„Europa muss Druck machen“

Baden-Baden: Die abrüstungspolitische Sprecherin der Linken, Sevim Dagdelen, fordert von Deutschland und Europa mehr Engagement, um den INF-Vertrag zu erhalten. Im SWR Tagesgespräch sagte Dagdelen, „Europa muss mehr Druck machen, auf beide Seiten.“ Auch wenn der Vertag heute von USA gekündigt werde, gebe es noch sechs Monate, um ihn zu retten. Dagdelen hat allerdings keine großen Erwartungen. Weder sehe sie von den Vertragspartnern ausreichend Interesse, noch gebe es genug Initiative von Seiten Europas.

Die Linken-Politikerin verlangt, dass sich Europa für eine unabhängige Überprüfung der gegenseitigen Vorwürfe zwischen Russen und Amerikanern einsetzt. Dagdelen sagte im Südwestrundfunk: „Dieser Vertrag ist die Sicherheitsgarantie für Europa gewesen.“ Er habe verhindert, „dass Europa ein atomares Schlachtfeld wird.“ Hier habe die deutsche Außenpolitik jämmerlich versagt. Man könne sich nicht als Vermittler anbieten und auf der anderen Seite kritiklos die US-Positionen übernehmen.

Im SWR fordert Dagdelen, dass Deutschland ein eigenständiges Signal setzt. Zum Beispiel könne Deutschland mit anderen europäischen Ländern klarstellen, dass man einer weiteren Stationierung von US-Atomwaffen in Europa nicht zustimmen werde. Außerdem solle Deutschland dafür eintreten, dass die hier stationierten US-Atomwaffen von deutschem Boden abgezogen würden. Das sei dann ein glaubhaftes Signal an die USA und Russland. Deutschland müsse klarstellen, dass man kein Interesse habe, dass eine Seite gewinne. Gewinnen müssten die Menschen in Europa. Dafür brauche es ein strategisches Gleichgewicht.


Meinhardt: Bisher haben die Gespräche zum INF-Vertrag zwischen Russland und den USA keine Fortschritte gebracht. Wie groß sehen Sie denn die Chance, den Vertrag doch noch zu retten?

Dagdelen: Nun also ich sage ja immer, Hoffnung stirbt zuletzt und wir haben ja eine Kündigungsfrist von sechs Monaten und wenn die USA jetzt offiziell heute erklären, dass sie rausgehen, dann haben wir immer noch sechs Monate, um da etwas zu machen. Allerdings muss ich Ihnen auch sagen, meine Erwartungen sind da auch gedämpft, weil ich nicht besonders sehe, dass da ein großes Interesse besteht, den Vertrag zu erhalten und von Europa auch nicht große Initiativen sehe.

Meinhardt: Was müsste denn Ihrer Meinung nach passieren?

Dagdelen: Ja im Moment ist es ja so, dass es beiderseitige Vorwürfe der Vertragsuntreue gibt und das damit einhergehende Misstrauen zwischen den USA und auch Russland. Die bezichtigen sich gegenseitig der Verletzung des INF-Vertrages und die Angaben beider lassen sich aber nicht unabhängig verifizieren. Ich habe beispielsweise die Bundesregierung oft gefragt, ob sie eigene Erkenntnisse hat, Verletzungen dieses Vertrages beispielsweise durch Russland, weil die USA das ja immer wieder behaupten, und die Bundesregierung hat keine eigenen Erkenntnisse, es gibt die Erkenntnisse von anderen, ist natürlich damit abhängig von den Erkenntnissen von anderen, und sagt nur, ja wir kommen zu diesem Schluss. Aber Fakten, Belege, Beweise sind da nicht da. Allerdings muss ich sagen, während Moskau jedoch zumindest politisch die Wichtigkeit dieser Abrüstungsarchitektur anerkennt, stellt ja die TrumpAdministration zur selben Zeit ganz offen auch andere wichtige Verträge zur Disposition, wie zum Beispiel das New START-Abkommen, das ja wahrscheinlich 2021 zu scheitern droht. Insofern finde ich, muss man dieses Verifikationsproblem angehen, und da verstehe ich wirklich nicht, warum die Verifikationsinstrumente nicht genutzt werden im Moment.

Meinhardt: Aber da muss man natürlich auch sagen, dass die Russen unter Umständen diese Überprüfung auch nicht zulassen. Also Sie haben es ja gesagt, die Vorwürfe gibt es von beiden Seiten und beide Seiten sind offenbar nicht ganz hoffnungsvoll, diesen Vertrag zu erhalten, weil sie es beide auch nicht wollen?

Dagdelen: Wie gesagt, die einen, die Russen sagen ja, das ist ein wichtiges Abkommen,

Meinhardt: Aber das sagen die USA ja auch, und die USA haben zumindest eine 60-Tagesfrist jetzt nochmal gegeben. Ich sage mal, die offiziellen Bekenntnisse sind von beiden Seite da.

Dagdelen: Jein. Also ich muss sagen, muss auch wirklich auf die Fakten mal schauen. Die USA sind aus dem ABM-Vertrag sowie aus dem Iran-Abkommen ausgestiegen. Die USA erfüllen ihre Verpflichtung zur Vernichtung von Chemiewaffen nicht, die Ratifizierung des CTBT-Vertrages zum Stopp von Atomwaffentests ist auf Eis gelegt worden. Trump redet davon Waffen im Weltraum zu stationieren. Der INF-Vertrag wird von denen in Frage gestellt und später offensichtlich eben auch der START-Vertrag. Aber trotzdem sage ich, beide Seiten haben bisher Vorschläge, die jeweils andere Seite zur Inspektion des in Rede stehenden Materials, abgelehnt. Es gab bei diesen gegenseitigen Vorwürfen der Nichteinhaltung des Vertrages zwei Sitzungen der Special Verification Commission, also die, die die Einhaltung des INF-Vertrages überwachen soll. In den Jahren 2016 und 2017 wurde das thematisiert, aber diese Vorwürfe konnten nicht ausgeräumt werden. Und beide Seiten haben abgelehnt, dass es eine Inspektion gibt. Aber nochmal: Die Verifikationsfähigkeit der eingegangenen Verpflichtungen ist Grundlage der Rüstungskontrolle und der Politik. Und kein Vertrag, der nicht verifizierbar ist, hat auf Dauer Bestand. Deshalb verstehe ich einfach eines nicht, dass zum Erhalt dieses so wichtigen Vertrages, man die bestehenden Verifikationsinstrumente nicht nutzt.

Meinhardt: Gut, das müsste man natürlich dann bei Russen und Amerikanern nachfragen, warum die das gegenseitig nicht zulassen.

Dagdelen: Man muss Druck machen. Europa muss ja eigenständig agieren, verstehen Sie. Dieser Vertrag ist die Sicherheitsgarantie für Europa gewesen. Er hat verhindert, dass Europa ein atomares Schlachtfeld wird. Und deshalb ist es wichtig, dass Europa hier nicht den US-Ferndiagnosen einfach blind glaubt, wenn die USA sagen, die Russen verletzen diesen Vertrag, sondern hier wirklich eigenständig, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger Europas auftritt und Druck macht auf beide Seiten, nicht nur auf eine Seite, auf beide Seiten, dass dieser verdammte Vertrag erhalten bleibt im Interesse der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger Europas. Wir müssen dort Druck machen.

Meinhardt: Jetzt ist es so, dass Herr Maas, das versucht hat mit Pendeldiplomatie und Sie sagen trotzdem, Europa hat zu wenig Druck gemacht. Vielleicht ist es einfach so, dass wir gar nicht genug Druckmittel in der Hand haben?

Dagdelen: Nun ich muss sagen, angesichts der Herausforderung habe ich eher den Eindruck gewonnen, dass die deutsche Außenpolitik eigentlich jämmerlich versagt. Auf der einen Seite bietet man sich als Vermittler an, auf der anderen Seite übernimmt man aber kritiklos eben die US-Positionen. Dann ist man kein glaubhafter Vermittler an beiden Seiten. In New York hat der Außenminister Maas ja so gar einer Stärkung der Partnerschaft mit Trump und Pompeo das Wort geredet, und das im Wissen, um Trumps Amoklauf gegen internationale, völkerrechtliche Verträge. Ich halte das nicht für eine gute Figur, die der Herr Maas dort abgegeben hat. Ich finde beispielsweise könnte Deutschland ein Signal hier setzen, ein eigenständiges Signal, vielleicht sogar auch mit anderen europäischen Ländern klarstellen, dass man einer neuen Stationierung weiterer US-Atomwaffen auf dem Boden der jeweiligen europäischen Länder unter keinen Umständen zustimmen wird. Und notfalls muss es einen Alleingang geben für die Bundesrepublik. Als Signal muss man auch sagen, dass die US-Atomwaffen auf deutschem Boden endlich abgezogen werden. Und dass wäre tatsächlich ein glaubhaftes Signal an beide Seiten, dass man kein Interesse hat, dass der eine oder der andere von diesen beiden Seiten gewinnt, sondern die Menschen in Europa müssen gewinnen, und deshalb braucht es dieses strategische Gleichgewicht.

Quelle: SWR-Tagesgespräch

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