu weisen. Die uneingeschränkte Wahrung der Gewerkschaftsrechte, das Streikrecht und das Recht auf Kollektivverhandlungen werden nicht gewährleistet. Um so wichtiger ist es, dass die Bundesregierung die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzt, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Einhaltung bzw. Einführung international verpflichtender sozial- und arbeitsrechtlicher Normen zu verknüpfen. Genau das fordert DIE LINKE. in dem Antrag „Für die Demokratisierung des Gewerkschaftsrechts in der Türkei". Ich hoffe, dass DIE LINKE. nicht die einzige Partei im Bundestag ist, die die Rechte von Arbeiterinnen und Arbeiter verteidigt und unterstützt.