VORTRAG: MIGRATIONSPOLITIK EINER LINKEN PARTEI
Morgen beginnt die „Woche der Solidarität mit den Völkern der Gebiete ohne Selbstregierung" früher "Völker aller kolonialen Gebiete, die für Freiheit, Unabhängigkeit und Menschenrechte kämpfen". Doch die Geschichte der Kolonisation ist nicht vorüber. Die einstigen Kolonisatoren behaupten bis heute ihre politische, ökonomische und militärische Vormachtstellung. Viele der einstigen Kolonien konnten bis heute dem Teufelskreis der Armut und Abhängigkeit nicht entkommen.
Warum?
Die Grundstruktur erzwungener Abhängigkeit ist geblieben! Nur die Methoden haben gewechselt, mit Hilfe derer sie aufrechterhalten wird: nach Sklaverei, Kolonialismus und Neokolonialismus nunmehr die neoliberale Globalisierung. Den Industriestaaten ist es dabei gelungen, sich zur „Retterin der Armen" und Verfechterin einer gerechteren Globalisierung zu stilisieren. Sie blenden aus, dass ihr staatliches Handeln fundamental darauf ausgerichtet ist, die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse zu sichern: Als Klassen- und patriarchale Geschlechterverhältnisse, als spaltende ethnische Verhältnisse, als imperiale weltwirtschaftliche und weltpolitische Ordnung.
Eine zentrale Rolle spielen dabei Institutionen wie IWF und Weltbank. Gerade diese beiden stehen seit Jahrzehnten für eine systematische Vernichtung kleinbäuerlicher Existenzen. So Länder mit Strukturanpassungsmaßnahmen gezwungen, ihre gesamte Landwirtschaft auf den Export auszurichten und für billige Importe zu öffnen. Großflächige Monokulturen verdrängten den Anbau für den Eigenbedarf sowie lokale Märkte. Billigimporte tun ein Übriges, um den Landwirten im Süden ihre Existenz zu rauben. IWF und Weltbank forcierten das kapitalistische Wirtschaftsmodell, das natürliche Ressourcen rücksichtslos ausbeutet und das Thema Verteilungsgerechtigkeit ausklammert. Um so zynischer ist es, wenn IWF und Weltbank in ihrer Erklärung zum Abschluss ihrer Frühjahrstagung, ihr Entsetzen über die aktuelle Finanz- und Lebensmittelkrise ausdrücken.
Diesem Zustand trägt das Motto "Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört!" Rechnung. Der von Flüchtlingsorganisationen kreierte Slogan richtet sich gegen die ganze Palette kapitalistischer Strategien: gegen eine Schuldenpolitik, mit der über sogenannte Strukturanpassungsprogramme Preiserhöhungen und Privatisierungen erzwungen werden; gegen die Zerstörung lokaler Ökonomien, die immer weitere Verarmung nach sich zieht; gegen die Ausplünderung der Ressourcen; und nicht zuletzt gegen die direkte oder indirekte Unterstützung von Diktaturen und Warlords.
Alles im geo- und militärstrategischen, energie- bzw. rohstoffpolitischen oder ökonomischen Eigeninteresse.
Folgen dieser globalen kapitalistischen Gewalt-, Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnissen sind: Flucht und Migration.
Laut Weltbevölkerungsbericht 2006 leben 191 Millionen Menschen außerhalb ihres Geburtslandes, sind also Migrantinnen und Migranten. Davon 95 Millionen Frauen. Nur eine privilegierte Minderheit migriert aus freien Stücken. Die Mehrheit verlässt ihre Herkunftsländer mangels wirtschaftlicher oder politischer Sicherheit, wegen Bürgerkriegen, geschlechtsspezifischer Verfolgung, Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Orientierung und ökologischen Katastrophen.
Nach Schätzungen des UNHCR liegt die Gesamtzahl aller Flüchtlinge und Menschen in flüchtlingsähnlichen Situationen bei über 40 Millionen. Den Flüchtlingsstatus des UNHCR besitzen ca. 10 Millionen.
Was tun die Industrieländer in Bezug auf erzwungene Migration und Flucht?
Statt die überwiegend von den Industriestaaten zu verantwortenden Fluchtursachen und Ursachen für erzwungene Migration zu beseitigen, werden die Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge bekämpft. Die enge Verzahnung von Wirtschafts- und Entwicklungspolitik ist nichts Neues. Neu ist die immer stärkere Einbettung der EZ in eine außenpolitische Gesamtstrategie, vor allem auch im Zusammenhang mit der Migrationspolitik. Mit den Ländern des Trikonts will die EU Partnerschaften bilden, um durch eine Verknüpfung von Migration, Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (Menschenrechte) eine Moderation, nicht die Aufhebung der sich in diesem Prozess verschärfenden gesellschaftlichen Widersprüche zwischen arm und reich oder zwischen Benachteiligten und Bevorzugten zu schaffen. Stichworte sind hierbei: Rückkehr- und Rückübernahmepolitik, Kontrollen und die Überwachung der Außengrenzen (FRONTEX), Visumpolitik, Temporäre Migration etc. sowie die EPA’s (Economic Partnership Agreements) in der Wirtschaft- und Handelspolitik.
Die EU verfolgt gegenüber Flüchtlingen eine systematische Politik der Abschottung, Abweisung und Auslagerung des Flüchtlingsschutzes. Kontrollen an den Grenzen werden drastisch verschärft. Die Ausgaben für die Grenzsicherung und das Grenzpersonal werden rapide angehoben. Mit der EU-Grenzagentur Frontex werden Menschen auf See aufgespürt und nach Afrika zurück verbracht, bevor sie europäischen Boden erreichen können. Menschen wird ihr Recht verwehrt, in Europa einen Antrag auf Asyl zu stellen. Der Flüchtlingsschutz wird zunehmend in Transit- und Herkunftsländer außerhalb der EU verlagert. Die Folge ist die Erhöhung der Risiken und Kosten des illegalisierten Grenzübertritts. 2006 ist das Jahr mit der höchsten Todesrate an den europäischen Außengrenzen und einem neuen historischen Tiefstand bei den Asylgesuchen. Etwa 6.000 Menschen starben allein auf dem Weg von Westafrika zu den Kanarischen Inseln. Die Dunkelziffer der Todesfälle an den europäischen Südgrenzen liegt weit höher. Diese Todesfälle lassen sich auf die Militarisierung der Grenzen, die Asylgesetze, die Gewahrsamsmaßnahmen, Abschiebungen und Sanktionen gegen Beförderungsunternehmen zurückführen.
Diejenigen, die es bis in die „Festung Europa" geschafft haben, werden in so genannten Flüchtlingszentren interniert. Diese unterscheiden sich zum Teil nicht von normalen Gefängnissen. Einige Flüchtlinge können die menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen sie dort festgehalten werden, nicht ertragen und treten in Hungerstreiks. Manche begehen sogar Selbstverstümmelungen bzw. -tötungen.
Europa hat der Bekämpfung der „illegalen Migration" oberste Priorität in seiner Migrationspolitik eingeräumt. Damit werden diejenigen Menschen kriminalisiert, die entweder nur auf illegalisierten Wegen Europa erreichen können oder deren Antrag auf Asyl abgelehnt bzw. deren Visum nicht verlängert wurde. Sie leben illegalisiert und entrechtet in der EU.
Warum ist dies so?
Die Industrieländer profitieren von dem globalen Ausbeutungsgefälle. Den zunehmenden Konkurrenzdruck weltweit im Rahmen die Auseinandersetzungen um Lohn und Arbeitsbedingungen nutzen sie zur Auslagerung von Arbeitsprozessen in so genannte Billiglohnländer oder freie Exportzonen. Und sie versuchen noch gezielter Formen der Ausgrenzung mit verschärfter Ausbeutung und der Rekrutierung von billigen Arbeitskräften zu kombinieren.
Weltweit sind laut Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) 86 Millionen Migrantinnen und Migranten auf unterschiedliche Weise grenzüberschreitend wirtschaftlich aktiv. Ob Haushaltshilfen aus Polen in Deutschland, Kleinbauern aus der Sahelzone in der Elfenbeinküste, Illegalisierte aus Mexiko und Ecuador in den Fast-Food-Restaurants der USA: Arbeitsmigration ist ein globales Phänomen. Oft arbeiten sie in ausbeuterischen Verhältnissen und haben kaum Möglichkeiten, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Arbeits- und Sozialstandards scheinen für sie nicht zu gelten. Sie sind in der Land- und Bauwirtschaft, in der Gastronomie, in Privathaushalten und vielen anderen Wirtschaftsbereichen tätig. Sie arbeiten als Saisonarbeitskräfte, Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter oder ohne legalen Status.
In Europa arbeiten über 30 Millionen Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter. Seit der EU-Osterweiterung sollen allein bis zu vier Millionen Polinnen und Polen dauerhaft oder vorübergehend in Westeuropa arbeiten. Sie arbeiten in der Gastronomie und Land- und Bauwirtschaft, sie putzen Privathaushalte, erziehen Kinder, pflegen Alte und Kranke. Ohne Arbeitserlaubnis und ohne legalen Aufenthaltsstatus sind sie ausbeuterischen Praktiken von Unternehmerinnen und Unternehmern ausgeliefert. Allein in Deutschland leben nach Schätzungen bis zu eine Millionen Menschen ohne Papiere. Sie haben kaum Möglichkeiten, sich gegen Ausbeutung und Lohndumping zur Wehr zu setzen. Arbeits- und Sozialstandards scheinen für sie nicht zu gelten.
Aufenthaltsrechte werden an den Arbeitsplatz gekoppelt, Illegalisierung und Abschiebung dienen als Mittel der Erpressung. Es findet ein globaler Prozess der Auslese und Hierarchisierung statt, indem verschiedenen Migrationsgruppen jeweils abgestuft soziale und politische Rechte verweigert werden. Das alles erfolgt nicht zuletzt entlang der Bedürfnisse der Arbeitsmärkte in den Industriestaaten. Denn Baustellen, Landwirtschaft und Haushalte sind auf billige, flexible und vor allem fügsame Arbeitsmigrantinnen und –migranten angewiesen. Und im kapitalistischen Profitinteresse werden sie in Konkurrenz gesetzt zu den jeweiligen ansässigen Einwohnern.
Grundprinzip der Migrationspolitik war und ist die rassistische Einteilung und die damit verbundene Abwertung von Menschen nach ihrer ökonomischen „Nützlichkeit". Deutlich wird dies am Begriff „Humankapital". Es geht um Flüchtlingsabwehr und Auslese von Fachkräften und Hochqualifizierten für den „globalen Standortwettbewerb". Die Frage der „Nützlichkeit" wird mit rassistischen Stigmatisierungen und Ressentiments geführt.
Und wie sieht es in der BRD hinsichtlich migrations- bzw. integrationspolitischer Fragen aus?
Für die BRD, in der bisher (mehr oder weniger) soziale Standards verankert waren, läuft ein Prozess der Verstärkung sozialer Ungleichheit. Spiegelbildlich zum außenpolitischen Kahlschlag vollzieht sich ein entsprechender Wandel auch in der deutschen Innenpolitik. Der „nationale Wettbewerbsstaat" wird zunehmend mehr ein „autoritärer Sicherheitsstaat". Die Durchdringung aller Lebensbereiche (Gesundheit, Bildung, öffentliche Dienste usw.) durch das Marktprinzip („Standortpolitik bzw. -logik") legitimieren die vermeintliche Bewertung der Menschen nach ihrer ökonomischen „Nützlichkeit" bzw. „Verwertbarkeit" und die rassistische Ausgrenzung von Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlingen. In der Ausländergesetzgebung (im Zuwanderungsgesetz) zeigt sich dies sehr deutlich. Das Primat der Ökonomie wird vor das Primat der gleichen Rechte gestellt. So ist letztes Jahr eine gesetzliche Regelung für ein Bleiberecht für Menschen mit langjährigem Aufenthalt in der BRD verabschiedet worden. Doch die große Mehrheit der Menschen, die die erforderliche Aufenthaltsdauer von sechs Jahren für Familien und acht Jahren für Alleinstehende erfüllen, hat keine Chance, zu einem verlässlichen Daueraufenthaltsrecht zu kommen. Denn, obwohl sie jahrelang nicht arbeiten durften, müssen sie nun eine Arbeit nachweisen. Da sie aber auch nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren können, bleiben sie weiterhin in ihrem derzeit fast rechtlosen Zustand.
Insgesamt sind die Lebensbedingungen von Asylsuchenden restriktiv ausgestaltet und folgen dem Prinzip der Abschreckung und der Verhinderung gleicher politischer und sozialer Rechte. So ist die „Residenzpflicht" europaweit einzigartig. Diese begrenzt die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden schikanös auf einen sehr engen Raum, zum Teil über Jahre hinweg. Sie führt nicht nur zur Isolation der Betroffenen, sondern infolge strafbewehrter Sanktionen auch zu ihrer Kriminalisierung. Eine Existenzsicherung, die dem Prinzip der Menschenwürde gerecht wird, steht ihnen ebenfalls nicht zu. Sie erhalten Leistungen, die rund 35% unter dem offiziellen Existenzminimum liegen. Viele erhalten nur das „Unabweisbare" (Unterkunft, Kleidung, Hygienebedarf, Ernährung und Krankenhilfe). Selbst dies wird oft nicht sichergestellt, z.B. wenn Menschen obdachlos gemacht oder Leistungen ganz eingestellt werden. Auf menschenunwürdige Weise werden die Leistungen zudem vorrangig als Sachleistungen erbracht.
Das Nicht-Anerkennen von Fluchtgründen im deutschen Asylverfahren und die restriktiven Regelungen im Zuwanderungsgesetz bedeuten für viele Flüchtlinge, dass sie in die Illegalität gedrängt werden. Menschen, die keine gültigen Aufenthaltspapiere besitzen („Illegalisierte"), werden durch die bestehende Gesetzeslage vom Zugang zu Bildung, Arbeit und Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Jeder Schul- oder Krankenhausbesuch kann dazu führen, dass die Behörden von der Illegalität „Wind bekommen". Deswegen werden Krankheiten verschleppt oder Misshandlungen an illegalisierten Frauen nicht thematisiert. Die Illegalisierten müssen ständig ihre „Enttarnung" fürchten. Öffentliche Stellen (Kita’s, Schulen, öffentliche Krankenhäuser) sollen diese Menschen per Gesetz bei der Ausländerbehörde denunzieren. Die dadurch drohende Abschiebung verhindert faktisch, dass Illegalisierte die ihnen zustehenden Rechte in Anspruch nehmen können.
Doch selbst jene Migrantinnen und Migranten, die seit Jahrzehnten in der BRD leben, sind keine gleichberechtigten Mitglieder der Gesellschaft. Ohne deutschen Pass können sie weder an Wahlen teilnehmen, noch dürfen sie jeden Beruf ergreifen. Auch auf kommunaler Ebene dürfen nur Bürgerinnen und Bürger der EU in der BRD wählen. Tagtäglich erfahren Migrantinnen und Migranten, dass sie nicht dazugehören. Das ist auch so gewollt. Damit es so bleibt, wird die Einbürgerung zunehmend erschwert: Durch hohe Gebühren, Verfassungsschutzanfragen, hohe Sprachanforderungen, Einbürgerungstests und die Bedingung, nicht von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II zu leben.
Dabei beschränkt sich die Verweigerung von Rechten nicht nur auf die Migrantionsgeneration selbst. Auch ihre Kinder und Enkel sind in Deutschland, Frankreich oder in den USA von systematischer Diskriminierung betroffen: auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, im Bildungssystem oder beim Wahlrecht. Und alle sind in Gefahr, Opfer von rassistischen Übergriffen zu werden. Durch Nazis oder durch die Polizei. Diese Bedrohungen und Benachteiligungen sind einerseits Ausdruck von Xenophobie und Rassismus, andererseits dienen sie der immer komplexeren Hierarchisierung des Ausbeutungsgefüges.
Die „Prekarisierung" von Migrantinnen und Migranten wird nicht als Teil eines allgemeinen, umfassenden Prozesses gesehen, sondern als „ethnische" bzw. „kulturelle" Frage „problematisiert". So wird ihre politische und soziale Diskriminierung legitimiert. Legitimiert werden dann auch für die Integration angeblich notwenige Sanktions- und Zwangsinstrumente. Die sogenannten Integrationskurse finden für die betroffenen Migrantinnen und Migranten mehr und mehr unter dem Druck sozialrechtlicher Sanktionen und Bußgeldzahlungen statt. In diesem Sinne bedeutet dient der Ruf nach „Integration" als Disziplinierungs- und Diskriminierungsinstrument.
Insgesamt betrachtet ist die Bundesrepublik in der Integrations- und Migrationspolitik in Europa nur Mittelmaß. Das zeigt der Index zu Integration und Migration in Europa, kurz Mipex, ein Projekt des British Council und der Migration Policy Group. Bei einem Vergleich von 27 europäischen Ländern und Kanada belegt Deutschland Platz 14. Auch bei der Ersterhebung des Index zu Integration und Migration in Europa 2004 lag Deutschland im Mittelfeld. Bei einzelnen Indikatoren wie dem Zugang von Migranten zur Staatsbürgerschaft hat sich die Lage hierzulande aber sogar verschlechtert. Nachholbedarf hat die BRD bei der Unterstützung arbeitsloser Migrantinnen und Migranten: Das gelte sowohl beim Weg in die Selbstständigkeit als auch beim Zugang zu neuen Jobs. In so wichtigen Integrationsfragen wie die Bedingungen für ein längerfristiges Aufenthaltsrecht landete die BRD mit Frankreich sogar auf dem drittletzten von insgesamt 28 Plätzen. Beim Staatsangehörigkeitsrecht waren nur noch Österreich und Dänemark schlechter.
Unser alternativer linker Ansatz
Genau diese Rahmenbedingungen muss eine linke Partei in ihrer gesellschaftspolitischen Konzeption generell und zu Migration im Konkreten zum Ausgang ihrer Politik nehmen. In diesem Zusammenhang drückt sich ihr Verhältnis zu freiwilliger und erzwungener Migration im Sinne einer globalen Bewegungsfreiheit aus. Denn wird globale Bewegungsfreiheit als Menschenrecht abgelehnt, akzeptiert man die Notwendigkeit von Modalitäten der Aus- und Einreise, Aufnahme und der Statuszuschreibung in den jeweiligen Ländern und die institutionalisierte Legitimation sozialer Ausgrenzung auf Grundlage rassistischer Argumentation. Anders, bei Anerkennung der globalen Bewegungsfreiheit als Menschenrecht. Dabei geht es um das Aneignen der Bewegungsfreiheit für ein besseres (gutes oder menschenwürdiges) Leben. Dann müssen Problemlösungen jenseits vom klassischen Protektionismus sowie militärischen und polizeilichen Maßnahmen gesucht werden müssen. Ich selbst sehe globale Bewegungsfreiheit als Menschenrecht. Diese Position ist allerdings sowohl in der Bundesrepublik allgemein als auch unter Linken umstritten.
Unumstritten ist in unserem Konzept der Grundsatz: „Alle Menschen sind frei und gleich geboren und mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet." Für uns ist der Mensch das Maß der Migrations- und Integrationspolitik und nicht seine Nützlichkeit bzw. ökonomische Verwertbarkeit. Im Wesentlich geht es uns bezogen auf unsere kurz- und mittelfristige parlamentarische Arbeit um die wirksame Durchsetzung völkerrechtlicher Verträge und internationaler Konventionen zum Schutz von Menschenrechten. Der Schutz vor Diskriminierung ist ein zentrales Anliegen meiner Fraktion und Partei. Die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und der Schutz vor Diskriminierung ist ein allgemeines Menschenrecht, das in zahlreichen Erklärungen und Konventionen auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene anerkannt wurde.
Diesbezüglich sehen wir zwei Ebenen, auf denen wir politische Lösungsvorschläge im Politikfeld Migration und Integration herausgearbeitet haben. Die Eine ist die nach außen gerichtete Ebene. Also alles, was dazu dient Fluchtursachen und Ursachen für erzwungene Migration zu beseitigen. Dazu gehören unsere außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Positionen wie auch die im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Auf diese Ebene möchte ich nachfolgend aber nicht weiter eingehen. Sie sind auch im Integrationskonzept lediglich angedeutet worden.
Die zweite Ebene befasst sich mit internen bzw. nach innen gerichteten Lösungsvorschlägen. Also,
- wie muss und soll mit Menschen umgegangen werden, die in Not sind und die Zuflucht unter anderem in der BRD suchen. Und,
- wie muss und soll mit Menschen umgegangen werden, die sich bereits in der BRD aufhalten und perspektivisch auch weiter aufhalten werden.
Auf beiden Ebenen bricht DIE LINKE. mit dem „Nützlichkeitsprinzip" der anderen Parteien. In der Integrationspolitik setzt meine Fraktion nun auch ein alternatives politisches Konzept entgegen. Darin stellen wir Forderungen auf, die die Voraussetzungen für eine gleichberechtigte politische, soziale und gesellschaftliche Partizipation aller im Land lebenden Menschen schaffen sollen. Neben der Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen für gleichberechtigte politische Partizipationsmöglichkeiten aller Einwohner/innen der Bundesrepublik gilt es entsprechende Rahmenbedingungen für die gleichberechtigte soziale Partizipation herzustellen. Denn rechtliche Gleichstellung bedeutet nicht automatisch gleichberechtigte soziale Partizipationsmöglichkeiten. Denn Bildungsbenachteiligungen, Schwierigkeiten bei der beruflichen Ausbildung oder auf dem Arbeitsmarkt usw. bestehen unabhängig von der Staatsangehörigkeit fort.
Ähnliches gilt für den Erwerb der deutschen Sprache. Dieser wird immer wieder von den anderen Parteien gefordert. Wie erwähnt immer unter Androhung von Sanktionen. Viele Migrantinnen und Migranten beherrschen aber sehr wohl die deutsche Sprache. Trotzdem werden sie im Bereich der Bildung, der Ausbildung und auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. Deshalb ist für uns Sprache nicht Schlüssel für Integration. Kenntnisse der deutschen Sprache sind zwar wichtig, aber nicht ausreichend sind für eine gelingende Integration in die Gesellschaft. Insofern sind wir schon allein deswegen grundsätzlich gegen Sanktionen.
Ich möchte nachfolgend einige zentrale Punkte unseres Konzeptes herausstellen.
Gleichstellung verwirklichen – vor Diskriminierung schützen
Wir sind der Auffassung, dass das aktive und passive Wahlrecht sowie das Recht auf Zugang zu öffentlichen Ämtern nicht von der Staatsangehörigkeit abhängen dürfen. Allen Menschen, die dauerhaft in der BRD leben, müssen das Recht haben, am Kernbereich der politischen Mitbestimmung teilhaben zu können. Und das muss unabhängig davon gelten, wie lange sie bereits in der Bundesrepublik leben. Auch die deutsche Staatsbürgerschaft soll dafür nicht notwendig sein. Schließlich sind alle in der BRD lebenden Menschen nicht nur den Gesetzen, sondern auch den politischen Entscheidungen in dem Land unterworfen. Politische Rechte müssen dort gewährleistet werden, wo der Lebensmittelpunkt der Menschen ist.
Staatsbürgerliche Rechte müssen deshalb entweder wesentlich leichter zugänglich sein oder unabhängig von der Staatsangehörigkeit gewährt werden. Leider gibt es derzeit in der BRD keine Mehrheit für die Forderung: gleiche Rechte für alle, unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Trotzdem kämpfen wir langfristig dafür. Durch die Änderung des Grundgesetzes und des Wahlrechts wollen wir, dass alle Menschen mit einem ständigen Wohnsitz in der Bundesrepublik das Recht zur Teilnahme an Wahlen und Abstimmungen erhalten. Und natürlich wollen wir, dass sie selbst auch gewählt werden können. Als kurzfristiges Ziel sehen wir die Durchsetzung des Wahlrechts für alle auf kommunaler Ebene. Das beseitigt zwar nicht die verschiedenen Diskriminierungen, denen Menschen ohne deutschen Pass ausgesetzt sind, wäre aber ein erster wichtiger Schritt zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für politische Teilhabe und Emanzipation. Hier sind wir zwar auf einem guten Weg, aber noch versuchen die konservativen Kräfte selbst diesen kleinen Schritt zu verhindern.
Somit ist der Erwerb der Staatsangehörigkeit derzeit der einzig mögliche Weg zur vollständigen Rechtsgleichheit. Daher fordern wir radikale Erleichterungen bei der Einbürgerung. Notwendig sind unbürokratische Einbürgerungsverfahren und verkürzte Anwartzeiten. Überhöhe Anforderungen an deutsche Sprachkenntnisse, die Prüfung der „inneren Gesinnung" oder des Staatskundewissens von Einbürgerungswilligen lehnen wir ab. Einbürgerungen müssen unabhängig vom sozialen Status und dem Einkommen der Betroffenen erfolgen.
Die Forderung nach gleichen Rechten ist in unserem Konzept eng verknüpft mit der Forderung nach Schutz vor Diskriminierungen. Denn, wie bereits gesagt: Gleiche Rechte schützen gerade Migrantinnen und Migranten nicht vor Diskriminierungen bspw. bei der Arbeits- und Wohnungssuche. Hier legen wir Wert auf die vollständige Umsetzung von vier EU-Richtlinien. Diese verbieten es, Menschen aufgrund verschiedener individueller Merkmale zu diskriminieren. So wegen der ethnischen Herkunft, aufgrund der Religion oder Weltanschauung, des Alters, einer Behinderung oder der sexuellen Identität. Die weiteren Richtlinien verbieten Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts und Diskriminierung in der Arbeitswelt.
Völlig fehlen Schutzmöglichkeiten vor Benachteiligungen auf Grund der sozialen Herkunft. Dies ist bisher kein Diskriminierungstatbestand. Darüber hinaus wollen wir, dass der Anwendungsbereich des AGG um die Diskriminierungsgründe „Hautfarbe", „Sprache", „Nationalität" sowie „Staatsangehörigkeit" erweitert werden. Hier wird deutlich, dass wir sowohl gleiche Rechte als auch Schutz vor Diskriminierung nicht von Staatsbürgerschaften abhängig machen.
Gleichstellung auch von Flüchtlingen
Natürlich darf es keine Diskriminierung von Menschen geben, die aus verschiedensten Gründen in der BRD Zuflucht suchen. Für uns Linke ist es ein Akt der Solidarität und des Internationalismus, uns an die Seite der Verfolgten und Unterdrückten zu stellen. Solidarität und des Internationalismus darf sich nicht allein darauf beschränken, Menschen vor Ort bei zu stehen.
Deshalb kämpfen wir in der BRD gegen jegliche Sondergesetze für Flüchtlinge im Sozialrecht. Dazu gehört z.B. das Asylbewerberleistungsgesetz. Insbesondere das Asylbewerberleistungsgesetz und Arbeitsverbote führen zur systematischen Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen. Die erzwungene Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen wird dann in diskriminierender Art und Weise zum Vorwand genommen, um vielen von ihnen dann wiederum den Zugang zu einem gesicherten Daueraufenthalt zu verweigern. Wir kämpfen deshalb für eine gesetzliche Regelung, die den Daueraufenthalt weder vom Nachweis einer Erwerbstätigkeit, noch von Sprachkenntnissen etc. abhängig macht. Stattdessen soll der Zugang zu Erwerbsarbeit, zu Aus- und Weiterbildung sowie zum Erlernen der deutschen Sprache entscheidend verbessert und erleichtert werden.
Integration als soziale Frage
Dazu bedarf es aber einschneidender struktureller Veränderungen im Bildungs-, Ausbildungssystem und im Bereich der Erwerbstätigkeit.
So können die Lern- und Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen allgemein, aber vor allem auch der von Migrantinnen und Migranten nur durch strukturelle Veränderungen im Kinderbetreuungs- und Bildungssystem verbessert werden. Deshalb fordern wir eine flächendeckende, umfassende und gebührenfreie ganztägige Betreuung für alle Kinder ab dem ersten bis zum 14. Lebensjahr. Wir wollen es allen sozial benachteiligten Familien ermöglichen, ihre Kinder die Angebote wahrnehmen zu lassen. Die Wahrnehmung der Angebote ist für die Entwicklung der Kinder von zentraler Bedeutung. Denn so können die Kind entsprechend ihrer spezifischen Voraussetzungen und Bedürfnisse gefördert werden. Deshalb ist uns auch der Rechtsanspruch auf eine ganztägige Betreuung für jedes Kind und jeden Jugendlichen so wichtig. Notwendig ist ein flächen- und bedarfsgerechtes ganztägiges Schulangebot.
Immer wieder steht das dreigliedrige Schulsystem der BRD im Zentrum nicht nur der inländischen Kritik. Die frühe Trennung der Bildungswege im Schulsystem ist gerade für Schülerinnen und Schüler aus sozial benachteiligten Migrantenfamilien ein Problem. Sie beenden ihre Schulausbildung doppelt so oft ohne Abschluss und im Durchschnitt mit deutlich niedrigeren Abschlüssen. Internationale Vergleiche belegen die strukturellen Defizite und den Selektionscharakter des deutschen Schulsystems. Wir brauchen ein integratives Schulsystem. Individualität und unterschiedliche Voraussetzungen der Kinder müssen Ausgangspunkt der Pädagogik und individuellen Förderung sein. Für DIE LINKE. ist die Gemeinschaftsschule die favorisierte Schulform. Sie ist den gesellschaftlichen Anforderungen und soziokultureller Pluralität am ehesten gewachsen.
Insgesamt bedarf es eines speziell ausgebildeten pädagogischen Fachpersonals, das durch seine Ausbildung in der Lage ist, Sprachstandards im Alltag zu erfassen und schaffen zu können. Wer also tatsächlich eine bessere Bildung will, muss auch bereit sein, mehr Mittel für Krippen, Kindergärten, Schulen, Hochschulen, berufliche Bildung und die Weiterbildung zur Verfügung stellen. Statt in den Repressionsapparat, sollte die Ausstattung der Schulen verbessert und das Lehr- und Betreuungspersonal qualitativ und quantitativ auf die Notwendigkeiten vorbereitet werden.
Appelle jedenfalls an die Bildungseinrichtungen, die Eltern sowie Kinder und Jugendlichen reichen da nicht. Sie verlagern eher die Verantwortung auf die Betroffenen einer diskriminierenden Politik.
Appelle reichen auch nicht aus, wenn es um die Diskriminierung von Migrantinnen und Migranten im Ausbildungsbereich geht. Denn um so höher der Schulabschluss bei Migrantinnen und Migranten ist, um so weniger haben sie im Verhältnis gesehen, die Chance auf einen Ausbildungsplatz. Eine ausreichende Anzahl von Ausbildungsplätzen verringert den Konkurrenzwettbewerb und trägt damit zur Verbesserung der Chancen von diskriminierten Jugendlichen bei. Da allein Appelle hier nicht mehr ausreichen muss eine branchenbezogene, gesetzliche Ausbildungsplatzumlage eingeführt werden. Mit ihr werden die Lasten zwischen ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben verteilt und zusätzliche Ausbildungsplätze finanziert.
Nur so kann die Situation für jugendliche Migrantinnen und Migranten auch hinsichtlich der Erwerbstätigkeit verbessert werden. Denn die niedrigeren Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse sowie dauernde Diskriminierungen führen bei ihnen zu einer höheren Erwerbs- und Arbeitslosigkeit. Ihre Arbeitslosenquote ist doppelt so hoch wie die der Gesamtbevölkerung. Außerdem haben sie vorwiegend prekäre Arbeitsverhältnisse, die zumeist im Niedriglohnsektor angesiedelt sind. Die Armutsspirale setzt sich entsprechend fort. Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und die überwiegende Beschäftigung im Niedriglohnsektor sind auch die wesentlichen Ursachen für die erhöhte Sozialhilfeabhängigkeit und das höhere Armutsrisiko von Migrantinnen und Migranten.
Verantwortlich sind neben den benachteiligten Zugang zum Arbeitsmarkt, diskriminierende Regelungen. Deshalb fordern wir einen gleichberechtigten Zugang Aller zu Erwerbstätigkeit. Das heißt, die rechtlichen Einschränkungen, die Arbeitsverbote, die Beschränkungen des Arbeitsmarktzugangs und die ausgrenzenden Berufsordnungen sind zu beseitigen. Gleiches gilt für die besonderen ausländerrechtlichen Bestimmungen, die der Aufnahme einer Beschäftigung entgegenstehen: Residenzpflicht, Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und Versagensgründe. Vor allem auch die sogenannte Vorrangregelung erweist sich als diskriminierenden Faktor bei der Arbeitsplatzsuche. Migrantinnen und Migranten, die nicht einem EU-Land staatsangehörig sind, dürfen einen Arbeitsplatz nur annehmen, wenn kein deutscher oder EU-Bürger diese Arbeit ausführen kann bzw. soll. Darüber hinaus dürfen sie nicht zu ungünstigeren Bedingungen als vergleichbare Deutsche beschäftigt werden. Das kommt einem faktischen Arbeitsverbot gleich und zwingt zu illegalisierten Erwerbstätigkeiten.
Von zentraler Bedeutung sind in diesem Zusammenhang unsere Forderung nach Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und die Umwandlung von Mini- und Midijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Gerade MigrantInnen werden im Niedriglohnsektor ausgebeutet. Gerade auch für sie wären dies eine Verbesserung der Erwerbssituation und eine Verhinderung einer Lohnspirale nach unten. Dazu gehört auch unsere Forderung nach gesetzlichen Regelungen zur Änderung der Anerkennungspraxis bei ausländischen Bildungs- und Berufsabschlüssen. Viele eingewanderte Frauen versuchen erst gar nicht, ihre Abschlüsse anerkennen zu lassen. Für sie bedeutet dies dann aber, auf niedrigqualifizierte und damit schlechter bezahlte Jobangebote zurückgreifen zu müssen. Auch für die Ausbildungsberufe fordert DIE LINKE. die Anerkennung von Abschlüssen, um vor allem für Migrantinnen verbesserte Möglichkeiten zu schaffen, ihre mehrjährige Berufspraxis einsetzen zu können.
Die soziale Diskriminierung der Flüchtlinge muss beendet werden. Das Sozialrecht darf nicht zur Abschreckung missbraucht werden. DIE LINKE. will, dass auch Flüchtlinge eine Ausbildung machen können und ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten dürfen. Allen müssen bestehende Eingliederungshilfen wie vom Kinder- und Erziehungsgeld, Hilfen der Arbeitsagentur zur beruflichen Eingliederung, Fortbildung und Umschulung, Wohnberechtigungsschein bis hin zum Deutschkurs, zugänglich sein.
Der Zugang zu sozialen Transfers und Dienstleistungen muss allen möglich sein
Doch selbst die den Migrantinnen und Migranten zustehenden Möglichkeiten der Inanspruchnahme von staatlichen Transfer- und Dienstleistungen, können von diesen nur eingeschränkt wahrgenommen werden. Häufig scheitert dies an fehlendem mehrsprachigen Informationsmaterial, unzureichendem fachlich und sprachlich qualifizierten Personal und mangelhafter sozialer Kompetenz. Wichtig ist für uns aus diesem Grunde, die mehrsprachige Beratung in Rechtsfragen, aber auch zur sozialen und medizinischen, also stationären, ambulanten und psychosozialen, Versorgung. Von zunehmender Bedeutung ist für Migrantinnen und Migranten in der BRD die Aufklärung über Finanzierung von Pflege und Betreuung im Alter.
Aus unserer Sicht sind Gesundheitszentren besonders dafür geeignet. Diese könnten als mehrsprachige Informations-, Beratungs- und Vermittlungsstellen dienen und über die Angebote der Regelversorgung informieren. Sie sollten auch eine Adressensammlung von Angehörigen der Gesundheitsberufe mit Sprachenkenntnissen (Gesundheitswegweiser) anbieten und zumindest über Schwangerschaftsberatung, Geburtshilfe, Mütterberatung, Kleinkinderfürsorge ebenso informieren wie über Sexualität, Drogen, Sexarbeit, Geschlechtskrankheiten.
Zuständig sind für die wichtigsten Handlungsfelder wie Stadtteilarbeit, Erziehung und Bildung, Sozial– und Gesundheitswesen, Kultur und Verwaltung die Kommunen. Sie müssen endlich ihre bestehende Informations- und Angebotsstruktur kommunaler Institutionen der Heterogenität der Gesellschaft und ihren spezifischen soziokulturellen Nachfragebedürfnissen Rechnung tragen. Die Ausbildung besonderer Kompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Institution ist dabei nur ein erster Schritt. Notwendig ist der Abbau bürokratischer Hürden, die Reformierung des Beamtenrechts und der Öffentlichen Verwaltung bzw. Dienste, die Schaffung von Orientierungshilfen wie ein übersichtliches Leitsystems, die Bereitstellung mehrsprachigen Informationsmaterials, die Schulung und Fortbildung des Personals.
Mehrfachdiskriminierung von Migrantinnen beseitigen
In unserem Konzept haben wir nicht nur Forderungen aufgenommen, die der „Prekarisierung" von Migrantinnen und Migranten als Teil eines allgemeinen, umfassenden Prozesses Rechnung tragen. Vielmehr sind wir uns bewusst, dass ein großer Teil der Migration von Frauen stattfindet. Uns ist aber auch bewusst, dass Migrantinnen eben nicht alleine wegen ihres Geschlechts, sondern darüber hinaus auch noch wegen ihrer soziokulturellen und staatsbürgerlichen Herkunft diskriminiert werden. Insgesamt weisen Mädchen und Frauen höhere Bildungsabschlüsse auf als ihre männlichen Vergleichsgruppen. Sie verlassen im Vergleich zu Jungen und Männern die Schule seltener ohne Abschluss, dagegen häufiger mit Realschulabschluss oder Abitur. Doch ihr bildungspolitischer Erfolg schlägt sich nicht nieder. Die Wahrscheinlichkeit, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, ist bei ihnen nur halb so groß wie bei männlichen Jugendlichen. All dies trifft potenziert auf Migrantinnen zu.
Neben der ausbildungs- und arbeitsmarktpolitischen Diskriminierung von Frauen im Allgemeinen, werden Migrantinnen zumeist nur in diskriminierenden Zusammenhängen wie bei Debatten um das Tragen bzw. Nichttragen eines Kopftuchs, um sogenannte Ehrenmorde und Zwangsverheiratungen wahrgenommen. Das führt nicht zu letzt bei Personalauswahlverfahren zu zusätzlichen Vorurteilsstrukturen im Auswahlsystem und bei den Auswahl- und Testverfahren. Die formalen Bildungsabschlüsse sowie die sozialen und sprachlichen Kompetenzen und Ressourcen treten so in den Hintergrund. Die Rechte diskriminierter Migrantinnen müssen im bereits oben erwähnten Allgemeinen Gleichstellungsgesetz gestärkt werden. Sie müssen sich gegen derartige Diskriminierung rechtlich schützen können.
Wir fordern auch in unserem Integrationskonzept eine generelle Abkehr von einem Geschlechtermodell, das Männer als „Ernährer" und Frauen als „Zuverdienerinnen" behandelt. Unbezahlte und bezahlte Arbeit muss zwischen den Geschlechtern gerecht verteilt werden. Ein wichtiger Aspekt dabei, ist unsere Forderung nach einem Rechtsanspruch auf einen elternbeitragsfreien Betreuungsplatz für Kinder aller Altersgruppen und ein entsprechend flächendeckendes Angebot. Auch hier wissen wir, dass gerade die Beitragspflicht für viele sozial benachteiligte Migrantenfamilien dazu führen, dass sie die Kinder zu Hause behalten. Im Regelfall müssen sich dann die weiblichen Familienmitglieder um die Kinderbetreuung kümmern. Damit haben sie kaum Chancen, eine Ausbildung zu machen oder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Zur eigenständigen und selbstbestimmten Lebensführung gehört auch, dass vor allem Frauen eine Gewaltsituation in der Ehe verlassen können. Als Problem erweist sich für viele Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen, dass sie aus Angst vor aufenthaltsrechtlichen Folgen bei ihren gewalttätigen Partnern bleiben müssen. Anderenfalls verlieren sie ihren Aufenthalt und werden in ihre vermeintlichen Herkunftsländer abgeschoben. Wir fordern deshalb eine Verbesserung der aufenthaltsrechtlichen Situation von Migrantinnen. Ins Ausland zwangsverheirateten Frauen muss ihre Rückkehr in die Bundesrepublik ermöglicht werden. Jede Form von Gewalt gegen Frauen muss gesellschaftlich eindeutig tabuisiert und strafrechtlich verfolgt werden. Wichtig ist für uns aber ein differenzierter und wirksamer Schutz im Rahmen der Präventionsarbeit. Aufklärung und Bildung haben dabei einen zentralen Stellenwert. Informationsmöglichkeiten über bestehende Gesetzesgrundlagen müssen verbessert und alle relevanten Berufsgruppen in der Polizei, den Gerichten, Schulen und Kindergärten für die Problematik „männlicher" Gewalt sensibilisiert und geschult werden.
Zum Schluss
Unser Integrationskonzept enthält zahlreiche weitere wichtige Forderungen. Vieles davon hört sich vielleicht für einige unrealistisch an. Doch die formulierten Forderungen, sind die für die wir als sozialistische Partei im Hier und Heute kämpfen und an denen wir zu messen sind. Dabei müssen wir sehr wohl berücksichtigen, wie die gegebenen Kräfteverhältnisse in der BRD sind. Zwischen Analyse und Forderungen, lassen sich aber Brücken vom Heute zum Morgen zumindest erkennen. In diesem Sinne ist das Integrationskonzept handlungsorientierend wirksam, indem es „die Richtung der Veränderung der Wirklichkeit" (Hans Heinz Holz, Thesen über die Zukunft des Marxismus S. 58, in: Zukunft des Marxismus, dialectica minora 10, Köln 1995) weist. Allerdings selbstredend eine sehr europäische und bundesdeutsche Wirklichkeit. Aber wie sagte Karl Marx so treffend im Kommunistischen Manifest: „Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoisie zunächst ein nationaler. Das Proletariat eines jeden Landes muss natürlich zuerst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden."