Statt Instrumentalisierung der Opfer von Zwangsverheiratung, die Rechte Betroffener stärken!

Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthaltsund asylrechtlicher Vorschriften (BT-Drs. 17/4401) sowie weiterer Anträge (BT-Drs. 17/4197, 17/2491, 17/3065, 17/2325)

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um eines vorwegzunehmen: Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren von der Bundesregierung und von den Regierungsfraktionen, geht es nicht um die betroffenen Frauen, wie es hier immer wieder gesagt wurde. Nein, Sie haben kein Herz für zwangsverheiratete Personen.

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Was soll das denn?)

Sie wollen auch nicht ernsthaft etwas gegen Zwangsverheiratungen tun.

Es nimmt Ihnen auch niemand ab, dass Sie plötzlich für die Rechte von Frauen kämpfen, wo doch gerade Sie seit Jahren alles an Gleichstellungspolitik verhindert haben und immer noch verhindern. Deshalb protestierten heute vor dem Reichstag zahlreiche Frauenrechtsorganisationen und andere Vereine aufgrund des Aufrufs von Terre des Femmes gegen Ihren frauenfeindlichen Gesetzentwurf. Die Linke ist auf der Seite dieser Frauenrechtsorganisationen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihnen geht es nur um eines: Sie wollen die Notlagen von Frauen dafür nutzen, um Ihre hässliche Abschottungspolitik zu kaschieren; denn Sie wollen immer noch Familienzusammenführungen in Deutschland verhindern.

Bereits im August 2007 wurde das Argument der Bekämpfung von Zwangsverheiratungen angeführt, um den Ehegattennachzug einzuschränken. Da führte die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD den Zwang ein, die deutsche Sprache bereits im Ausland zu erlernen.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Sehr erfolgreiche Maßnahme!)

Das vorgegebene Motiv war die Bekämpfung von Zwangsverheiratungen, und das war scheinheilig. Denn durch diese Maßnahme wurde bis heute kein einziger Fall von Zwangsverheiratung verhindert. Es fehlt jeglicher Beweis seitens der Bundesregierung, dass diese Maßnahme irgendeine Zwangsverheiratung verhindert hätte.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Fragen Sie mal im Goethe-Institut in Istanbul nach, bevor Sie solchen Unsinn erzählen! Sie müssen sich mal vor Ort informieren!)

Was hier als Opferschutz getarnt war, Herr Grindel, zielte ganz einfach auf die Verhinderung von Einwanderung. Und Ihr Ziel haben Sie auch erreicht: Vor der Verschärfung des Ehegattennachzugs konnten noch 40 000 Menschen von ihrem Grundrecht auf Ehe- und Familienzusammenführung Gebrauch machen.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Es gibt kein Grundrecht auf Zwangsehe, Frau Dagdelen! Das hätten Sie vielleicht gerne!)

2009 waren es nur noch 33 000. Das ist ein Rückgang um 16 Prozent.

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Der kann man fast nicht mehr zuhören!)

Wir sagen: Das ist keine familienfreundliche Politik, nein, das ist eine familienfeindliche Politik der Bundesregierung.

Die Bundesregierung zeigt erneut, dass es ihr weiterhin nicht um die betroffenen Frauen geht. Denn was schlägt sie vor? Sie schlägt vor, die Ehebestandszeit von zwei auf drei Jahre zu erhöhen. Damit werden Frauen, die in gewalttätigen Beziehungen oder Gewaltverhältnissen leben, aus Angst vor dem Verlust des Aufenthaltstitels oder vor einer Abschiebung gezwungen, ein Jahr länger in dieser Gewaltsituation auszuharren. Ich verstehe einfach Ihre Logik nicht. Sie begründen Ihre Gesetzesmaßnahme damit,

(Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Lesen Sie mal das Gesetz!)

dass Sie behaupten, die Anzahl der Scheinehe-Verdachtsfälle sei höher als im Jahr 2000. Auch das stimmt nicht. Das ist glatt gelogen. Auf meine Anfrage an die Bundesregierung vom 25. November 2010 konnte sie nicht leugnen, dass die Zahl der Tatverdächtigen bei Scheinehen im Jahr 2009 mit 1 698 Personen nicht einmal ein Drittel so hoch war wie im Jahr 2000 mit 5 269 Fällen, also in dem Jahr, in dem die Ehebestandszeit von vier auf zwei Jahre reduziert wurde. Jetzt wollen Sie die Zeit verlängern, obwohl die Zahl der Verdachtsfälle wesentlich weniger geworden ist. Wo ist eigentlich die Logik bei Ihnen? Es gibt gar keine Logik. Sie nehmen in Kauf, dass die Frauen länger in Gewaltsituationen bleiben. Deshalb finde ich das nicht nur unlogisch, sondern unmenschlich. Es ist skandalös, was Sie hier vorhaben.

Sie verstoßen nicht nur gegen jedweden Grundsatz von Humanität, Sie verstoßen auch gegen europäisches Recht. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. Dezember 2010 verstößt die Erhöhung der Ehebestandszeit gegen Europarecht. Das europäische Assoziationsrecht sieht seit Ende 1980 ein sogenanntes Verschlechterungsverbot, zum Beispiel für türkische Arbeitnehmer, vor. Danach darf die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nicht erschwert werden. Das heißt, seit 1980 gewährte Erleichterungen dürfen nicht mehr zurückgenommen werden. Genau das tun Sie aber hier mit Ihrem Gesetzentwurf. Deshalb muss er sofort gestoppt werden, wenn schon nicht aus Rücksicht auf die Frauen, dann aus europarechtlichen Gründen, sagt die Linke.

Deshalb fordert die Linke auch flächendeckende niedrigschwellige Beratungsangebote und Notfallunterbringungen, die von Zwangsverheiratung bedrohten Frauen oder zwangsverheirateten Frauen helfen würden. Außerdem fordern wir verfahrensrechtliche Veränderungen zur Gewährleistung der Sicherheit und Anonymität der Opfer in den Gerichtsverfahren. Das sagen sehr viele Menschen, die in den Opferberatungsstellen oder Anwaltsvereinen arbeiten und seit Jahren mit dem betroffenen Personenkreis zu tun haben.

Wir fordern ein wirksames Rückkehrrecht für zwangsverheiratete oder verschleppte Personen. Diese Menschen müssen vor allen Dingen ein uneingeschränktes Recht auf Wiederkehr haben, das ihnen unabhängig vom Nachweis eigenen Erwerbseinkommens zustehen muss.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir fordern auch, dass in Fällen einer Verschleppung der Aufenthaltstitel grundsätzlich nicht erlischt.

Ferner fordern wir die Bundesregierung auf, auf die geplante Verlängerung der Mindestehebestandszeit zu verzichten. Statt einer Verlängerung ist es endlich an der Zeit, in einer großen Industrienation wie Deutschland ein dem 21. Jahrhundert gemäßes eigenständiges Aufenthaltsrecht von Ehegatten zu schaffen.

Ich komme zum letzten Punkt. Gestern war ich zu einer Podiumsveranstaltung zum Thema Asylbewerberleistungsgesetz bei der Katholischen Akademie eingeladen. Die Bundesregierung hat ja selbst zugegeben, dass das Asylbewerberleistungsgesetz im Lichte des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu Hartz IV vom Februar letzten Jahres eigentlich verfassungswidrig ist und den Anforderungen des Gerichts nicht entspricht. Dort wurde auch das Problem der Residenzpflicht angesprochen. Deshalb halte ich das, was Sie vorgelegt haben, für etwas Halbherziges, für ein Teilstück. Ich fordere Sie auf, endlich auch allen Menschen mit Migrationshintergrund die Bewegungsfreiheit in Deutschland zu ermöglichen. Die Mobilität ist nicht nur für die Erbringung von Dienstleistungen und den Warenverkehr zu gewährleisten, sondern auch die Menschen müssen ein Recht haben, sich in Deutschland frei bewegen zu können.

(Beifall bei der LINKEN)