Mandat der Heuchelei
Von Sevim Dagdelen
Mit der Vorlage des Mandats für einen neuen Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan geht es Union und SPD allein darum, den Bundestag für den verheerenden 20jährigen NATO-Krieg am Hindukusch in Haftung zu nehmen. Über Wochen und Monate hat die Bundesregierung eine rechtzeitige Rettung gefährdeter Personen hintertrieben. Nach dem Eintreffen von US-Soldaten und Bundeswehr am Flughafen Kabul wurde die zivile Evakuierung mit Charterflügen und zahlreichen Linienmaschinen gestoppt. Sowenig wie es beim Versuch der Legitimierung des NATO-Krieges um Frauenrechte und Demokratie ging, sowenig geht es heute tatsächlich darum, Menschen zu retten. Wer nicht zur unmittelbaren Kernfamilie der Ortskräfte gehört, wird zurückgelassen. Ginge es um Humanismus, so müsste die Bundesregierung den 14 Millionen Afghanen helfen, die vom Hunger bedroht sind, statt anzukündigen, die Entwicklungshilfe zu versagen. Mit der militärischen »Hilfsaktion« soll das ganze, vom Westen aus finsteren geopolitischen Motiven in Afghanistan angerichtete Desaster überdeckt werden. Auf Nachfrage wollte Außenminister Heiko Maas im Auswärtigen Ausschuss nicht einmal ausschließen, dass am Flughafen auf Geflüchtete geschossen werden könnte.
Die Bundesregierung, aber auch FDP und Grüne wollen so weitermachen wie bisher. Die gescheiterte Logik der US-Rohstoffkriege von Afghanistan über Irak bis Libyen soll fortgeschrieben werden. Und so muss man kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass die Linke-Anträge auf einen Stopp aller Auslandseinsätze und der Rüstungsexporte in den Vorderen Orient, insbesondere nach Pakistan, breit abgelehnt werden. Hamid Gul, ein ehemaliger General des pakistanischen Militärgeheimdienstes ISI, über den die Unterstützung für die Taliban lief, hatte einmal treffend zum Krieg in Afghanistan gesagt: »Wir haben die Sowjetunion mit Hilfe der Amerikaner besiegt, und jetzt besiegen wir die Amerikaner mit Hilfe der Amerikaner.« Die Bundesregierung hat an Pakistan allein in dieser Legislatur Waffen für nahezu 300 Millionen Euro geliefert. Man kann in Anlehnung an Gul sagen, Deutschland wurde in Afghanistan mit Hilfe der Deutschen besiegt.
Dem durchsichtigen und plumpen Versuch, die Logik der »humanitären Intervention« trotz ihres blutigen Scheiterns wiederzubeleben, muss eine klare Absage erteilt werden. Auch da sich ein Großteil der Gefährdeten außerhalb Kabuls befindet, bleibt für eine großangelegte Evakuierung nur der Weg der Verhandlungen mit den Taliban. Sollte dagegen der Kabul-Einsatz des KSK in einem »Black Hawk Down«-Moment enden, wäre das Ergebnis ein neuer Afghanistan-Krieg. Auch da sich die Stimmen in den USA und Großbritannien mehren, über den 31. August hinaus und gegen den Willen der Taliban zu bleiben, spricht alles gegen eine Generalermächtigung der Bundesregierung für einen neuen Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr.
Sevim Dagdelen ist Obfrau der Fraktion Die Linke im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags
Quelle: junge welt