Wer ist hier der Dumme?

EU-Lateinamerika-Gipfel in Lima

Perus Hauptstadt erlebt einen Gipfel der Kontroversen
Von Olaf Standke

Kurzerhand hatten die peruanischen Behörden den gestrigen Freitag zum Feiertag erklärt, und Tourismusministerin Mercedes Araoz ermunterte die Bewohner der acht Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt, das lange Wochenende zum Verreisen zu nutzen. Während des EU-Lateinamerika-Gipfels hätte die Regierung Lima am liebsten leer gefegt gehabt. Da das schlecht geht, präsentierte man sich martialisch.

95 000 Polizisten und 500 vor allem auf Sprengstoff spezialisierte Spürhunde, Experten für bakteriologische Kriegsführung, Boden-Luft-Raketen, Kampfflugzeuge – das alles soll für die Sicherheit der Delegationen aus 27 EU-Ländern und über 30 lateinamerikanischen und karibischen Staaten sorgen, unter ihnen auch Angela Merkel auf ihrer ersten Lateinamerika-Reise als Bundeskanzlerin.

Aber auch verbal wurde vor dem Gipfel hochgerüstet. Unmittelbar vor Beginn des Treffens am Freitagnachmittag deutscher Zeit erneuerte Hugo Chávez seine Kritik an Merkel: Die deutsche Regierungschefin – die Venezuelas Präsident das Recht abgesprochen hatte, für Lateinamerika zu sprechen – müsse sich »wie eine Staatsfrau« benehmen und dürfe nicht »Pfeile schießend« in die Region kommen. Man darf gespannt sein, wie ein mögliches direktes Zusammentreffen der beiden verlaufen ist: Merkel wie Chávez wollten eigentlich in derselben Arbeitsgruppe auftreten.

Perus Präsident, Gipfelgastgeber Alan García, der sein Land an die USA bindet und erklärter Gegner der Verstaatlichung von Schlüsselindustrien ist, hatte am Donnerstagabend Partei für die Kanzlerin ergriffen. Wer links sei, müsse doch nicht auch »dumm« sein. Er warf den Linksregierungen in Lateinamerika bei einem Wirtschaftsgipfel in Lima vor, nur die »Armut zu verwalten«.

Die linke Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen, die Kanzlerin Merkel (CDU) in Lateinamerika begleitet, unterstützt dagegen »jene emanzipatorischen und sozialen Kräfte, die die Reichtümer endlich gerecht verteilen wollen«. Für sie ist deshalb der Gegengipfel der sozialen Bewegungen in Lima »eine wichtige Gelegenheit, die tragenden Kräfte des sozialen Wandels und ihre alternativen Vorstellungen von einer gerechten Weltordnung kennen zu lernen«.

Wie sie gestern auf der Abschlusskundgebung des Gegengipfels betonte, könne das »europäische Modell« mit seinen starken sozialen Verwerfungen kein Vorbild für Lateinamerika sein. Zumal die EU unverhohlen einen neuen Imperialismus der neoliberalen Globalisierung durchsetze. »Freihandel ist nur ein anderes Instrument, um die weltweite Ausbeutung besser organisieren zu können.« Deshalb auch dränge die EU so sehr auf den Abschluss eines entsprechenden Abkommen mit den Mercosur- und anderen lateinamerikanischen Staaten

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