Steigbügelhalter

Deutsche Kontinuitäten in der Türkei

Sevim Dagdelen

Der türkische Staatspräsident Erdogan hat die Türkei in einen Folterstaat verwandelt. Massenverhaftungen und Massenentlassungen prägen das öffentliche Bild. Der Führerkult um Erdogan nimmt immer groteskere Formen an. Unverhohlen wird das Ziel der neoosmanischen Landnahme von Gebieten im Irak und in Syrien ausgegeben. Neben dem Krieg gegen die Kurden tritt immer stärker das direkte Vorgehen gegen die demokratische Opposition hervor, wie im Fall der Kobürgermeister von Diyarbakir, Gültan Kisanak und Firat Anli. Erdogan versucht eine Allianz aus Moslembrüdern, Faschisten und Rechtspopulisten zu formen. Eines der Ideologieelemente ist dabei die Leugnung des Völkermords an den Armeniern. Wie kein anderer vor ihm hat der Despot sie zur Staatsdoktrin der Türkei erhoben. Die Absage des Konzerts der Dresdner Sinfoniker im deutschen Generalkonsulat durch das Auswärtige Amt ist ein Kniefall der Bundesregierung vor dem Autokraten Erdogan. Sie steht in einer Reihe mit anderen Unterwerfungen deutscher Regierungspolitik.

Zu wichtig ist Erdogan offenbar für Flüchtlingsabwehr, deutsche Militärpolitik im Nahen Osten und für eine Türkei als profitable Anlagemöglichkeit deutschen Kapitals. Die Absage durch das Amt Steinmeiers steht aber auch in einer Kontinuität deutscher Imperialpolitik seit den Zeiten des deutschen Reichskanzlers Bethmann-Hollweg. Sein Wort zur Waffenbrüderschaft aus dem Ersten Weltkrieg ist das verbrecherische Vermächtnis für die deutsche Außenpolitik hundert Jahre nach dem Völkermord: »Unser Ziel ist es, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht«, so hatte der Reichskanzler die deutsche Mitverantwortung für den Völkermord gerechtfertigt.

Merkel und Steinmeier stehen in dieser Tradition der freundlichen Begleitung des Völkermords. Kein Verbrechen Erdogans bringt sie von ihrer Partnerschaft ab. Das Abschlachten der Kurden heute, die Unterstützung islamistischer Terrormilizen in Syrien quittieren sie mit nichts anderem als einer Ausweitung deutscher Rüstungsexporte in die Türkei. Damit wird die Bundesregierung zum Steigbügelhalter eines neuen Faschismus in Ankara. Erdogans Programm sind Ausnahmezustand und Bürgerkrieg. Ohne die Unterstützung aus Berlin liefe es nur halb so gut für ihn. Wer wirklich etwas für die politisch Verfolgten, für die Gefolterten und Drangsalierten in der Türkei tun will, der muss auf die Beendigung der Partnerschaft Merkels und Erdogans zielen.

Sevim Dagdelen ist Sprecherin für internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke im Bundestag. Am 2. November stellt sie in der jW-Ladengalerie ab 19 Uhr ihr Buch »Der Fall Erdogan. Wie uns Merkel an einen Autokraten verkauft« vor

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