Schluss mit der Hilfe für den Despoten in Ankara
Die Türkei bleibt auf unbestimmte Zeit ein Land im Ausnahmezustand. Das hat Staatschef Recep Tayyip Erdogan in dieser Woche noch einmal bekräftigt. Die Verfolgung von Andersdenkenden, Oppositionspolitikern, Kritikern des autokratischen Präsidenten dauert an. Während Erdogan seine Anhänger aufruft, in dieser Woche auf Straßen und Plätzen im ganzen Land mit »Demokratiewachen« an den Putschversuch vom 15. Juli 2016 zu erinnern, lässt er weiter Wissenschaftler, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten unter hanebüchenen Vorwänden verhaften und wegsperren, darunter zuletzt den Deutschen Peter Steudtner, der bei einem Workshop für Menschenrechtler in Istanbul festgenommen wurde. In der Nacht zum Sonntag schließlich will der Präsident mit einer Ansprache in der türkischen Nationalversammlung in Ankara an die Putschnacht und das Bombardement des Parlamentsgebäudes vor einem Jahr erinnern. Abgeordnete der größten Oppositionspartei CHP und der prokurdischen HDP sind zu der Gedenkveranstaltung ausdrücklich nicht eingeladen. Erdogan spricht vor den Seinen. Von den Minaretten der Moscheen lässt er derweil einen besonderen Gebetsaufruf erklingen.
Der Despot weitet mit jedem Tag seinen Machtbereich aus und schürt ein Klima der Angst. Erdogan baut das NATO-Land um zu einem islamistischen Unterdrückungsstaat. Die Türkei ist »zentrale Aktionsplattform« für islamistische Terrorgruppen im Nahen und Mittleren Osten geworden, räumte die Bundesregierung im August 2016 ein, kurz nach dem vereitelten Militärputsch also. Klare Konsequenzen ziehen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Vize Sigmar Gabriel bis heute nicht. Im Gegenteil: Die deutschen Waffenexporte in die Türkei florieren, der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall will Erdogan vor Ort eine Panzerfabrik errichten. Und obwohl die Zustände in der Türkei in Sachen Menschenrechte und Pressefreiheit immer schlimmer werden, will die EU die Beitrittsgespräche mit Ankara nicht suspendieren. In der Folge erhält Erdogan weiter jährlich 630 Millionen Euro an Hilfsgeldern aus Brüssel – jeder fünfte Euro davon kommt von deutschen Steuerzahlern.
Der schäbige Merkel-Erdogan-Pakt hat Deutschland und die EU erpressbar gemacht. Der türkische Staatspräsident wurde auf Betreiben der Bundesregierung für sechs Milliarden Euro als Türsteher Europas angeheuert. Der Deal hat die Flüchtlingskrise freilich nicht gelöst, sondern nur verlagert. Schlimmer noch: Mit Waffenlieferungen etwa an den Terrorpaten in Ankara und die Kopf-ab-Diktatoren in Saudi-Arabien, die islamistische Mörderbanden etwa in Syrien unterstützen und den Jemen in Schutt und Asche bombardieren, schafft die Bundesregierung immer weitere Fluchtursachen.
Bei aller Kritik an Erdogan machen sich in Deutschland neben der Bundeskanzlerin auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz und die FDP für eine Erweiterung der EU-Zollunion mit Ankara stark. Sie soll auf Dienstleistungen, öffentliche Auftragsvergabe und landwirtschaftliche Produkte ausgedehnt werden. Für Erdogan wäre die Hilfe durch die Hintertür ein wichtiges politisches Stützkorsett. Die Linkspartei fordert dagegen einen radikalen Kurswechsel in der deutschen Türkeipolitik. Das heißt klare Kante gegen den Despoten, aber helfende Hände für die verfolgten Demokraten.
Und auch innenpolitisch brauchen wir einen radikalen Kurswechsel. Die Zusammenarbeit der deutschen Sicherheitsbehörden mit dem türkischen Repressionsregime muss beendet werden. Nach dem G-20-Gipfel verdichten sich die Hinweise, dass die Bundesregierung auf einen Wink aus Ankara Journalisten die Akkreditierungen entzogen hat. Dieser Angriff auf die Pressefreiheit in Deutschland muss lückenlos aufgeklärt werden. Die Bundesregierung darf nicht länger zulassen, dass Erdogans langer Arm bis nach Deutschland greift und der Despot hier ebenfalls Andersdenkende einschüchtert, Desintegration befördert und ein Klima der Angst verbreitet. Das Netzwerk aus Schlägertrupps, Agenten, Lobbyorganisationen wie der UETD und dem Moscheeverband DITIB mit seinen Spitzelimamen muss zerschlagen werden. Erdogan ist kein Partner, sondern ein Despot.
Sevim Dagdelen ist Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke für internationale Beziehungen und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses
Quelle: junge Welt