Aukus bedroht die Nato

Die Gründung des gegen China gerichteten Militärpakts Aukus durch Australien, Großbritannien und die USA ruft Erschütterungen hervor, die bis nach Europa zu spüren sind. Ganz bewusst wurde den Franzosen bedeutet, dass sie von den USA schlicht nicht mehr ernst genommen werden – und sei es auch nur als Hilfsmacht.

Dabei ist der materielle Verlust des Auftrags für dieselgetriebene französische U-Boote in Höhe von 56 Milliarden Dollar, die Australien nun für atomgetriebene aus den USA abbestellt, vielleicht sogar noch das kleinere Übel für Paris. Vielmehr reift die Erkenntnis auch in Europa, dass US-Präsident Joe Biden in der Außen- und Sicherheitspolitik den Weg seines Vorgängers Donald Trump konsequent fortsetzt: „America First“.

Alle Strategien Frankreichs, Deutschlands und der Niederlande für den Indopazifik sowie die am 16. September 2021 vorgelegte EU-Strategie für den Indischen Ozean und den Pazifik zur Herausforderung Chinas haben hier nicht geholfen. Die USA setzen auf eine harte Konfrontationsstrategie gegen die Volksrepublik. Wer dabei wie Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als nicht 150-prozentig zuverlässig erscheint, darf nicht einmal am Katzentisch von Aukus sitzen.

Der Ruf nach einer eigenen EU-Militärmacht mit der Fähigkeit einer eigenen deutsch-französischen globalen Machtprojektion, der jetzt auch in Deutschland wieder von Regierungspolitikern zu vernehmen ist, scheint dabei mehr als verzweifelt. Selbst wenn weiter massiv aufgerüstet wird – diese EU nimmt militärpolitisch in der Welt schlicht niemand wahr. Es wäre nichts als ein grotesker und gefährlicher Herrschaftstraum verblichener Großmächte, die sich mit der Vereinigung militärischer Kapazitäten den Aufstieg zu neuer Größe erhoffen.

Neben einer Verschärfung des Verhältnisses zu China und einer Verschlechterung der Beziehungen zu den Asean-Staaten, die die Militärpaktgründung – wenn auch nicht so scharf wie Peking – kritisierten, ist das erste Opfer der US-Operation die Nato selbst. Washingtons Prioritäten wandern vom Nordatlantik in den Indopazifik. Nicht Russland, sondern China erscheint in der Logik einer um Platz 1 kämpfenden Großmacht als der neue Hauptfeind.

Man muss die Nato nicht als „hirntot“ bezeichnen, wie es einst der französische Präsident tat, aber die schleichende Desintegration des Militärpakts ist nicht länger zu leugnen. Rund 60 Prozent sind für einen Ausschluss der Türkei, keine 20 Prozent wollen Erdogan weiter in der Nato halten. Auch der Kern der Nato, die Bündnisverpflichtung nach Artikel 5, hat hierzulande längst keine Mehrheit mehr – weder im Fall bewaffneter Auseinandersetzungen der baltischen Staaten noch der Türkei.

Mit dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien 1999 hatte die Nato nach dem Ende des Kalten Krieges versucht, sich eine neue Legitimation zu verschaffen. Doch nach der Kapitulation der Nato in Afghanistan, die alleine in Washington entschieden wurde, ist auch dieser blutige Versuch in sich zusammengebrochen. Die USA haben verstanden, dass die Nato nicht für die eigenen Weltordnungskriege taugt.

Es scheint eine deutsche Spezialität, am Tage einer bevorstehenden Beerdigung noch einmal von Herzen kommende Bekenntnisse einzufordern. Während Paris vor dem Austritt aus den militärischen Strukturen der Nato steht, wie es in Deutschland bislang allein die Linke fordert, spielt man in Deutschland immer noch die Nibelungen, wie der Dramatiker Heiner Müller es einmal treffend formulierte, in der Beschwörung der Treue zu einem untergehenden Konstrukt.

Ein französischer Austritt aus den militärischen Strukturen der Nato würde die westliche Militärallianz weiter ins Abseits stellen. Die Auflösung der Nato würde den Raum freimachen für ein System der globalen gegenseitigen Sicherheit unter Einschluss von Russland und China.

Angesichts der globalen Herausforderungen im Kampf gegen Armut, bei der Sicherung der Gesundheitsversorgung und beim sozialen Klimaschutz können wir uns die 2014 in der Nato beschlossene Hochrüstungspolitik schlicht nicht mehr leisten. Die Bundesregierung hat dieses Jahr über 53 Milliarden Euro an Militärausgaben nach Brüssel gemeldet. Beim Festhalten am Zwei-Prozent-Ziel steht eine Steigerung auf 85 Milliarden Euro an.

Für einen starken Sozialstaat in Deutschland ist der schnelle Abschied von der Nato die Luft zum Atmen. Ein System globaler gegenseitiger Sicherheit könnte die Weichen in Richtung Abrüstung und Deeskalation stellen. Dann könnten wir endlich mehr in Schulen und Krankenhäuser investieren statt in Kriegskorvetten und Luftkampfsysteme.

Sevim Dagdelen ist Linken-Bundestagsabgeordnete und Obfrau ihrer Fraktion im Auswärtigen Ausschuss.

Quelle: Frankfurter Rundschau


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