Auswirkungen der angestrebten Zypern-Lösung mit zwei gleichberechtigten Inselteilen auf die EU

Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass bei der angestrebten Zypern-Lösung durch einen föderalen Staat mit zwei gleichberechtigten Bundesländern, die sich weitgehend selbst verwalten, Entscheidungen, die beide Insel­teile betreffen, nur gemeinsam getroffen werden können, da beide Seiten ein Vetorecht besitzen, wodurch die türkischen Zyprer wichtige Entscheidungen beim EU-Mitglied Zypern mitbestimmen könnten, und inwieweit teilt die Bundesregie­rung die Auffassung, dass damit der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan künftig einen Fuß in Brüssel hätte, was erhebliche Folgen für die Entscheidungen der gesamten EU hat, in denen – wie vor allem in außen- und finanzpolitischen Fragen – meistens Einstimmigkeit erforderlich ist (www.welt.de/politik/ausland/article160986185/Die-Angst-Europas-vor- Erdogans-trojanischem-Pferd.html)?

Herr Staatsminister, Sie haben wieder das Wort.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Dağdelen, die Bundesregierung unterstützt mit Nach­druck den Prozess und die Verhandlungen über die Wie­dervereinigung Zyperns. Das wäre nicht nur ein Erfolg für die Menschen auf Zypern, die seit vielen Jahrzehnten in einem geteilten Land leben, das wäre auch ein gro­ßer Erfolg und ein großer Fortschritt für ganz Europa. Das wäre selbstverständlich auch ein Fortschritt für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei und für die Stabilität in der östlichen Mittelmeer­region.

Die Zypern-Verhandlungen haben in der vergangenen Woche in Genf eine wichtige Zwischenetappe erreicht. Erstmals geht es um die sensibelsten Fragen – das betrifft die Garantie- und Sicherheitsbelange –, und die werden nicht nur zwischen den beiden Seiten Zyperns verhan­delt, sondern unter Einbeziehung der drei sogenannten Garantiemächte Großbritannien, Griechenland und Tür­kei.

Konkrete Ergebnisse zu den verfassungsrechtlichen Regelungen, insbesondere zur Ausgestaltung der Außen­politik einschließlich der Europapolitik, liegen bisher noch nicht vor. Aber wir gehen selbstverständlich davon aus, dass in außen- und europapolitischen Fragen beide Seiten – wenn es sich um ein föderales System handeln sollte – an der Willensbildung beteiligt werden.

Ich selbst habe den Führer der türkischen Zyprer Mustafa Akinci kennengelernt. Er ist im April 2015 mit großer Mehrheit zum Volksgruppenführer gewählt worden. Sowohl Umfragen als auch die proeuropäische Orientierung der türkisch-zyprischen Bevölkerung las­sen erwarten, dass sich ein möglicher zukünftiger tür­kisch-zyprischer Teilstaat sehr konstruktiv in Europa ein­bringen wird. An darüber hinausgehenden Spekulationen möchte ich mich nicht beteiligen, weil auch wir nur da­rüber zu spekulieren vermögen, was der demokratische Willensbildungsprozess am Ende mit Blick auf Wahler­gebnisse konkret bedeutet.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn:

Vielen Dank. – Frau Dağdelen.

Sevim Dağdelen (DIE LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatsminister Roth, Sie haben richtigerweise auf die Bestrebungen und das Ziel der Vertreter des türkisch besetzten Teil Zyperns, Herr Akinci und Co., hingewiesen. Das ist ja auch richtig. Aber in meiner Frage geht es um etwas anderes, nämlich um die Komplexität der Situation, die daraus resultiert, dass die Türkei Garantiemacht im nördlich besetzten Teil Zyperns wäre. Deshalb würde ich angesichts der etwas aktuelleren Berichtslage in Bezug auf die Einigung der türkisch-zypriotischen Gemeinschaft gerne wissen: Wel­chen Einfluss hätte die Türkei Erdogans – es geht ja in schnellen Schritten in Richtung Ein-Mann-Diktatur/Prä­sidialsystem – nach einer Einigung als Garantiemacht auf die Politik der Europäischen Union? Darum geht es ja.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Ich habe, Frau Präsidentin, Frau Abgeordnete Dağdelen, deutlich gemacht, dass ich mich an solchen Spekulationen nicht beteiligen möchte. Ich bitte darum, keine Signale auszusenden, die einen möglichen Zwei­fel daran aufkommen lassen, dass die Bundesrepublik Deutschland ein allergrößtes Interesse an einem erfolg­reichen Abschluss der Verhandlungen über die Wieder­vereinigung Zyperns hat. Es ist eines der wichtigsten und bedeutsamsten Projekte, mit denen wir es derzeit in Europa, weit über die Europäische Union hinaus, zu tun haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mit einem wie­dervereinigten Zypern vieles besser und nichts schlechter wird.

Derzeit habe ich überhaupt keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass ein wiedervereinigtes Zypern, was selbst­verständlich auch Mitspracherechte des türkisch-zypri­schen Teils in der Europapolitik mit sich bringt, dieses Mitspracherecht sehr verantwortungsbewusst nutzen wird. Das haben mir meine bisherigen Gespräche ge­zeigt.

Es geht ja jetzt, Frau Abgeordnete Dağdelen, vor al­lem darum: Wie werden die derzeitigen Aufgaben der drei sogenannten Garantiemächte in eine völlig neue Struktur überführt? Das ist einer der heikelsten Punkte. Dabei geht es beispielsweise auch um die Militärpräsenz.

Am Ende des Tages muss ein Verhandlungsergebnis vorliegen, das sowohl den Sicherheitsinteressen des tür­kisch-zyprischen als auch des griechisch-zyprischen Be­völkerungsanteils angemessen Rechnung trägt. Wir ha­ben doch unsere eigenen bitteren Erfahrungen gemacht.

Wenn am Ende ein Ergebnis auf dem Tisch liegt, das in Referenden nicht von der Mehrheit der Bevölkerung auch als großer Fortschritt anerkannt wird, dann wird das ein großes Problem. Ohne Zustimmung wird dieses Pro­jekt abermals scheitern. Ich habe jedoch keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass der türkisch-zyprische Teil in ei­nem vereinigten Zypern mit seinem Mitspracherecht sehr verantwortungsbewusst umgehen wird.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn:

Vielen Dank. – Frau Dağdelen.

Sevim Dağdelen (DIE LINKE):

Es mag ja sein, dass der türkisch-zypriotische Teil verantwortungsbewusst damit umgeht, Herr Staatsminis­ter – Ihre Euphorie über die eventuelle Wiedervereini­gung Zyperns in allen Ehren –, aber man sollte trotzdem versuchen, eine vorausschauende und rationale Politik zu machen.

Die Überlegung ist doch: Wie würde sich in einer künftigen Verfassung des wiedervereinigten Zyperns der garantierte Einfluss der Republik Türkei auswirken, auch was die zyprische Haltung im Hinblick auf die Türkeipo­litik der Europäischen Union angeht? Mir geht es darum, herauszufinden – die Papiere liegen ja schon auf dem Tisch –: Inwieweit ist der Einfluss Bestandteil der Ver­fassung eines wiedervereinigten Zyperns? Das ist unab­hängig von der türkisch-zypriotischen Vertretungsmacht, vielmehr versucht die Garantiemacht Türkei, dort ihren Einfluss zu sichern.

Ich wünsche mir, auch wenn Sie jetzt keine Antwort darauf haben, dass die Bundesregierung auf diese Dinge achtet; ich möchte nur das Stichwort „Wallonie“ nennen.

Danke.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn:

Herr Staatsminister.

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt:

Frau Präsidentin, Frau Dağdelen, ich habe mich schon einmal über eine Wiedervereinigung gefreut, und ich werde mich auch über diese Wiedervereinigung freuen. Das kann ich Ihnen versichern – nicht nur, weil ich es toll finde, weil ich an einer Grenze groß geworden bin, sondern weil ich sehe, was für ein unendlicher Gewinn das für die Menschen auf der geteilten Insel ist, und auch, wie wir von einem Stückchen mehr Sicherheit profitie­ren.

Die Fragen, die Sie skizziert haben, sind ja sehr ernst zu nehmen. Denn – ich will das noch einmal wiederho­len – am Ende des Tages müssen sowohl die griechischen Zyprer als auch die türkischen Zyprer den Eindruck ha­ben, ihre Sicherheit, ihre Freiheit und ihre Demokratie seien gesichert. Am Ende des Tages vermag ich mir kei­nen Erfolg vorzustellen, der eine wie auch immer speku­lierte Dominanz der Türkei beinhaltet. Das wird so nicht kommen.

Der heikelste Aspekt ist ja gerade die Frage, welche Rolle die Garantiemächte spielen. Dabei geht es auch um den Rückzug von Militär. Aber Deutschland ist an diesen Verhandlungen nicht aktiv beteiligt. Unter der Aufsicht der Vereinten Nationen führen die beiden Seiten in eige­ner Verantwortung und in einem engen Dialog mit den drei Garantiemächten die Verhandlungen, die hoffentlich in einem erfolgreichen Abschluss münden werden.

Es stimmt: Ich bleibe nach wie vor optimistisch, weil ich am Ende nur Chancen sehe. Ich hoffe natürlich, dass am Ende das Ergebnis für beide Seiten stimmt und ent­sprechende Mehrheiten erzielt werden können.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Blauäugig!)

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