Zypern: Nein zum nächsten Angriff auf Sozialstaat und Demokratie
Persönliche Erklärung von Sevim Dagdelen, Fraktion DIE LINKE, nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Antrag zur Bewilligung von Finanzhilfen zugunsten Zyperns:
Herr Präsident! Meine Kollegen und Kolleginnen! Ich habe heute gegen den Antrag der Bundesregierung für Finanzhilfen für Zypern gestimmt, weil es sich schlicht um den nächsten Angriff der Bundesregierung ‑ gemeinsam mit SPD und Grünen ‑ auf Demokratie und Sozialstaat in Europa handelt.
(Beifall bei der LINKEN)
Mit Sozialkürzungen in Zypern sollen wieder einmal Banken und Konzerne gerettet werden ‑ nicht etwa die Bevölkerung in Zypern oder sonst wo.
(Zuruf der Abg. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Selbst bei der Gesundheitsversorgung in Zypern für die Ärmsten der Armen sollen 30 Prozent gekürzt werden. Diese zynische Logik, die bereits in Griechenland, in Portugal und in Spanien nur zu massivem sozialen Elend wie auch zu einer Explosion der Staatsverschuldung geführt hat, soll jetzt in puncto Zypern fortgeführt werden.
Für diese Rettung von Banken werden erneut milliardenschwere Rettungspakete auch mit deutschen Steuergeldern geschnürt. Während die CDU, die CSU, die SPD und die Grünen sowie die FDP die Superreichen mästen, stürzen sie halb Europa ins Elend, meine Damen und Herren.
(Volker Kauder (CDU/CSU): Was?)
Dazu passt, dass die Bundesregierung ihre Informationen über die Kapitalflucht im Vorfeld der Bankenschließungen in Zypern nicht veröffentlicht. Ich frage die Bundesregierung: Wen schützen Sie eigentlich mit dieser Nichtveröffentlichung Ihrer Informationen?
(Beifall bei der LINKEN)
Selbst aus der engeren Familie Ihres konservativen Parteifreundes, des Präsidenten Zyperns, sollen Millionen Euro ins Ausland gerettet worden sein. Während Sie hier vermutlich die kriminellen Parteifreunde in Zypern durch Ihre Informationspolitik decken, haben Sie zugleich mit Ihrer Zustimmung dazu, auch an die Einlagen von Kleinsparern herangehen zu wollen, ein Signal gesetzt, wie Sie Ihre großzügigen Geschenke für die Superreichen in Europa in Zukunft zu bezahlen gedenken.
(Zuruf von der FDP: Ist das eine persönliche Erklärung zum Abstimmungsverhalten?)
Ja, Zypern ist eine Blaupause dafür, dass auch die Spareinlagen unter 100 000 Euro nicht mehr sicher sind.
Gemeinsam mit SPD und Grünen zertrümmern Sie die sozialen Sicherheitssysteme und die Reste sozialer Sicherheit in Europa.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Frau Kollegin, darf ich Sie daran erinnern, dass Sie eine persönliche Erklärung ‑
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Ja.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
‑ zu Ihrem Abstimmungsverhalten vortragen wollten und nicht eine allgemeinpolitische Rede, die die Debatte verlängert?
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Ja. Herr Präsident, wenn Sie erlauben, kann ich auch zu diesem Punkt kommen.
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und FDP ‑ Zuruf von der FDP: Das kann doch nicht wahr sein!)
Das ist die ganz persönliche Erklärung ‑ die Wahrheit ist nämlich das Ganze, meine Damen und Herren ‑: Ich habe heute auch gegen diesen Antrag für Finanzhilfen für Zypern gestimmt, weil diese heutige Abstimmung im Bundestag einen gravierenden Angriff auf die Demokratie darstellt. Wieder einmal werden innerhalb von Tagen milliardenschwere Zusagen getätigt. Das finde ich als Abgeordnete unzumutbar und inakzeptabel.
Die massiven Risiken für den Bundeshaushalt werden gar nicht ausgewiesen, sodass die Abgeordneten hier auch kein ordnungsgemäßes Verfahren absolvieren können. Mit der Troika- und Memorandumpolitik, mit solch einem Verfahren, etablieren Sie eine regelrechte Diktatur in Europa, ja, eine regelrechte Diktatur in Europa: Nicht mehr die von der Bevölkerung gewählten Volksvertreterinnen und Volksvertreter entscheiden über die Wirtschafts-, Sozial- und auch Beschäftigungspolitik, sondern ernannte Kommissionen und Kürzungsbürokratien. Bis ins Detail wird ihnen und auch uns sozusagen vorgeschrieben, wie die Politik auszusehen hat. Das darf so nicht weitergehen, meine Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der LINKEN)
Zu diesen Angriffen auf Demokratie und Sozialstaat gibt es Alternativen. Deshalb habe ich hier heute mit Nein gestimmt. Heute stehen wir solidarisch an der Seite der zyprischen Bevölkerung und sagen: Nein! όχι (Ochi) Und: Hayir! Heute sind wir alle Zyprioten! Σήμερα είμαστε όλοι Κύπριοι (Simera imaste oli Kiprii)! Bugün hepimiz Kıbrıslıyız!
(Beifall bei der LINKEN ‑ Zuruf von der Linken: Bravo!)