Stellungnahme zur Erklärung von Inge Höger und anderen in der AKL
Liebe Genossinnen und Genossen,
ich möchte kurz Stellung nehmen zur Erklärung von Inge Höger und anderen in der AKL, in der ich als rechts diffamiert werde. Die Vorwürfe sind nicht nur boshafte Verleumdung, sondern auch beleidigend und richten sich selbst.
Angesichts der dramatischen Situation der Menschen an der griechisch-türkischen Grenze und auf Lesbos habe ich am 3. März 2020 im Namen der Fraktion DIE LINKE unmissverständlich die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland und der EU gefordert und erklärt, dass eine weitere Zuspitzung der katastrophalen Zustände unbedingt verhindert werden müsse (https://www.linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/detail/humanitaer-helfen-fluechtlinge-aufnehmen-fluchtursachen-bekaempfen/). Es ist niederträchtig, mich in die Ecke von Horst Seehofer, Sebastian Kurz und Christian Lindner zu schieben, die sich für die rigorose Schließung der EU-Außengrenzen und gegebenenfalls der nationalen Grenzen stark machen.
Die brutale Abschottungspolitik an der EU-Außengrenze und die Aussetzung des Asylrechts sind ein eklatanter Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Es ist vollkommen unstrittig, dass das Recht auf Asyl in Europa wiederhergestellt und entschiedene humanitäre Hilfe für Menschen in Not geleistet werden muss. DIE LINKE im Bundestag hatte, auch darauf habe ich in der Pressemitteilung „Humanitär helfen – Flüchtlinge aufnehmen – Fluchtursachen bekämpfen“ vom 3. März 2020 verwiesen, bereits vor kurzem einen Antrag eingebracht, sofort alle unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge aus den EU-Hotspots in Griechenland nach Deutschland zu evakuieren (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/140/1914024.pdf). Bei der Rede zur Abstimmung hat Ulla Jelpke für die Fraktion am 29. Januar 2020 im Bundestag erklärt: „Mit unserem Antrag schlagen wir vor, dass wenigstens die 2000 unbegleiteten Kinder aus den Horrorlagern herausgeholt werden.“ (https://www.ulla-jelpke.de/2020/01/rede-aufnahme-unbegleiteter-fluechtlingskinder-jetzt/) Dazu stehe ich und das kann selbstverständlich nur ein Anfang sein. Mich jetzt gerade für diese Forderung unserer gesamten Fraktion in die rechte Ecke stecken zu wollen, wie dies einige nun tun, treibt die Sache wirklich auf die Spitze. Offenbar geht es hier ausschließlich um Hass und böswillige Hetze.
Am gestrigen Mittwoch haben wir im Bundestag über den Antrag der Grünen für die Aufnahme von 5000 Kontingentflüchtlingen abgestimmt. Ich füge das Ergebnis der namentlichen Abstimmung an. Allein unsere Fraktion und die Grünen haben diesen Antrag unterstützt. Alle anderen Fraktionen haben selbst die Aufnahme von 5000 verweigert. Und hier müssen wir doch gemeinsam kämpfen gegen die furchtbare EU-Abschottungspolitik, die die anderen Parteien hier unterstützen. Wir müssen gemeinsam versuchen diese Abschottungspolitik zu durchbrechen.
Klar ist aber auch, dass es ohne eine Bekämpfung der Fluchtursachen keine substantielle Lösung der vom türkischen Präsidenten Erdogan befeuerten Krise geben wird. Man kann nicht wegreden, dass der Autokrat die mehr als drei Millionen Kriegsflüchtlinge aus Syrien als reine Erpressungsmasse missbraucht, um weitere Unterstützung für seine völkerrechtswidrigen Kriege und seine Kooperation mit Al-Qaida-Gruppen in Syrien zu bekommen. Dies zu kritisieren, heißt, Ross und Reiter zu benennen und nicht, das Leid der Flüchtlinge zu negieren, wie mir unterstellt wird.
Die EU hat sich zweifelsohne durch den Merkel-Erdogan-Deal selbst in die Position gebracht, von Erdogan erpresst werden zu können. Ich habe die Vereinbarung zur Flüchtlingsabwehr vom ersten Tag an am 19. März 2016 kritisiert: „Die Politik Angela Merkels offenbart mit dem Pakt mit dem Despoten Erdogan ihr hässliches Gesicht. Erdogan führt in der Türkei Krieg gegen die Kurden. Hunderttausende fliehen vor seinen Verfolgungen. Erdogan gehört wegen seiner Verantwortung für Kriegsverbrechen nicht nach Brüssel, sondern nach Den Haag. (.) Der Pakt zur kollektiven Ausweisung von Flüchtlingen verstößt gegen das Völkerrecht. Die EU hat ihr Schicksal damit in die Hände eines Hasardeurs und Verbrechers gelegt, der auch durch seine Unterstützung islamistischer Mörderbanden in Syrien, immer mehr Menschen in die Flucht treibt.“ (https://www.sevimdagdelen.de/schaendlicher-pakt-mit-erdogan/)
Meine Stellungnahme von 2016 hat nichts an Aktualität verloren. Es ist einfach vollkommen unredlich und ignorant, mir zu unterstellen, ich würde hier die EU zum eigentlichen Opfer dieser Tage erklären.
Die Vorwürfe gegen mich beziehen sich auch auf mein Interview bei ntv-#Frühstart vom 2. März 2020. Dort habe ich mich in einem Satz versprochen bzw. unvollständig ausgedrückt, so dass der Eindruck entstand, ich sei dagegen, dass Deutschland Flüchtlinge aufnimmt. Das ist natürlich Quatsch. Deutschland soll und kann natürlich Flüchtlinge aufnehmen, aber eben nicht nur Deutschland. Das war und ist meine Intention. Es braucht hier ein gesamteuropäisches Engagement. Dies habe ich in einer ausführlichen Stellungnahme am 3. März 2020 ausdrücklich betont (https://bit.ly/3at42to).
Es ist schlicht verfälschend, meine Antworten auf die Frage des Moderators, was angesichts der konkreten Situation zu tun sei, nur auf diesen einen Satz zu reduzieren. Ich habe in dem Interview deutlich gemacht, dass angesichts der katastrophalen Lage an der griechisch-türkischen Grenze ein humanitäres Eingreifen der EU, also auch Deutschlands, notwendig ist. Das heißt selbstverständlich auch, dass die brutale Abschottungspolitik der EU beendet werden muss und endlich die Weichen für eine humane europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik gestellt werden.
In meiner Stellungnahme betone ich: „Diese menschenfeindliche Abschottungspolitik ist eine moralische und politische Bankrotterklärung der EU. Humanitär einzugreifen bedeutet zudem, dass die Flüchtlinge in der EU, d.h. auch in Deutschland, Schutz finden müssen und dies auch organisiert wird. Es kann nicht sein, dass wieder eine Situation entsteht, dass Flüchtlinge gezwungen werden, sich tausende Kilometer durchzuschlagen. Das Asylrecht in Europa darf nicht zum Gnadenrecht verkommen oder wie jetzt an der griechischen Grenze schlicht geschleift werden.“
Kein Verständnis habe ich dafür, die Notwendigkeit der Bekämpfung von Fluchtursachen kleinzureden oder als „formelhaft, abstrakt“ abzutun. Der LINKEN darf und kann es doch nicht nur um ein humanes Asyl- und Flüchtlingsrecht der EU gehen und um eine Aufnahme der Menschen, die gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen. Ins Zentrum unserer Politik muss es der Kampf darum, dass Menschen nicht gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen. Ohne eine Bekämpfung der Fluchtursachen wird sich auf Dauer NICHTS substantiell verändern.
In dem jetzt kritisierten ntv-#Frühstart-Interview habe ich mich ausführlich und differenziert zur Kriegsoffensive der Türkei in Syrien sowie der perfiden Instrumentalisierung hunderttausender Flüchtlinge durch Erdogan geäußert. Dem türkischen Autokraten geht es nicht um die bessere Unterbringung von Flüchtlingen in anderen Ländern der EU. Tatsächlich hat die Türkei zwar 3,5 Millionen Kriegsflüchtlinge aus Syrien aufgenommen, hat aber durch die jahrelange Waffenhilfe an islamistische Terrorbanden den Krieg selbst mit angeheizt und durch ihre völkerrechtswidrigen Kriegsoffensiven der vergangenen Jahre im Norden Syriens unmittelbar selbst Hunderttausende Kurden, Jesiden und Christen aus ihren Dörfern und Städten vertrieben. Die Flüchtlinge in der Türkei benutzt Erdogan als Faustpfand, um Geld von anderen NATO und EU-Staaten zu erpressen. Es wäre politisch geradezu fahrlässig, dies nicht zu benennen.
Erdogan selbst ist die personifizierte Fluchtursachte und betreibt eine Mafiapolitik: Durch neue Erpressung will er jetzt von der EU noch mehr Geld bekommen, das direkt in die Finanzierung seiner Kriege fließen wird und nicht wie bisher aus dem EU-Türkei-Deal wenigstens teilweise an diejenigen, die sich um die Versorgung der Flüchtlinge kümmern.
Es ist doch ungeheuerlich, dass die Bundesregierung und die EU den permanenten Rechtsbruch Erdogans und seine Aggression in Syrien nicht verurteilen, dass sie stillhalten und ihm sogar noch im Rahmen der NATO ihre Solidarität versichern – oder ihm sogar noch die Einrichtung sogenannten Sicherheitszonen anbieten. Das ist nichts anderes als eine Besatzungszone für die türkische Armee und Al-Qaida.
Die türkische Armee hält sich völkerrechtswidrig in Syrien auf, operiert Seit an Seit mit Al-Qaida-Terrorgruppen und rüstet sie mit modernstem Kriegsgerat auf. Diese Terrorbeihilfe aus Ankara befeuert nicht nur den Krieg in Syrien, sondern gefährdet auch die Sicherheit in Europa. Das muss deutlich und klar benannt werden.
Im Namen der Fraktion DIE LINKE habe ich daher auch am 4.3.2020 die Einrichtung einer sogenannten Sicherheitszone im syrischen Idlib an der Seite türkischer Truppen und islamistischer Terrormilizen abgelehnt, und gefordert: „Der türkische Autokrat Recep Tayyip Erdogan darf für seine völkerrechtswidrigen Kriege an der Seite von Al-Qaida keine Waffen und keinen Euro mehr aus Deutschland und der EU bekommen. (.) Es ist eine außenpolitische Geisterfahrt, mit Blick auf die humanitäre Krise in Idlib der Türkei Rückendeckung für die völkerrechtswidrige Militäroffensive und Besatzung im Norden Syriens zu geben. Jede Unterstützung für Erdogan in Syrien ist eine Unterstützung für Al-Qaida, was nicht zuletzt auch die Sicherheit in Europa gefährdet.“ (https://www.linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/detail/keine-sicherheitszone-fuer-erdogan-und-al-qaida-in-idlib/)
Was ist also zu tun in Sachen Fluchtursachenbekämpfung?
Erdogans Angriffskriege in Syrien dürfen nicht länger unterstützt werden. Es ist nicht akzeptabel, dass die türkischen Invasionen in Syrien weder in der NATO noch in der EU bisher Konsequenzen gehabt haben.
Die Bundesregierung und die EU dürfen sich von Erdogan nicht erpressen lassen, die NATO muss der Türkei jeden Beistand für ihren völkerrechtswidrigen Krieg in Syrien verweigern. Mit seiner aggressiven Expansionspolitik macht Erdogan immer mehr Menschen zu Flüchtlingen – für Al-Qaida ist er ein Förderer und Überlebensgarant. Sich von ihm erpressen zu lassen, bedeutet den Krieg zu verlängern. Dagegen müssen wir uns wenden.
Von der Bundesregierung und der EU einzufordern, humanitär einzugreifen und Flüchtlinge aufzunehmen und zugleich die Fluchtursachen zu bekämpfen, ist kein Widerspruch, sondern eine Selbstverständlichkeit, um wirklich etwas zu verändern.
Im Fall Syriens hat die Bundesregierung bei der Fluchtursachenbekämpfung schlicht versagt. Nach wie vor befürwortet sie eine Regime-Change-Politik, obwohl der Regime-Change-Krieg in Syrien längst verloren ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat auf der Fraktionssitzung von CDU/CSU am 3.3.2020 die Syrien-Politik des Westens – also auch ihre eigene – kritisiert. „Es habe sich gezeigt, dass ein von außen initiierter Wechsel der Regierung nicht möglich sei. Der Krieg habe nur zu einer Radikalisierung geführt“, gibt die Agentur die Kanzlerin wieder (siehe Reuters vom 3.3.2020). Leider zieht die Bundesregierung daraus aber nicht die richtigen Schlussfolgerungen. Im Gegenteil: Sie steht weiter fest an der Seite Erdogans und will ihm und seinen Kopfabschneider-Banden auch noch eine Besatzungszone, sog. Sicherheitszone einrichten.
Wer der Bevölkerung in Syrien und den Millionen Flüchtlingen helfen will, darf nicht wie die Bundesregierung, die EU und die NATO auf den personifizierten Fluchtverursacher Erdogan bauen. Die Bundesregierung und die EU müssen endlich die Regime Change Politik beenden und die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien aufheben – damit der Wiederaufbau des Landes nicht länger blockiert und das Leiden der Bevölkerung nicht verlängert und verschärft wird. Dies ist eine Voraussetzung dafür, dass die Menschen eine Perspektive bekommen. Auch das habe ich bei ntv-#Frühstart auf die Frage gesagt, was aktuell politisch zu tun sei.
Solidarische, konstruktive Kritik ist immer gern willkommen. Hass und Hetze sollten aber nicht Mittel von Politik, erst recht nicht linker Politik sein.
Mit besten Grüßen,
Sevim Dagdelen