Verkehrte Welt
Verkehrte Welt
von Sevim Dagdelen
Geschichte wiederholt sich gern. Auch wenn sie gelegentlich die Handlungsorte zu tauschen mag, erscheint sie fast immer das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Wenn der Mangel an analytischem Geist akut wird, werden ängstlich die Geister der Vergangenheit beschworen, um in altehrwürdiger Verkleidung und neuem Dienste auf eine entlegene Weltgeschichtsszene gehoben zu werden. Selektive Geschichtsvergessenheit muss auch dem Autor des Leitartikels „Damals wie heute", Christian Bommarius, attestiert werden. Es ist an Frechheit kaum zu überbieten, wenn eine antikommunistische Rhetorik des Kalten Krieges bemüht wird, um der LINKEN eine vermeintliche „Solidarität" mit dem Regime von Assad zu unterstellen anstatt die Bemühungen um eine friedliche Lösung, der jahrzehntelang mit der Unterstützung der Bundesregierung angeheizten Konflikte in Syrien, zu würdigen.
Als die LINKE Anfang vergangenen Jahres in einem von mir mit erstellten Antrag, in dem auch Syrien genannt wurde, „Solidarität mit den Demokratiebewegungen in den arabischen Ländern – Beendigung der deutschen Unterstützung von Diktatoren" forderte, wurde der Antrag laut Beschlussprotokoll (BT-Drs. 17/5147) „mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE." abgelehnt. „Alternativen: Keine" wurde dem Protokoll hinzugefügt. Im Juni 2011 lehnten die Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch den Antrag der LINKEN „Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Syrien endgültig stoppen." ab (BT-Drs. 17/6335). Auch hier gab es zu der Rüstungspolitik der Bundesregierung angeblich keine Alternative, insbesondere nicht jenen Rüstungsexportverbot nach Syrien durchzusetzen, wie ihn die LINKE in ihrem Antrag gefordert hat.
Wie der Untersuchungsausschuss des Bundestages zu Vorgängen im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg ans Licht brachte, war es die damalige Rot-Grüne Bundesregierung, welche eine vertiefte Geheimdienstkooperation mit Syrien in Gang brachte und es möglich machte, dass die Bundesregierung Menschen nach Syrien zu Folterverhören schickte. Bereits damals war allen klar, dass es sich in Syrien um „eine ganz schlimme Diktatur" handele. Der heutige Verteidigungsminister und damalige Kanzleramtschef Thomas de Maizière wird im Bericht des Ausschusses mit den Worten zitiert: „manchmal muss man mit dem Teufel vielleicht Kirschen essen", denn Syrien sollte „zu einer umfassenden weiteren Sicherheitszusammenarbeit bei der Aufklärung des internationalen Terrorismus und der Bekämpfung der illegalen Migration bewegt werden." Dafür wurde dann auch die rechte Hand und der Schwager Assads, General al Schaukat nach Deutschland eingeladen. Der syrischen Regierung ging es dabei nach Einschätzung der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik „vor allem um die Überwachung oppositioneller Syrer in Deutschland", welche von der Bundesregierung jahrelang bereitwillig ausgeliefert wurden.
Als wäre nichts geschehen, interessiert sich der Autor des Leitartikels, bewusst oder unbewusst, nicht für diese Tatsachen. Sie würden seine These von einer „Verbrüderung mit dem Massenmörder Assad" durch Abgeordnete der LINKEN nämlich als Hirngespinst und die Politik, dessen Apologie er betreibt, als Kriegstreiberei entlarven. Darin liegt die Farce und Tragik gegenwärtiger Bemühungen um eine friedliche Lösung der Probleme in der Region. Und das müsste ein um Redlichkeit bemühter Journalist zur Kenntnis nehmen.