Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik
Die deutsch-russischen Beziehungen haben einen neuen Tiefpunkt erreicht, als die EU am 2. März neue Sanktionen verhängte. Begründet werden die Strafmaßnahmen gegen Russland mit der Inhaftierung des Oppositionellen Alexej Nawalny. Dabei ist Nawalny selbst wegen seiner nationalistischen und rassistischen Äußerungen höchst umstritten. In Umfragen bei russischen Präsidentschaftswahlen kam er auf fünf Prozent Zustimmung. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International stuft ihn unter Verweis auf frühere Hasskommentare nicht länger als politischen Gefangenen ein, will sich aber weiter für seine Freilassung einsetzen. Von den Äußerungen, die „an der Grenze zur Verteidigung von Hass“ gelegen hätten, habe sich Nawalny nie distanziert, stellt die Menschenrechtsorganisation mit Sitz in London fest. Tatsächlich hat Nawalny in der Vergangenheit auch an rechtsextremen und monarchistischen Aufmärschen teilgenommen.
Prinzipiell doppelte Standards
Mit den Russland-Sanktionen wendet die EU in extremer Weise das Prinzip der doppelten Standards an. Sie legitimiert sie damit, dass die russische Regierung eine Maßnahme des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Strasburg nicht umsetzt. Wenn allerdings das NATO-Mitglied Türkei sich weigert, wie vom EGMR gefordert den inhaftierten Oppositionsführer Selahattin Demirtas freizulassen, muss Ankara keinerlei EU-Sanktionen befürchten. Im Gegenteil, erst jüngst hatte sich Bundesaußenminister Heiko Maas dafür ausgesprochen, die deutschen Rüstungsexporte wie auch die massiven EU-Wirtschaftshilfen für die Türkei fortzuführen. An Russland wird ein Sonderrecht statuiert, offenbar auch mit dem Ziel, die deutsch-russischen Beziehungen zu zerstören. Das ist friedensgefährdend und denkbar geschichtsvergessen.
Vor fast 80 Jahren, am 22. Juni 1941, begann die deutsche Wehrmacht im Rahmen des Zweiten Weltkriegs mit dem Überfall auf die Sowjetunion. Das „Unternehmen Barbarossa“ wurde zu einem beispiellosen Raub- und Vernichtungskrieg. Deutschland trägt auch heute Verantwortung für die faschistischen Verbrechen und die 28 Millionen Menschen, die in der Sowjetunion infolge des Krieges getötet wurden. Insgesamt hat Nazideutschland mehr als 55 Millionen Tote während des Zweiten Weltkrieges zu verantworten. Über 6 Millionen Jüdinnen und Juden sowie 500 000 Sinti und Roma wurden ermordet. Nach der Befreiung vom Faschismus durch die Rote Armee und den Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich waren sich all diejenigen, die ein antifaschistisches Deutschland aufbauen wollten, einig, dass es nach der Verantwortung für zwei Weltkriege keine deutsche Armee mehr braucht und keine deutsche Rüstungsindustrie. Der Schwur von Buchenwald „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ schloss mit ein, dass es keine Wiederbewaffnung geben sollte und keine deutschen Waffenschmieden, die aus dem Tod Kapital schlagen, die Mordgerät in alle Welt exportieren.
Westliche Rüstungskonjunktur
Die Bundesregierung setzt auch im Wahljahr 2021 auf massive Hochrüstungspolitik und Ausweitung der Rüstungsexporte. Ihr Ziel ist es, geopolitisch Einfluss zu nehmen und die deutschen Rüstungskonzerne zu mästen. Allein 2019 hatten deutsche Rüstungskonzerne mit einem Weltmarktanteil von 4,4 Prozent bei den Waffenexporten an fünfter Stelle gelegen. Deutschland gehört zu den Weltmeistern beim Geschäft mit dem Tod und ist führend dafür verantwortlich, weltweit Fluchtursachen zu schaffen.
Am gravierendsten aber ist die Hochrüstungspolitik im Schatten Washingtons. Die USA haben 2020 knapp drei Mal so viel Geld für Rüstung ausgegeben wie ihre großen Rivalen China und Russland zusammen. Mit 738 Milliarden US-Dollar lag das Budget des größten NATO-Landes fast vier Mal höher als das von China mit 193,3 Milliarden Dollar sowie mehr als zwölf Mal höher als das von Russland mit 60,6 Milliarden Dollar. Dies geht aus einer Rangliste des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) in London hervor.
Unter den europäischen NATO-Ländern war zuletzt Großbritannien mit Militärausgaben in Höhe von 61,5 Milliarden US-Dollar die Nummer eins. Es folgen Frankreich mit 55 Milliarden Dollar und Deutschland mit 51,3 Milliarden Dollar. Zusammen geben sie immerhin noch fast Mal drei so viel aus wie Russland.
Große Koalition der Rüstungsfirmen
Und wenn es nach Union und SPD geht, wird Deutschland in wenigen Jahren die ausgabenstärkste Militärmacht in Europa noch vor Russland. Dabei verweisen die Politiker der Großen Koalition auf die politische Selbstverpflichtung der NATO-Staaten, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Aufrüstung auszugeben. Begründet wird dies mit der Frontstellung gegen Russland und mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr.
Zugleich zielt auch der neue Präsident Joe Biden darauf, mit völkerrechtswidrigen Sanktionen Nord Stream 2 zu Fall zu bringen, um teures und dreckiges US-Fracking Gas nach Europa zu exportieren. Die Pipeline soll verhindert werden, um Russland wirtschaftlich in die Knie zu zwingen, dabei ist der wirtschaftliche Schaden durch die Sanktionen in der EU und insbesondere in Deutschland weit größer.
Eines haben die vergangenen sieben Jahre Strafmaßnahmen deutlich gezeigt: Sanktionen führen in Russland nicht zu einer politischen Verhaltensänderung, sondern lediglich zu einem neuen Kalten Krieg, der Frieden und Sicherheit weltweit gefährdet. Ohne Frieden mit Russland kann es keine Sicherheit in Europa geben. DIE LINKE verurteilt die Eskalationspolitik und die Hochrüstungspolitik der Bundesregierung gegen Russland. Vernunft ist, was zählt. Statt Säbelrasseln und Kriegsgeheul, statt deutscher NATO-Soldaten an der russischen Grenze und deutscher Großmannssucht, andere Länder in Europa und der Welt mit Sanktionen Mores zu lehren, brauchen wir eine neue Entspannungspolitik.
Sevim Dagdelen, Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss