Steiger-Award an Erdogan ist heuchlerisch und zynisch!
Liebe Freundinnen und Freunde,
im Namen der Linken begrüße ich euch als Bundestagsabgeordnete der Linken, die seit Jahren ihren Wahlkreis hier in Bochum hat, ganz herzlich. Es ist großartig, dass wir heute so viele hier sind!
Und ja, es ist für uns Bochumerinnen und Bochumer beschämend, dass die Bochumer Oberbürgermeisterin Frau Ottilie Scholz von der SPD trotz dieses berechtigten Protests und der Kritik anderer Presiverlehing bis heute schweigt und das Grußwort hält.
Und es ist auch skandalös, dass die Bochumer Polizei die Proteste vor dem Jahrhunderthaus und damit in Hör- und Sichtweite der Verleihung verboten hat. Meinungsfreiheit lässt sich aber nicht verbieten! Weder durch Repressionen der Erdogan-Regierung in der Türkei – noch durch Verbotsverfügungen der Bochumer Polizei! Wir lassen uns das Recht nicht nehmen gegen diese beschämende Gala-Vorstellung zu demonstrieren!
Die Preisverleihung belegt den Totalausfall des Realitätsvermögens der Organisatoren. Sie demonstriert aber auch die Heuchelei der Bundesregierung und die Selektivität der europäischen Menschenrechtspolitik. Menschenrechte sollen offenbar nur dort eingehalten werden und demokratische Proteste nur dort ein Gewicht zukommen, wo die Bundesregierung und die EU ihre geopolitischen Interessen bedroht sehen oder als Rechtfertigung für Kriege und wirtschaftliche Erpressung nutzen möchten.
Diese Widersprüche sind den Organisatoren des Steiger-Awards wohl auch nicht verborgen geblieben. Sie bemühen sich angesichts der massiven Proteste – von Euch allen meine Lieben Freunde -, um Schadensbegrenzung. Die Organisatoren dieser schändlichen Preisverleihung behaupten nun doch tatsächlich auf ihrer Website, dass „Premierminister Recep Tayyip Erdogan die Auszeichnung stellvertretend für das türkische Volk für 50 Jahre deutsch-türkische Freundschaft in Empfang nimmt." Die Auszeichnung soll „ausdrücklich keine Bewertung der innen- und außenpolitischen Aktivitäten des türkischen Ministerpräsidenten" sein.
Wenn die Veranstalter das tatsächlich ernst meinen würden, würden sie nicht einem Premierminister den Preis verleihen, sondern den hier lebenden Menschen. Der Steiger Award soll nun plötzlich „ein Dank für den wertvollen Beitrag" sein, den „unermüdlichen Einsatz" der Gastarbeiter, die seit 1961 maßgeblich zum Wohlstand dieses Landes beigetragen haben. Als Sprecherin für Migration und Integration der Linksfraktion im Bundestag sage ich: Es ist an Hohn und Heuchelei kaum zu überbieten, wenn eben jene, denen angeblich gedankt werden soll, genötigt werden hier draußen vor massiven Polizeiabsperrungen zu stehen. Es ist ein Skandal, dass es jenen, denen angeblich gedankt werden soll, verwehrt ist in Sicht- und Hörweite der vermeintlichen Verehrer zu gelangen.
Liebe Freundinnen und Freunde. Ich sage Euch: Ihr habt eine solche Dankbarkeit nicht verdient!
Ihr seid keine Objekte, sondern mündige Bürger, die eine eigene Meinung haben über die verheerende Lage der Menschenrechte, die Religionsfreiheit, die Lage von Minderheiten, den Zustand gewerkschaftlicher Mitbestimmung und die demokratische Wirklichkeit in dem EU-Beitrittskandidaten Türkei.
Doch Ihr alle wurdet um Eure Meinung nicht gefragt. Weder damals als unsere Väter dieses Land aus den Ruinen des von Deutschland angezettelten Zweiten Weltkrieges gehoben haben. Noch heute, wo Menschen auch in der vierten Generation die Herkunft vorgehalten wird. Wir sagen NEIN dazu, dass noch immer über unsere Köpfe hinweg mit einer Regierung, die Tausende Kilomenter von unserem Lebensmittelpunkt entfernt ist, über uns verhandelt und gesprochen wird. Die türkische AKP-Regierung ist nicht unsere Vertretung!
Meine Lieben Freundinnen und Freunde,
Hochachtung und Anerkennung muss man sich verdienen. Ehre kann einem weder durch Teilnahme an noblen Gala-Maskeraden, noch durch Cocktail-Partys verliehen werden. Diese geschlossene Gesellschaft, die sich heute in der Jahrhunderthalle unter massiven Polizeischutz getroffen hat, besitzt keine Legitimation irgendwelche Preise für Tugenden wie Geradlinigkeit, Offenheit, Menschlichkeit oderToleranz zu verleihen! Diese Gesellschaft in der Jahrhunderthalle ist eine Gesellschaft der Heuchelei und des Zysnismus!
Denn welche Tugenden zeichnen Erdogans Politik aus? Hat er Menschlichkeit bewiesen indem er hunderte JournalistInnen in türkischen Gefängnissen gesperrt hat? Hat er Toleranz bewiesen, indem er die Meinungs- und Pressefreiheit in derTürkei mit Füssen treten lässt? Hat er Menschlichkeit bewiesen als er kurdische Dörfer bombardieren ließ? Worin liegt seine Menschlichkeit angesichts von massiver Folter und Militär- und Polizei-Brutalität in der Türkei?
Diese Ehrung ist zynisch. Denn geradlinig ist Erdogan nur in seiner zutiefst religiös-ethnizistischen Politik gegenüber den in Deutschland lebenden türkischen Migrantinnen und Migranten, die er als verlängerten Arm der Türkei für die AKP instrumentalisiert. Geradlinig ist er auch mit seiner Verfolgung der Minderheiten wie Aleviten, Armeniern, Assyrern oder den Kurden in der Türkei.
Und die Einstellung des Gerichtsverfahrens gegen die Mörder und Brandstifter von Sivas vor wenigen Tagen ist ein weiterer Skandal der AKP-Regierung. Was ist das für ein Rechtsstaat in der Türkei, wenn 19 Jahre lang absichtlich der Prozess verschleppt wurde, 5 Mörder jetzt ungestraft bleiben, weil die Taten verjährt sind? Und wo ist die Menschlichkeit von Erdogan, der die Einstellung des Verfahrens als ’segensreiches Ereignis für sein Land‘ bezeichnete?
Und es ist eine Schande in diesem Zusammenhang, dass staatliche Stellen auch in Deutschland in den Fall verwickelt sind. Staatliche Behörden haben unter SPD-Grünen, CDU-SPD und CDU-FDP-Bundesregierungen den Mördern von Sivas mitten unter uns in Deutschland unter anderem Namen Unterschlupf gewährt. Das ist eine Schande liebe Freundinnen und Freunde!
In der Logik dieser heuchlerischen Gesellschaft in der Jahrhunderthalle ist es nur folgerichtig den türkischen Premierminister Erdogan einzuladen. Die Türkei ist für die EU und die NATO-Staaten besonders interessant, so war ja auch dei erste Begründung für die Presiverleihung an Erdogan. Einmal geostrategisch zur Rohstoffsicherung, aber auch militärisch. Ob im Kosovo oder in Afghanistan – überall sind türkische Truppen mit im Einsatz. Und jetzt haben die EU- und NATO-Staaten auch noch grünes Licht gegeben für die völkerrechtswidrigen Angriffe auf den Nordirak. Das bei den Bombardierungen der türkischen Luftwaffe auch Zivilisten zu Tode kommen, ist Teil dieses Kalküls. Hier ist Erdogan ein guter Schüler von George Bush und Angela Merkel. Türkisches Militär und AKP arbeiten hier Hand in Hand. Jede politische Lösung des Kurdenkonflikts wird ausgeschlossen. Stattdessen wird auf einen aggressiven kapitalfreundlichen Neoliberalismus gesetzt und die Trennung von Staat und Religion zunehmend ausgehöhlt. Ein friedliches Zusammenleben von Türken und Kurden in der Türkei soll es nicht geben.
Wir sagen NEIN zu der Kriegspolitik von Erdogan! Die völkerrechtswidrigen Angriffe auf den Nord-Irak müssen beendet werden! Wir wollen ein friedliches geschwisterliches Zusammenleben von Türken und Kurden in der Türkei! Und dabei sollte niemand von vornherein ausgeschlossen werden!
Wer Menschenrechte und Meinungsfreiheit mit Füßen tritt, politische Massenverhaftungen von Oppositionellen oganisiert, Intelektuelle, Menschenrechtler, Gewerkschaftler und kritische Journalisten verfolgt, der hat tatsächlich eine Auszeichnung verdient. Diese Auszeichnung steht jedoch für Intoleranz, Diskriminierung, Repression und Spaltung liebe Freundinnen und Freunde!