„Wir werden die Ermordeten von Sivas nicht vergessen“

30 Jahre nach dem Massaker in Sivas – Rede von Sevim Dagdelen am 2. Juli 2023 in Berlin auf der Gedenkkundgebung der Alevitischen Gemeinde in Deutschland.


Heute vor 30 Jahren zog ein islamistischer Mob vor das Madimak Hotel in der osttürkischen Stadt Sivas und zündete es an. Ziel des Massakers war ein alevitisches Kulturfestival. 37 Menschen wurden ermordet.

Darunter der Volkssänger und Sas-Spieler Muhlis Akarsu aus Sivas. -Ehre seinem Angedenken.

Der Dichter Asim Bezirci aus Erzincan. -Ehre seinem Angedenken.

Der Dichter und Arzt Behcet Aysan aus Ankara. -Ehre seinem Angedenken.

Der Karikaturist Asaf Kocak aus Yozgat, Ehre seinem Angedenken und die Volkssängerin Edibe Sulari aus Erzincan. Ehre ihrem Angedenken.

Der kommunistische Dichter Bertold Brecht hat einmal so treffend gesagt. „Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn keiner mehr an ihn denkt.“ Wir aber sind heute zusammengekommen, um an die Ermordeten von Sivas zu denken.

Und wir sagen heute: Es gibt kein Vergessen und es kein Vergeben, auch weil diese schändliche Tat bis heute nicht gesühnt ist.

Die Mörder von Sivas sind weiterhin auf freiem Fuß. Die Mörder sind unter uns. Allein neun von ihnen haben sich vor der Strafverfolgung in Deutschland in Sicherheit gebracht und sich so ihrer Strafe entzogen. Dieses Unrecht darf nicht andauern. Wir fordern Gerechtigkeit.

Immer wieder fragen mich, Menschen, wie es dazu kommen konnte? Warum haben Bundesregierungen unterschiedlicher Couleur mit Union, SPD, FDP und Grünen die Mörder von Sivas in Deutschland geschützt? Warum schützt auch die jetzige Bundesregierung die Mörder von Sivas?

Dazu muss man wissen, dass der Schutz für diese Täter aktiv betrieben wurde. Als einer von ihnen infolge des Haftbefehls gegen ihn an der deutsch-polnischen Grenze festgesetzt wurde, intervenierte selbst das Auswärtige Amt (Frank-Walter Steinmeier) und setze sich erfolgreich für seine Freilassung ein.

Oft wurde gar spekuliert, dass diese Leute für deutsche Geheimdienste arbeiteten und sie deshalb vom deutschen Staat besonders geschützt wurden, aber das trifft nicht den Kern des Problems.

Wer heute argumentiert, in Verteidigung des schändlichen Verhaltens der Bundesregierung, eine Auslieferung und Strafverfolgung der Täter von Sivas sei rechtlich nicht möglich, der ist entweder schlicht naiv oder sagt wissentlich die Unwahrheit. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte 2019 in einem Gutachten noch einmal festgehalten, dass sowohl eine Auslieferung als auch eine Strafverfolgung durch deutsche Behörden möglich gewesen wäre.

Warum weigert sich also die Bundesregierung bis heute hier irgendetwas zu tun?

Die Antwort liegt auf der Hand. Wie bei vielen anderen Dingen, will man auch hier einem anderen NATO-Partner nicht auf die Füße treten. Daher die Kontinuität des Täterschutzes. Im Militärpakt der NATO, der mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nachweißlich nichts zu tun hat, scheint das Prinzip zu gelten: Eine Krähe hackt einer anderen kein Auge aus. Was ist das für ein Militärpakt, bei dem „brothers in crime“, eine verbrecherische Komplizenschaft gilt? Das braucht wirklich keiner.

In Schweden wurden dieser Tage Bücher verbrannt und zurecht wurde das international verurteilt. Im Land der Bücherverbrennungen kann ich die Kritik des türkischen Präsidenten nachvollziehen und finde es richtig. Aber ich frage von hier aus den türkischen Präsidenten Erdogan: Wieso wird das Verbrennen von Büchern verurteilt, das Verbrennen von Menschen aber nicht?

Und es war ja die AKP-MHP Administration von Erdogan, die überhaupt kein Interesse an einer Strafverfolgung der Mörder von Sivas hatte. Ja, die Verurteilten in der Türkei wurden von ihm selbst begnadigt.

Wir sagen von hier aus: Wir werden diese schmierige Kumpanei niemals akzeptieren! Wir werden zu dieser Schande nicht schweigen! Wir lassen dieser Bundesregierung ihre dümmlichen Rechtfertigungen für den Schutz der Mörder nicht durchgehen.

Auch beim Verbot der faschistischen Grauen Wölfe können wir sehen, wie hier versucht wird, die Öffentlichkeit zu täuschen. Seit drei Jahren gibt es den Bundestagsbeschluss für das Verbot der Grauen Wölfe, der größten rechtsextremistischen Organisation in Deutschland, die auch darauf zielt Aleviten ins Visier zu nehmen. Und seit drei Jahren, seit November 2020, prüft das deutsche Innenministerium dieses Verbot. Ja, wie lange will Frau Innenministerin Faeser denn noch prüfen? Dreißig Jahre lang? Was für eine niederträchtige Farce wird hier aufgeführt.

Wir wollen, dass endlich gehandelt wird! Für weitere Verschleppungen seitens der Bundesregierung fehlt uns jedes Verständnis. Die Mörder müssen vor Gericht.

Wir werden die Toten von Sivas nicht vergessen! Sie sollen weiter leben in unserer Erinnerung!

 

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