„Die Bundesregierung legt Feuer auf dem Balkan“
Warum es mit der Bundeswehr im Kosovo keinen gerechten Frieden geben kann. Ein Gespräch mit Sevim Dagdelen
Am 24. September kam es im Ort Banjska zu einer Auseinandersetzung zwischen bewaffneten Serben aus dem Kosovo und kosovo-albanischen Polizeieinheiten. Es waren die schwersten Zusammenstöße seit Jahren – trotz der EU-geleiteten Gespräche zwischen Belgrad und Priština. Ist die Europäische Union gescheitert?
NATO und EU verwalten die Unterdrückung von Serben und Roma im Kosovo. Seit bald einem Vierteljahrhundert sind dort jetzt NATO-Truppen stationiert, nicht wie vorgegeben, um die Minderheiten dort zu schützen oder gar die Rückkehr der Vertriebenen zu ermöglichen, sondern allein, um die völkerrechtswidrige Anerkennung der Sezession Prištinas abzusichern.
Die EU ist mit ihrem Versuch, Serbien zu zwingen, die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo anzuerkennen und gleichzeitig den Serben im Norden der Provinz ein Selbstbestimmungsrecht auch im Rahmen einer Autonomie der Gemeinden zu verweigern, völlig unglaubwürdig als neutraler Akteur. Was wir hier und anderswo erleben, ist die vorbehaltlose Unterstützung einer brutalen und völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik durch Brüssel und Berlin.
Noch im Frühjahr haben sich Belgrad und Priština auf einen von Deutschland und Frankreich vorgelegten Plan zur sogenannten Normalisierung der Beziehungen geeinigt. Nun ruft Bundeskanzler Olaf Scholz dazu auf, die Lage müsse deeskaliert werden. Welche Verantwortung trägt die Bundesregierung für die jüngsten Konflikte?
Die Bundesregierung ist auch in diesem Fall die treibende Kraft, wenn es gilt, Feuer auf dem Balkan zu legen, um eigene geopolitische Maximen durchzusetzen. Wer wie die Bundesregierung gegenüber der völkischen Ideologie kosovo-albanischer Nationalisten unter Führung von Ministerpräsident Albin Kurti beharrlich die Augen verschließt, riskiert jedenfalls einen Flächenbrand. Auch hier gilt, dass Berlin nicht auf Diplomatie, sondern auf einseitige Parteinahmen und eine Politik der Drohungen setzt. Das hat die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock vergangene Woche beim Außenministertreffen in Tirana eindrücklich dokumentiert.
Nun will die Bundesregierung die Geschehnisse in Banjska nutzen, noch mehr Bundeswehr in den Kosovo zu schicken. Andere NATO-Staaten haben auch angekündigt, ihre Kontingente aufzustocken. Denken Sie, dass sich damit die Lage beruhigen lässt?
Mehr deutsche Truppen auf dem Balkan führen automatisch zu mehr Problemen. Das war in der Vergangenheit so, und das ist heute nicht anders. Mit dem vorgeblichen Schutz von Minderheiten hat die Bundeswehr nichts zu tun.
2014 bei massiven Ausschreitungen gegen Serben und Roma in der Region hat die Kfor einfach nur zugeschaut, wie Menschen vertrieben und ihre Häuser geplündert wurden. Die Soldaten der Bundeswehr sichern zusammen mit den anderen Kfor-Truppen unter Führung der NATO Kosovo-Nationalisten die Macht und den Völkerrechtsbruch der Anerkennung der einseitigen Unabhängigkeitserklärung.
Serbien soll gezwungen werden, das Ergebnis des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges rechtlich anzuerkennen. Daraus kann kein gerechter Frieden entstehen, sondern im Gegenteil wird dies zur Quelle immer neuer Spannungen.
Mit Kurti regiert in Priština ein ausgewiesener Nationalist und Chauvinist, der am liebsten die Grenzen in der Region neu ziehen würde und den Hass zwischen den Volksgruppen schürt. Warum lässt ihm der Westen das immer wieder durchgehen?
Auch wenn es immer wieder Diskussionen gibt, dass Kurti zu weit geht, ist er der Mann der NATO schlechthin. Er sorgt dafür, dass nach dem NATO-Angriffskrieg von 1999 die Positionen des Westens abgesichert werden.
Wer wie Kurti gewaltsam eigene Bürgermeister in mehrheitlich von Serben bewohnten Orten einzusetzen versucht, die von weniger als 3,5 Prozent der dortigen Bevölkerung gewählt wurden, hat weder Sicherheit noch Gerechtigkeit für alle in der Region im Blick, sondern will den Exodus der letzten noch verbliebenen Serben.
Interview: Roland Zschächner
Quelle: junge welt
Foto: „File:German KFOR armoured vehicle, 1999.jpg“ by http://en.wikipedia.org/wiki/User:Nick_Macdonald. is licensed under CC BY-SA 3.0. To view a copy of this license, visit http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/?ref=openverse. Unverändert