Ausweitung der Kampfzone

2016 06 16 Stern

Von Axel Vornbäumen

Der Taxifahrer hat sie sofort erkannt. Als Sevim Dagdelen eingestiegen war, genügte ein Blick, eine kurze Vergewisserung dann gingen die Tiraden auch schon los. Dagdelen, geboren in Duisburg, Bundestagsabgeordnete der Linken, musste sich auf der Fahrt von ihrer Wohnung bis zum Reichstag übelste Beschimpfungen und Verleumdungen anhören. Es war viel von Ehre die Rede. Von Vaterland. Von Verrat.

Sevim Dagdelen,40, kennt das schon. Ein paar Tage zuvor hatte sie im Parlament jener Resolution zugestimmt, in der die Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich, begangen im Ersten Weltkrieg, als „Völkermord“ bezeichnet werden. Seitdem brechen alle Dämme. Auch der Taxifahrer, ein Türke, kriegte sich gar nicht mehr ein.

„Die Beschimpfungen waren nicht mal das Schlimmste“, sagt Dagdelen. „Viel schlimmer ist, dass die nun wissen, wo ich wohne.“ Die – das sind die Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan,

Die Mutter zweier kleiner Kinder ist zur Zielscheibe geworden. Statt in ihre Lieblingseisdiele in Berlin-Kreuzberg ging sie am selben Nachmittag mit den beiden vorsichtshalber in ein Café im

Prenzlauer Berg. „Ich will nicht, dass die Kinder mögliche Hassattacken mitkriegen.“ Sevim Dagdelen, von Haus aus eher unerschrocken, hat um Polizeischutz gebeten. Sie will sich nicht einschüchtern lassen. Und doch: Die türkischstämmige Abgeordnete fühlt sich in diesen Tagen mit den gleichen Methoden unter Druck gesetzt, wie sie Regimekritiker in der Türkei seit Langem erdulden müssen. Was sie erlebt, ist, wenn man so will, eine Ausweitung der Kampfzone.

„Die Hassmails, die ich täglich erhalte, haben mittlerweile ein Ausmaß angenommen, dass ich mit dem Löschen kaum noch nachkomme“, sagt die Abgeordnete.

„Gottverfluchte Hure STIRB“.

„Du schlampe dich werde ich auch noch finden und werde dich zersägen du hure“.

„Komm nicht mehr in die Türkei du widerliche PKK sempatisat“.

So geht das in einem fort – mal auf Deutsch, mal auf Türkisch, orthografisch meist ziemlich schlicht. Einer hat Dagdelen und dem Grünen-Chef Cem Özdemir vorgeschlagen, doch mal „Urlaub in Buchenwald“ zu machen. Viele Einträge auf Dagdelens Facebook-Seite haben einen persönlichen Absender. Hinter nicht wenigen aber vermutet die Abgeordnete Trolle im Auftrag Erdogans – Anhänger oder gar Mitarbeiter des Präsidenten, die im Netz aus der Anonymität heraus Propaganda machen. Eine Methode, die auch der Chef der Bundesarbeitsgemeinschaft der

Immigrantenverbände, Ali Toprak, beobachtet hat. Trolle würden in sozialen

Netzwerken gezielt Stimmung für Erdogan machen und Kritiker einschüchtern.

Seit Erdogan die elf türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten explizit in den Mittelpunkt seiner Attacken gegen Deutschland gerückt hat, scheinen alle Schleusen geöffnet.

Erdogan verortete die elf Parlamentarier kurzerhand in die Nähe von Terroristen der verbotenen kurdischen PKK. Er erklärte mit einer eigentümlichen Rassenrhetorik, man müsse ihnen Blut abnehmen, um zu prüfen, ob sie tatsächlich türkische Wurzeln hätten. Der Präsident sprach von „verdorbenem Blut“.

Andere ihm hörige Politiker legten in ihrer Empörung über die Armenien-Resolution nach. Justizminister Bekir Bozdag holte zum Rundumschlag gegen Deutschland aus: „Erst verbrennst du Juden, dann klagst du das türkische Volk an.“ Und Ankaras Oberbürgermeister Ibrahim Melih Gökçek verbreitete auf seinem Twitter-Account eine Art Steckbrief mit den Fotos der elf Abgeordneten. Überschrift: „Sie fielen uns in den Rücken“.

Für Sevim Dagdelen war dies nur ein weiterer Beweis für den Einfluss Erdogans, der sich bis nach Deutschland erstrecke. „Das ist Volksverhetzung, was der Typ macht. Der will hier den Mob organisieren.“

Erdogan verfährt nach einem bei ihm seit Langem bekannten Muster. Hat er ein Ziel ausgemacht, lässt er es von seinen Anhängern systematisch attackieren. Nahezu 8,5 Millionen Follower hat er allein auf Twitter.

Erdogans Ausfall gegen deutsche Abgeordnete ist der vorläufige Gipfel der Perfidie. Er übertrifft alle Befürchtungen, die man in Berlin im Vorfeld der Armenien-Resolution gehabt hatte. Zwar rechneten die Kanzlerin und ihre Berater mit vielem (stern Nr. 23/2016 „In Erdogans Hand“) aber nicht mit einem derartig riesigen Eifer, die wegen der Flüchtlingskrise sensiblen deutsch-türkischen Beziehungen Richtung Gefrierpunkt runterzukühlen.

Im Bundestag kam es am vergangenen Donnerstag zu einer denkwürdigen Sitzungseröffnung. Bundestagspräsident Norbert Lammert, sichtlich empört, knöpfte sich in einer emotionalen Erklärung Erdogan direkt vor. „Dass ein demokratisch gewählter Staatspräsident im 21. Jahrhundert seine Kritik an demokratisch gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestags mit Zweifeln an deren

türkischer Abstammung verbindet, ihr Blut als ,verdorben‘ bezeichnet, hätte ich nicht für möglich gehalten.“

Die gut dreiminütige Rede war mit den Fraktionsvorsitzenden aller im Bundestag vertretenen Parteien abgestimmt. Sie wirkte als entschlossenes Zeichen Richtung Ankara. Trotzdem war es hinter den Kulissen in Berlin zwei Tage lang äußerst mühsam zugegangen. Lammerts zielgerichtete Empörung war ein Kompromiss. Auf eine gemeinsame Erklärung aller Fraktionsvorsitzenden hatte man sich zuvor nicht einigen können, weil die Union keinen Schulterschluss mit der Linken hatte eingehen wollen.

Immerhin, auf der Regierungsbank klatschte die Kanzlerin bei Lammerts Kritik an Erdogan demonstrativ Beifall eigentlich nicht üblich. Zuvor war Merkel, bei der Umsetzung des Flüchtlingspakts auf das Wohlwollen Ankaras angewiesen, eher durch eine äußerst moderate Wortwahl aufgefallen. Erdogans Attacken auf die Parlamentarier hatte sie lediglich „nicht nachvollziehbar“ genannt.

Sevim Dagdelen hält die Wortwahl für bigott. „Nicht nachvollziehbar – das passt vielleicht, wenn eine Rechnung im Café nicht stimmt, aber doch nicht hier.“ Die Abgeordnete ist der Überzeugung, dass Erdogans Wirken in Deutschland immer noch nicht richtig wahrgenommen werde. „Ich mache mir Sorgen, weil ich glaube, dass man den Ernst der Lage nicht erkannt hat. Erdogan macht hier Innenpolitik.“

Auch in Duisburg, Dagdelens Heimatstadt. Dort beschloss der Integrationsrat in der vergangenen Woche eine Resolution. Titel: „Gegen die Verleumdung der Türkei“. Im Text heißt es: „Wir fühlen uns verletzt und durch den Beschluss, dass die Türkei einen Völkermord begangen haben soll, herabgesetzt. Dem guten Miteinander und der Integration von Menschen unterschiedlicher Herkunft in unserer Gesellschaft schadet dieser Beschluss des Bundestags nachhaltig.“ Dann werden Grünen-Chef Cem Özdemir und Sevim Dagdelen direkt angegriffen: „Bei Cem Özdemir ist nur so viel zu sagen, dass sein Hass auf die türkische Regierung und seine Nähe zur terroristischen PKK offensichtlich sein ganzes Handeln bestimmen. Ebenso Sevim Dagdelen von den Linken.“ Es sind die bekannten Textbausteine aus Ankara, benutzt von Immigrantenorganisationen in Deutschland. Der Integrationsrat von Duisburg ist dem Stadtrat beigeordnet.

Dagdelen empört dieser Angriff: „Die denken, die türkischstämmigen Abgeordneten sind hier die Vollstrecker und Erfüllungsgehilfen der türkischen Regierung.“ Dabei will die Linke ausdrücklich nicht auf ihre türkische Abstammung festgenagelt werden. Dagdelens Heimat ist der Ruhrpott. Ihr Vater kam 1973 als Gastarbeiter nach Deutschland, ihre Mutter ein Jahr später. Sie selbst hat ihren Bundestagswahlkreis in Bochum. Dass die enge Vertraute von Sahra Wagenknecht sich kritisch mit Erdogans Politik auseinandersetzt, erklärt sie mit ihrer politischen Überzeugung und ihrer Funktion als Fraktionssprecherin für Internationale Beziehungen – nicht mit ihrer Abstammung. „Ich habe nur einen deutschen Pass.“

Dagdelen, die das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei als „schäbigen Deal“ und „schwarzen Tag für die Grundwerte unserer Zivilisation“ bezeichnet, hält Merkels zurückhaltenden Umgang mit Erdogan auch deshalb für völlig falsch. „Erdogan macht sich doch lustig über sie. Er demütigt Merkel“ sagt die Linke. „Nur Wahnsinnige können diesen Deal überhaupt abschließen. Es ist verrückt, zu glauben, mit Erdogan Geschäfte machen zu können.“

Am Tag der Lammert-Erklärung bekommt Dagdelen eine Nachricht auf ihr Smartphone: Türkische Verbände, die Erdogan nahestehen, bereiteten gegen sie und ihre zehn Abgeordnetenkollegen Klagen vor. Als rechtliche Grundlage dient offenbar Artikel 301 des türkischen Strafgesetzbuchs. Danach wird mit sechs Monaten bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft, wer „die türkische Nation, den Staat der Türkischen Republik, die Große Nationalversammlung der Türkei, die Regierung der Türkischen Republik und die staatlichen Justizorgane öffentlich herabsetzt“. Eine weitere Eskalationsstufe. Dagdelen ist sich sicher, dass die Klagewelle von der türkischen Regierung gesteuert ist. „Das zielt de facto auf ein Einreiseverbot ab.“

Sevim Dagdelen wird sich weiter wehren. Möglichst unbeeindruckt. Doch ganz spurlos sind die Attacken aus Ankara an ihr nicht vorübergegangen. Für das Jugendportal des Bundestags mitmischen, de hatte die Abgeordnete kürzlich einen Fragebogen ausgefüllt. Darunter auch die Frage nach ihrem Lieblingsplatz in Berlin. Sie hat darum gebeten, den Fragebogen jetzt erst einmal nicht online zu stellen.

Mitarbeit: Raphael Geiger

Quelle: Stern Nr. 25 vom 16. Juni 2016, S. 101

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