Sea Guardian: Nein zur Panzerkreuzerpolitik der NATO im Mittelmeer!
Rede am 22. September 2016 anlässlich des Antrags der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der NATO-geführten Maritimen Sicherheitsoperation SEA GUARDIAN im Mittelmeer (Drucksache 18/9632)
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Verehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vor wenigen Wochen veröffentlichte eine parlamentarische Untersuchungskommission in Großbritannien einen Bericht zum NATO-Einsatz, zum NATO-Krieg in Libyen, zu den Folgen und der Verantwortung der britischen Regierung bei diesem Einsatz. Dieser Untersuchungsbericht des britischen Parlaments kam zu dem Schluss, der Krieg der NATO habe dazu geführt, dass der „Islamische Staat“ weite Teile des Landes übernehmen konnte. Die sonstigen Folgen seien der politische und wirtschaftliche Zusammenbruch des Landes, Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen, eine Flüchtlingskrise und der unkontrollierte Umlauf von Waffen des Regimes gewesen. Zudem sei das Völkerrecht gebrochen worden.
Nun gibt die NATO mit der neuen Mission vor, das von ihr angerichtete Unrecht in Libyen lindern zu wollen. Aber mit neuen Militäreinsätzen wie Sea Guardian werden sich die NATO und auch die Bundesregierung noch stärker als in der Vergangenheit im libyschen Bürgerkrieg, der eben Folge dieser erwähnten NATO-Intervention war, engagieren. Nachdem man sozusagen eine Katastrophe angerichtet hat und es jetzt lichterloh in Libyen brennt, versucht man, das Ganze mit Benzin zu löschen. Das ist keine Strategie für den Frieden, sondern eine Ausweitung der Kriegszone. Das kann zu einem Flächenbrand führen. Im Englischen gibt es ein schönes Wort für das, was Sie hier anrichten. Es heißt „quagmire“, „Schlamassel“ auf gut Deutsch. Jeder vernünftige Mensch dürfte dieser Strategie des Schlamassels nicht zustimmen. Deshalb wird die Linke diesem Einsatz nicht zustimmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Dieser Einsatz soll zudem in Kooperation mit den Mittelmeeranrainerstaaten – zwar nur auf deren Anfrage hin, wie es in Ihrem Antrag heißt – dem Ausbau von militärischen Kapazitäten durch Ausbildung und gemeinsame Übung dienen. Das heißt, Mittelmeeranrainerstaaten sollen unter Anleitung der NATO offenkundig militärische Operationen durchführen, um die NATO-Streitkräfte zu entlasten. Auch hier setzen Sie offenbar darauf, Despoten, Warlords und Autokraten am südlichen Mittelmeer aufzurüsten. Das kann wirklich nicht Ihr Ernst sein. Sie sollten doch aus dem Libyen-Krieg gelernt haben. Wir lehnen diesen Einsatz deshalb ab, denn er wird zu einer Eskalation führen.
(Beifall bei der LINKEN)
Auch bei der Kooperation zwischen diesem Einsatz und dem Einsatz EUNAVFOR MED geht es der NATO nicht nur um die Kontrolle von Flucht- und Handelswegen im Mittelmeer. Sie ist daran nicht nur beteiligt, sondern sie wird auch militärisch vor der libyschen Küste involviert sein. Das Mandat der Operation Sea Guardian ist sowohl räumlich als auch thematisch äußerst breit gefasst. Offiziell soll es dazu dienen, das gesamte Mittelmeer zu überwachen und damit Waffen- und Menschenschmuggel und Terrorismus einschließlich des „Islamischen Staats“ einzudämmen. Dies ist allerdings vor dem Hintergrund, dass die Konfliktparteien in Libyen nach wie vor von NATO-Staaten mit Waffen beliefert werden, nicht nur grotesk, sondern das lässt auch darauf schließen, dass es eigentlich darum gehen soll, selbst zu kontrollieren, dass die Waffen in die Hände der mit den NATO-Staaten verbündeten Warlords und Milizen in Libyen gelangen.
Angesichts dieser Militarisierung des Mittelmeeres hielt es die Bundesregierung noch nicht einmal für nötig, den Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die schließlich schon nächste Woche in einer namentlichen Abstimmung über diesen Einsatz abstimmen sollen, den Operationsplan zur Verfügung zu stellen. Dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, scheint bei dieser Bundesregierung offenbar völlig in Vergessenheit geraten zu sein. Jedenfalls scheinen Sie es als überflüssig zu erachten, den Abgeordneten diesen Operationsplan zu geben und uns Abgeordnete ordnungsgemäß zu informieren. Ich halte es wirklich für einen Skandal, dass die Abgeordneten dieses Hauses über etwas abstimmen sollen, was den Abgeordneten nicht vorliegt.
(Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Geheimschutzstelle! – Gegenruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist nicht da!)
Ich finde, Parlamentarismus ist etwas anderes.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir haben als Fraktion die ganze Woche nach diesem Operationsplan gefragt. Er stand uns nicht zur Verfügung,
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)
und er steht auch bis zur abschließenden Beratung in der nächsten Woche nicht allen Abgeordneten zur Verfügung. Aber alle Abgeordneten dieses Hauses müssen über diesen Einsatz abstimmen. Ich halte diese Informationspolitik der Bundesregierung für nicht haltbar, meine Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das sollten auch Sie als Parlamentarier vor dem Hintergrund Ihres Parlamentsverständnisses als nicht akzeptabel ansehen.
(Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Papperlapapp! – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Sie werden es doch so oder so ablehnen!)
Sie sollten als Abgeordnete dafür eintreten, dass Abgeordnete ordnungsgemäß informiert werden, und zwar alle Abgeordneten, meine Damen und Herren, und nicht nur diejenigen, die den Regierungsfraktionen oder irgendwelchen Ausschüssen angehören.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin.
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Letztendlich müssen alle Abgeordneten hier namentlich abstimmen.
Auch vor diesem Hintergrund halten wir diesen Antrag für nicht zustimmungsfähig.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)