SPD instrumentalisiert Migranten im Wahlkampf

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Grindel, ich frage mich wirklich, von wo Sie immer Ihre Argumente hervorzaubern.
(Manfred Grund (CDU/CSU): Aus dem Grundgesetz! Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ganz einfach: aus dem Kopf!)

Sie sagen, Drittstaatenangehörigen oder ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern könne man kein kommunales Wahlrecht geben. Diese Menschen sind nach Ihrer Auffassung offenbar nicht in der Lage, im Interesse bzw. zum Wohle der Kommune zu entscheiden.
(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Was sagen Sie denn zu Erdogan?)

Seit 1992 gibt es das kommunale Wahlrecht für EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, die nicht deutsche Staatsangehörige sind. Wollen Sie jetzt behaupten, dass Millionen EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, die in Deutschland das kommunale Wahlrecht haben, nicht zum Wohl der Kommune entscheiden, sondern für irgendetwas anderes? Ich finde, das sollten Sie sich sparen.
Sie möchten die Integration mit der sozialen Frage verbinden; auch das ist für meine Ohren neu. Aber bei diesem Thema geht es nicht nur um Integration. Hier geht es um Gleichstellung, hier geht es auch um Partizipation, und hier geht es um das Kernstück der Demokratie: Wir wollen mehr als 4 Millionen Menschen das Recht einräumen, sich an Wahlen zu beteiligen. Dieses Recht möchten wir diesen Menschen nicht vorenthalten. Deshalb unterstützen wir diese Initiative selbstverständlich.

Es geht bei diesem Thema um Gleichstellung. In 16 der 27 EU-Mitgliedstaaten wurde das kommunale Wahlrecht für Drittstaatenangehörige, wenn auch mit unterschiedlichen gesetzlichen Bestimmungen, bereits realisiert. Es kann also keine Rede davon sein, dass diese Menschen nicht im Interesse der Kommune entscheiden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Reinhard Grindel (CDU/CSU): Aber die Integration ist dadurch auch nicht besser!)

Es wurde deutlich: Das Verständnis, das Schwarz-Gelb von Integration hat, ist offenkundig gleichbedeutend mit Ungleichheit; denn Sie wollen die bestehende Ungleichheit zementieren.

Ich möchte mich auch an Herrn Veit und die SPD wenden. Es ist nicht zu verhehlen da hat Herr Grindel recht : Es ist Wahlkampf. Ich frage Sie, Herr Veit: Was ist innerhalb der letzten zehn Monate passiert? Noch vor zehn Monaten haben Sie hier im Bundestag bei einer namentlichen Abstimmung gegen das kommunale Wahlrecht für Drittstaatenangehörige gestimmt.
(Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Ach was! So ist das also! Das ist ja interessant!)

Aber jetzt, kurz vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, meinen Sie Ihr vermeintliches Herz für Migrantinnen und Migranten entdecken zu müssen.
Auch in diesem Kontext ist zu sehen, dass Sie heute eine Pressekonferenz einberufen haben, und zwar nur deshalb, um zu Ihrem heute zu beratenden Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Das macht Sie nicht glaubwürdiger. Sie haben es in Ihren elf Regierungsjahren nicht geschafft, bei diesem Thema eine Initiative auf den Weg zu bringen. Herr Veit, wo war die SPD in diesen elf Regierungsjahren? Warum haben Sie keine Initiative ergriffen, um Drittstaatenangehörigen das Wahlrecht zumindest auf der kommunalen Ebene zu geben? Sie haben nichts getan. Jetzt, kurz vor der Landtagswahl in NRW, wollen Sie etwas tun. Das ist für die SPD schändlich, Herr Veit.
(Beifall bei der LINKEN – Christian Lindner (FDP): Ihr habt das doch in 40 Regierungsjahren nicht hinbekommen!)

Sie sagen insbesondere von der Union, aber auch von der FDP hört man das immer wieder, die Menschen sollen sich einbürgern lassen und deutsche Staatsangehörige werden; dann können sie auch von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Ich frage mich: In welcher Welt leben Sie eigentlich? Sie haben das Staatsangehörigkeitsgesetz in den letzten Jahren immer weiter verschärft. Im September 2008 haben Sie den Einbürgerungstest eingeführt. Die vorherige rot-grüne Regierung hat das Staatsangehörigkeitsgesetz im Jahre 2000 reformiert. Auch diese Reform hat übrigens zu einem Rückgang der Zahl der Einbürgerungen geführt.
Der Einbürgerungstest, den Sie im Jahr 2008 eingeführt haben, hatte zur Folge, dass die Zahl der Einbürgerungen im Jahr 2009 im Vergleich zu 2008 um 19 Prozent gesunken ist. Seit dem Jahr 2000, also seit der großen Reform unter Rot-Grün, beträgt der Rückgang 55 Prozent. Es ist also Quatsch, zu sagen: Die Leute sollen sich einbürgern lassen. Vielmehr müssen wir Einbürgerungen massiv erleichtern, damit die Menschen überhaupt eingebürgert werden und bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai Gebrauch von ihrem Wahlrecht machen können. Wir brauchen aber auch ein kommunales Wahlrecht, damit wir aus demokratietheoretischen Gründen sage ich das, Herr Grindel in Deutschland weniger demokratiefreie Zonen haben. Wie können Sie in den Kommunen Stadträte legitimieren, wenn dort 30 oder 35 Prozent der Bevölkerung an den Wahlen nicht teilnehmen können?

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Sevim Dagdelen (DIE LINKE):
Ich komme zum Schluss. Wir als Linke fordern demokratische und soziale Rechte für alle in Deutschland lebenden Menschen – und das, liebe SPD, nicht nur dann, wenn sie uns gerade mal wahltaktisch genehm sind.
(Beifall bei der LINKEN)